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ReparaturkostenLG Stendal grenzt ab: „Bei Gelegenheit der Reparatur“ – „Nicht nötig, aber doch erstattungspflichtig“
| Das LG Stendal hat sich mit der Abgrenzung von ersatzfähigen Kosten für nicht erforderliche, aber ausgeführte Reparaturarbeiten und solchen Reparaturarbeiten befasst, die nur „bei Gelegenheit“ der Unfallschadeninstandsetzung ausgeführt wurden. |
Neuer Angriff auf Schutz des Geschädigten
Der Schädiger trägt das „Werkstattrisiko“. Ausgenommen vom „Werkstattrisiko“ sind solche Arbeiten, die nur „bei Gelegenheit“ der Unfallschadenreparatur miterledigt werden. Auf dieser Grundlage hat ein Versicherer vor dem LG Stendal in einem Fall argumentiert, bei dem es um erneuerte Achsteile bei einer nur geringfügig veränderten Achsgeometrie ging und es einen Anstoß auf ein Vorderrad gegeben hatte. Er meinte: Alles, was nicht notwendig sei, sei nur „bei Gelegenheit“ der Unfallschadeninstandsetzung erfolgt.
Läge der Versicherer richtig, bekäme der Geschädigte die Kosten für die Erneuerung nicht erstattet. Dann wäre der Geschädigte nicht geschützt. Trägt die Argumentation hingegen nicht, bekommt der Geschädigte die Kosten erstattet, Zug um Zug gegen Abtretung von Rückforderungsansprüchen gegen die Werkstatt an den Versicherer. Der Schadengutachter steht dabei auch im Feuer, denn der Vertrag über die Erstellung eines Schadengutachtens ist ein Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten des gegnerischen Haftpflichtversicherers.
Zwei Sachverhalte sind gegeneinander abzugrenzen
Der BGH liefert für die Abgrenzung die Antwort: Zwei Passagen aus der BGH-Rechtsprechung zum subjektbezogenen Schadenbegriff, die sich in mehreren seiner Urteile wiederfinden, sind dabei gegenüberzustellen.
Schaden auf Unfall zurückzuführen, aber in übertriebener Weise repariert
Ist die Beschädigung zwar auf den Unfall zurückzuführen, wurde jedoch zu üppig repariert, heißt es beim BGH (u. a. Urteil vom 16.01.2024, Az. VI ZR 253/22, Rz. 14, Abruf-Nr. 239194): „Übergibt der Geschädigte das beschädigte Fahrzeug an eine Fachwerkstatt zur Instandsetzung, ohne dass ihn insoweit ein (insbesondere Auswahl- oder Überwachungs-)Verschulden trifft, sind dadurch anfallende Reparaturkosten im Verhältnis des Geschädigten zum Schädiger aufgrund der subjektbezogenen Schadensbetrachtung auch dann vollumfänglich ersatzfähig, wenn sie etwa wegen überhöhter Ansätze von Material oder Arbeitszeit oder wegen unsachgemäßer oder unwirtschaftlicher Arbeitsweise der Werkstatt unangemessen, mithin nicht erforderlich im Sinne von § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB sind.“
Der Sinn des subjektbezogenen Schadenbegriffs ist es, den Geschädigten vor Übertreibungen von Schadengutachter und/oder Werkstatt zu schützen, auf die er keinen Einfluss hatte. Entweder, weil ihm die Sachkunde fehlt, oder, weil er von zu Hause aus den Werkstattmitarbeiter nicht fernsteuern kann.
Der Schaden ist nicht auf den Unfall zurückzuführen
Ist die Beschädigung gar nicht auf den Unfall zurückzuführen, sondern rührt sie aus einem anderen Schadenereignis her, gilt das nicht. Denn es ist nicht der Sinn des subjektbezogenen Schadenbegriffs, dass der Geschädigte dem neuen Schädiger alte Schäden bei der Gelegenheit des neuen Schadenereignisses unterjubeln kann. Dazu heißt es beim BGH unter Rz. 18: „So haben selbstverständlich Reparaturen bei der Bemessung des erforderlichen Herstellungsaufwandes auszuscheiden, die nur bei Gelegenheit der Instandsetzungsarbeiten mitausgeführt worden sind. Der Geschädigte trägt die Darlegungs- und Beweislast für das Vorhandensein und die Unfallbedingtheit der jeweiligen Fahrzeugschäden und dafür, dass die abgerechneten Instandsetzungsarbeiten Teil der Reparatur dieser Unfallschäden sind. Insoweit kann er sich weder auf das Werkstattrisiko noch auf eine sich als unzutreffend erweisende Einschätzung des von ihm eingeschalteten Privatgutachters berufen.“
Was dies für den Stendaler Fall bedeutet
Im Stendaler Fall war unstrittig, dass ein Anstoß gegen ein Vorderrad stattgefunden hat. Ebenso wenig war umstritten, dass die Achsgeometrie verstellt war. Für einen vom Versicherer ins Blaue hinein behaupteten Vorschaden in dem Sinne, dass die Achsgeometrie nicht durch diesen, sondern durch einen früheren Anstoß verstellt war, lagen keinerlei Anhaltspunkte vor. Also ging das LG davon aus, dass die Achsgeometrie durch den aktuellen Anstoß verstellt wurde.
Der Streit ging daher nur um die Frage, ob die Erneuerung der Achsteile eine angemessene oder eine übertriebene Maßnahme war. Also unterfällt das der oben zitierten Rz. 14 der BGH-Entscheidung i. S. v. „… unsachgemäßer oder unwirtschaftlicher Arbeitsweise …“ und damit dem vom Schädiger im Verhältnis zum Geschädigten zu tragenden Werkstattrisiko.
Der Geschädigte konnte auch nicht erkennen, dass das ggf. eine übertriebene Reparaturmaßnahme war, sodass wegen Laienerkennbarkeit die Anwendung des Werkstattrisikos dennoch entfiele. Denn wenn der Schadengutachter und die Werkstatt das für richtig halten und ein Gerichtsgutachten eine abweichende Meinung vertritt, kann der Geschädigte nicht entscheiden, was richtig gewesen wäre. Welche der Einschätzungen objektiv richtig ist, ist also für die Ersatzfähigkeit der Kosten der Achsteilerneuerung nicht entscheidend. Folge: Der Versicherer muss an den Geschädigten leisten (LG Stendal, Urteil vom 28.07.2025, Az. 23 O 355/23, Abruf-Nr. 250286, eingesandt von Rechtsanwalt Martin Uschmann, Kanzlei Voigt Rechtsanwälte, Magdeburg).
Wichtig | Die Frage, welche der Einschätzungen objektiv richtig ist, stellt sich erst im Regress des Versicherers, der sinnvoller Weise gegen den Schadengutachter zu richten ist. Denn wenn das eine Übertreibung war, hat der die Ursache gesetzt. Wenn das keine war, wird er das Gericht im Regressverfahren davon überzeugen müssen.
- Rechtsanwaltstextbaustein RA078: Werkstattrisiko und die Abgrenzung von „Bei Gelegenheit“ zu „übertriebene Maßnahme“ → Abruf-Nr. 50564244
AUSGABE: UE 10/2025, S. 6 · ID: 50564168