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Steuererklärung Auszahlungen aus Lebensversicherungen: So minimieren Sie Steuerzahlungen (Teil 2)
| Deutsche Bürger haben 2020 mehr als 82 Mrd. Euro an Auszahlungen aus Lebensversicherungsverträgen erhalten. So steht es auf Statista.de. Die Finanzamts-Praxis zeigt, dass oft zu viel versteuert wird. Im ersten Teil hat SSP deshalb erläutert, wie Sie die steuerlichen Vorteile aus Auszahlungen aus Lebensversicherungen in der Einkommensteuererklärung nutzen können. Um von der Begünstigung nach § 20 Abs. 1 Nr. 6 S. 2 EStG profitieren zu können, muss ein begünstigter Versicherungsvertrag vorliegen. SSP klärt Sie in diesem Beitrag auf, wann das der Fall ist. |
Nur „Versicherungsverträge“ sind begünstigt
Steuerliche Begünstigungen können Sie nur dann in Anspruch nehmen, wenn es sich bei Ihrem Vertrag dem Grunde nach um einen Versicherungsvertrag i. S. v. § 20 Abs. 1 Nr. 6 EStG handelt.
1. Begünstigte Versicherungsverträge i. S. v. § 20 Abs. 1 Nr. 6 EStG
Der Besteuerung nach § 20 Abs. 1 Nr. 6 EStG unterliegen die Erträge aus
- Versicherungen auf den Erlebens- oder Todesfall (kapitalbildende Lebensversicherungen), wie z. B.
- Rentenversicherungen mit Kapitalwahlrecht, soweit nicht die Rentenzahlung gewählt wird, und
- Kapitalversicherungen mit Sparanteil oder
- Unfallversicherungen mit garantierter Beitragsrückzahlung.
Zu den nach § 20 Abs. 1 Nr. 6 EStG steuerpflichtigen Renten- oder Kapitalversicherungen zählen laut BMF-Schreiben vom 01.10.2009 (Az. IV C 1 – S 2252/07/0001, Abruf-Nr. 093457) nur solche, die einen Sparanteil enthalten.
Hier setzt sich der Versicherungsbeitrag grundsätzlich zusammen aus dem
- Kostenanteil (Beitragsteil insbesondere für Verwaltungsaufgaben des Unternehmens, Abschlusskosten, Inkassokosten), dem
- Risikoanteil (Beitragsanteil für Leistungen bei Eintritt eines charakteristischen Hauptrisikos: Tod bei Lebensversicherungen, Unfall oder Beitragsrückzahlung im Todesfall bei Unfallversicherungen mit garantierter Beitragsrückzahlung) und dem
- Sparanteil (Beitragsanteil, der für die Finanzierung einer Erlebensfall-Leistung verwendet wird).
2. Zusätzliche Voraussetzungen für Neuverträge beachten
Für Neuverträge sind aufgrund gesetzlicher Verschärfungen weitere Voraussetzungen im Blick zu behalten. Bei Kapitallebensversicherungen, bei denen der Vertragsabschluss nach dem 31.03.2009 erfolgt bzw. bei denen die erstmalige Beitragsleistung nach diesem Datum erfolgt ist, sind weitere Voraussetzungen zu erfüllen (§ 52 Abs. 28 S. 8 EStG).
Wichtig | Aufgrund der notwendigen Mindestlaufzeit von zwölf Jahren können solche Fälle frühestens ab dem 01.04.2021 auftreten; also erstmalig im Rahmen der Einkommensteuererklärung 2021.
Beispiel |
... muss die Todesfallleistung 50 Prozent der maximalen Prämie übersteigen Es wurde ein Versicherungsvertrag mit einer Laufzeit von 20 Jahren und einer jährlichen Prämie von 1.200 Euro abgeschlossen. Es sind also insgesamt 24.000 Euro Prämien zu zahlen. Beträgt die Todesfallleistung (Risikoleistung) 11.999 Euro, ist die Inanspruchnahme der Steuervergünstigung bei Auszahlung der Versicherungsleistung nach Vollendung des 60. Lebensjahres nicht möglich. Beträgt die Leistung im Todesfall aber 12.000 Euro, kann die hälftige Steuerfreistellung nach § 20 Abs. 1 Nr. 6 EStG angewendet werden. |
Praxistipp | Die Festlegung eines Mindesttodesfallschutzes ist bei Kapitallebensversicherungen entbehrlich, bei denen die Todesfallsumme mindestens der Erlebensfallsumme entspricht (BMF vom 01.10.2009, BStBl. I 2009, S. 1172, Rn. 78b). Zur Berücksichtigung von vereinbarten Beitragserhöhungen, von Beitragsfreistellungen, -herabsetzungen sowie Abkürzungszahlungen (vgl. BMF vom 01.10.2009, BStBl. I 2009, S. 1172, Rn. 78c). |
Beispiel |
... wird anders gerechnet Es wurde ein Versicherungsvertrag mit einer Laufzeit von 20 Jahren und einer jährlichen Prämie von 1.200 Euro abgeschlossen. Nach fünf Versicherungsjahren wurden Prämien in Höhe von 6.000 Euro gezahlt. Die Todesfallleistung (Risikoleistung) muss diesen Betrag um mindestens zehn Prozent, also 600 Euro übersteigen. Das bedeutet, dass die Todesfallleistung insgesamt mindestens 6.600 Euro betragen muss, um von der Begünstigung profitieren zu können. |
- Kapitallebensversicherungen mit laufenden Beitragszahlungen: Eine Begünstigung nach § 20 Abs. 1 Nr. 6 S. 2 EStG ist gesetzlich ausgeschlossen, wenn in einem Kapitallebensversicherungsvertrag mit vereinbarter laufender Beitragszahlung in mindestens gleichbleibender Höhe bis zum Zeitpunkt des Erlebensfalls die vereinbarte Leistung bei Eintritt des versicherten Risikos weniger als 50 Prozent der Summe der für die gesamte Vertragsdauer zu zahlenden Beiträge beträgt (§ 20 Abs. 1 Nr. 6 S. 6 Buchst. a EStG).Bei einer Kapital-lebensversicherung mit laufenden Beitragszahlungen ...
