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FamilienverträgeBetriebsveräußerung einer Erbengemeinschaft – Freibetrag nach § 16 Abs. 4 EStG möglich?
| Wer seinen Betrieb mit Gewinn verkauft, kann steuerliche Vergünstigungen in Anspruch nehmen. In der Praxis ist die Frage aufgetaucht, ob diese Vergünstigungen auch für eine Erbengemeinschaft gelten. |
Frage: Ein Einzelunternehmer verstirbt. Die Erbengemeinschaft besteht aus der Ehefrau und zwei Kindern. Die Betriebsveräußerung im Sinne des § 16 EStG ergibt einen Gewinn. Das Finanzamt möchte lediglich bei der Ehefrau den Freibetrag nach § 16 Abs. 4 EStG berücksichtigen. Bei den Kindern verweigert es einen Abzug, weil diese das 55. Lebensjahr noch nicht vollendet haben. Zu Recht? Oder geht im Rahmen der Gesamtrechtsnachfolge auch das Alter des Verstorbenen (55. Lebensjahr vollendet) und damit der Zugang zum Freibetrag auf die Kinder über?
Antwort: Der Freibetrag nach § 16 Abs. 4 EStG ist eine persönliche Steuervergünstigung. Entscheidend für die Gewährung sind die Verhältnisse des Steuerpflichtigen im Zeitpunkt der Betriebsveräußerung bzw. -aufgabe. Veräußert eine Mitunternehmerschaft (z. B. Erbengemeinschaft) ihren Betrieb, sind die persönlichen Voraussetzungen für jeden Mitunternehmer (Erben) gesondert zu prüfen. Jeder kann dabei den vollen Freibetrag bei Erfüllung der Voraussetzungen beanspruchen. Erfüllt ein Mitunternehmer die Voraussetzungen nicht, steht ihm der Freibetrag nicht zu. Dass der Betrieb geerbt wurde, ist unerheblich, da der Veräußerungsgewinn nur und erst vom Erben erzielt wurde. Das Alter des Erblassers kann dem Erben auch nicht über den Gedanken der Gesamtrechtsnachfolge zugerechnet werden, da erst der Erbe und nicht der Erblasser den Veräußerungsgewinn realisiert und damit den Tatbestand des § 16 EStG verwirklicht. Dies entspricht auch dem Gedanken von §§ 16 Abs. 4 und 34 Abs. 3 EStG. Durch diese steuerlichen Vergünstigungen soll der Ausstieg aus dem Berufsleben gefördert werden – nicht aber die finanzielle Situation von mitten im Berufsleben stehenden Erben.
Etwas anderes gilt nur, wenn noch der Erblasser zu Lebzeiten ein bindendes Kausalgeschäft über die Veräußerung abgeschlossen hat (z. B. Kaufvertrag), dieses infolge seines Todes nicht mehr beenden konnte, und daher nur noch die Erfüllung (Übergabe) durch den Erben erfolgt. Hier wird die Veräußerung nach § 16 EStG durch den Erblasser verwirklicht, sodass auch auf dessen persönliche Verhältnisse abzustellen ist. In diesem Fall ist aber regelmäßig der Veräußerungsgewinn auch dem Erblasser zuzurechnen (u. a. BFH, Urteil vom 03.07.1991, Az. X R 26/90; BFH, Urteil vom 21.09.1995, Az. IV R 1/95 und BFH, Urteil vom 09.06.2015, Az. X R 6/13, Abruf-Nr. 179257).
Praxistipp | Auch wenn der Freibetrag nach § 16 Abs. 4 EStG sowie der ermäßigte Steuersatz nach § 34 Abs. 3 EStG keine Anwendung finden, ist zumindest eine Besteuerung nach der Fünftel-Regelung zulässig (§ 34 Abs. 1 EStG). |
AUSGABE: SSP 3/2022, S. 20 · ID: 47981004