- Kapitallebensversicherungen ohne laufende Beiträge: Nicht selten werden Kapitallebensversicherungen ohne laufende Beitragszahlungen abgeschlossen. Die begünstigte Vorschrift des § 20 Abs. 1 Nr. 6 S. 2 EStG ist nicht anzuwenden, wenn bei einem Kapitallebensversicherungsvertrag die vereinbarte Leistung bei Eintritt des versicherten Risikos das Deckungskapital oder den Zeitwert der Versicherung spätestens fünf Jahre nach Vertragsabschluss nicht um mindestens zehn Prozent des Deckungskapitals, des Zeitwerts oder der Summe der gezahlten Beiträge übersteigt. Dieser Prozentsatz darf bis zum Ende der Vertragslaufzeit in jährlich gleichen Schritten auf null sinken (§ 20 Abs. 1 Nr. 6 S. 6 Buchst. b EStG).Bei einer Kapital-lebensversicherung ohne laufende Beiträge ...
- Sonderfälle: Bei entgeltlichen Erwerben „gebrauchter“ Risikoversicherungen sowie bei fondsgebundenen Lebensversicherungen bestehen weitere Besonderheiten (vgl. § 20 Abs. 1 Nr. 6 S. 7 und 9 EStG).Besonderheiten bei „gebrauchter“ Risikoversicherung
3. Kein Versicherungsvertrag i. S. v. § 20 Abs. 1 Nr. 6 EStG
Nicht nach § 20 Abs. 1 Nr. 6 EStG begünstigt sind Verträge, die keine nennenswerte Risikotragung enthalten. Davon ist insbesondere dann auszugehen, wenn bei Risikoeintritt nur eine Leistung der angesammelten und verzinsten Sparanteile zzgl. einer Überschussbeteiligung vereinbart ist. Erhalten Sie also eine Leistung aus einer reinen Risikoversicherung, also einer Versicherung ohne Sparanteil, wie z. B. aus einer
- Risikolebensversicherung,
- Unfallversicherung ohne garantierte Beitragsrückzahlung,
- Berufsunfähigkeitsversicherung,
- Erwerbsunfähigkeitsversicherung oder
- Pflegeversicherung
fällt der Ertrag nicht unter die 50-Prozent-Begünstigung. Dies gilt sowohl für Kapitalauszahlungen aus reinen Risikoversicherungen als auch für Rentenzahlungen (z. B. Unfall-Rente, Invaliditätsrente).
Besteuerung kann sich bei Renten-zahlung ergeben Praxistipp | Bei einer Rentenzahlung kann sich jedoch eine Besteuerung aus anderen Vorschriften (insbesondere § 22 Nr. 1 S. 1 EStG oder § 22 Nr. 1 S. 3 Buchst. a Doppelbuchst. bb EStG) ergeben. Die Barauszahlung von Überschüssen sowie die Leistung aufgrund einer verzinslichen Ansammlung der Überschüsse ist bei einer reinen Risikoversicherung weder eine Einnahme i. S. v. § 20 Abs. 1 Nr. 6 EStG noch i. S. v. § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG. Keine Versicherungsverträge i. S. v. § 20 Abs. 1 Nr. 6 EStG sind Kapitalisierungsgeschäfte. Das sind Geschäfte, bei denen unter Anwendung eines mathematischen Verfahrens die im Voraus festgesetzten einmaligen oder wiederkehrenden Prämien und die übernommenen Verpflichtungen nach Dauer und Höhe festgelegt sind. |
Wichtig | I. d. R. können Sie vom Vorliegen eines Versicherungsvertrags i. S. v. § 20 Abs. 1 Nr. 6 EStG ausgehen, wenn es sich um eine Lebensversicherung oder Unfallversicherung mit garantierter Beitragsrückzahlung im Sinne des Versicherungsaufsichtsrechts handelt. Dies wird von den Versicherungen bescheinigt (Steuerbescheinigung) bzw. ist den Erträgnisaufstellungen und/oder den Versicherungsbedingungen zu entnehmen. In Zweifelsfällen fragen Sie bei Ihrer Versicherung an.
Weitere Praxisprobleme und Besonderheiten
Probleme können sich bei Vertragsänderungen ergeben. Werden wesentliche Bestimmungen einer Versicherung i. S. v. § 20 Abs. 1 Nr. 6 S. 2 EStG (Versicherungslaufzeit oder -summe, Beitrags und -zahlungsdauer) geändert, kann dies unter Umständen zu einem Neubeginn der Mindestvertragsdauer führen. Darauf sollten Sie unbedingt achten (Einzelheiten → BMF, Schreiben vom 01.10.2009, Abruf-Nr. 093457).
Wichtig | Gerade in der Corona-Krise sind vermehrt „alte“ Lebensversicherungsverträge angepasst worden, wodurch ggf. steuerschädliche Folgen ausgelöst wurden. Bei einer Änderung der Person des Versicherungsnehmers ist steuerrechtlich dagegen nicht von einem neuen Vertrag auszugehen.
Wichtige Rechtsquellen für Ihre Recherche
In der Praxis gibt es eine Vielzahl von Verträgen, die jeweils individuell zu beurteilen sind. Das BMF hat hierzu umfangreich Stellung bezogen, und u. a. die Begriffsbestimmungen
- des Versicherungsnehmers,
- des Bezugsberechtigten und
- der versicherten Person
geklärt.
Die BMF-Schreiben beinhalten zudem u. a. Erläuterungen zu Rentenversicherungen mit Kapitalwahlrecht, soweit nicht die Rentenzahlung gewählt wird, zu Kapitalversicherungen mit Sparanteil sowie zu Sonderformen (z. B. fondsgebundene Kapital-Lebensversicherung und fondsgebundene Rentenversicherung sowie vermögensverwaltende Versicherungsverträge). In Zweifelsfällen lohnt also ein Blick in die BMF-Schreiben
- vom 01.10.2009 (Az. IV C 1 – S 2252/07/0001, Abruf-Nr. 093457),
- vom 06.03.2012 (Az. IV C 3 – S 2220/11/10002, Abruf-Nr. 227653),
- vom 29.09.2017 (Az. IV C 1 – S 2252/15/10008 :001, Abruf-Nr. 196942) und
- vom 09.08.2019 (Az. IV C 1 – S 2252/19/10011 :004, Abruf-Nr. 210514).
Es gibt auch aktuelle Rechtsprechungen
Es gibt auch neue Rechtsprechungen: So hat der BFH entschieden, dass Rentenzahlungen, die auf einem begünstigten Versicherungsvertrag i. S. v. § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG 2004 beruhen, insgesamt den Einkünften aus Kapitalvermögen i. S. v. § 20 Abs. 1 Nr. 6 EStG 2004 zuzuordnen und unter den Voraussetzungen des § 20 Abs. 1 Nr. 6 S. 2 EStG 2004 steuerfrei sind, soweit die Summe der ausgezahlten Rentenbeträge das in der Ansparzeit angesammelte Kapitalguthaben inklusive der Überschussanteile nicht übersteigt (BFH, Urteil vom 01.07.2021, Az. VIII R 4/18, Abruf-Nr. 225107).
Fazit | Die Praxis lehrt, dass viele Steuerzahler aufgrund der abgeltenden Steuerwirkung mit 25 Prozent keine Anlage KAP abgeben. Prüfen Sie daher genau, ob Sie eine begünstigte Auszahlung aus einem Versicherungsvertrag i. S. v. § 20 Abs. 1 Nr. 6 EStG erhalten haben. Bei Versicherungsverträgen mit Abschluss bis zum 31.12.2011 müssen Sie Ihr 60. Lebensjahr (bei ab dem 01.01.2012 abgeschlossenen Versicherungsverträgen das 62. Lebensjahr) vollendet haben und die Auszahlung darf erst nach Ablauf von zwölf Jahren seit dem Vertragsabschluss erfolgt sein. Der Todesfallschutz muss mindestens die Hälfte der Beitragssumme ausmachen. Das gilt zumindest für Verträge, die ab 01.04.2009 geschlossen wurden. Neue Besonderheiten könnten also nun erstmalig im Rahmen der Einkommensteuererklärung 2021 auftreten. Aus den Steuerbescheinigungen der Banken und Versicherungsunternehmen können Sie i. d. R. entnehmen, ob Sie die Voraussetzungen des § 20 Abs. 1 Nr. 6 S. 2 EStG und damit die hälftige Steuerfreistellung, erfüllen. In Zweifelsfällen schauen Sie in das BMF-Schreiben vom 01.10.2009 bzw. fragen bei Ihrer Versicherung nach. |
AUSGABE: SSP 5/2022, S. 6 · ID: 48060102