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Umgang mit dem FinanzamtNeue Rechtsprechung lässt hoffen: Jetzt gegen verfassungswidrige Säumniszuschläge vorgehen

Abo-Inhalt26.01.20222076 Min. LesedauerVon Dipl.-Finanzwirt Marvin Gummels, Hage

| Versäumen Sie die Zahlungsfrist beim Finanzamt, werden Sie dafür hart bestraft. Es droht nicht nur die Zwangsvollstreckung, sondern das Finanzamt fordert auch für jeden angefangenen Monat der verspäteten Zahlung einen Säumniszuschlag von einem Prozent der rückständigen Steuer – also zwölf Prozent pro Jahr! Angesichts der verfassungswidrigen Höhe der Verzinsung nach §§ 233a, 238 AO mit 0,5 Prozent pro Monat stellt sich die Frage, ob Sie gegen diese Strafforderung vorgehen können und sollen. SSP zeigt Ihnen anhand der jüngsten BFH-Rechtsprechung, wie das geht. |

Säumniszuschläge bei verspäteter Zahlung

Setzt das Finanzamt Ihnen gegenüber Steuern durch Steuerbescheid fest, oder haben Sie eine Steueranmeldung beim Finanzamt abgegeben, ergibt sich dadurch auch die gesetzlich festgelegte Zahlungsfrist. Innerhalb dieser Frist müssen Sie die Steuer begleichen – spätestens bis zum letzten Tag. Lassen Sie die Frist verstreichen, wird für jeden angefangenen Monat der Säumnis ein Säumniszuschlag von einem Prozent des abgerundeten rückständigen Steuerbetrags fällig (§ 240 Abs. 1 S. 1 AO). Abzurunden ist auf den nächsten durch 50 Euro teilbaren Betrag. Der Säumniszuschlag bezieht sich dabei auf jede Steuerart und jeden Besteuerungszeitraum gesondert, sodass bei mehreren rückständigen Steuern eine mehrfache Abrundung erfolgt.

Beispiel

Gegen Max ist mit Bescheid vom 04.01.2022 eine ESt-Nachzahlung von 3.145 Euro festgesetzt worden. Max überweist die Nachzahlung am 11.02.2022.

Lösung: Der Bescheid gilt gemäß § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO als am 07.01.2022 bekannt gegeben. Die einmonatige Zahlungsfrist (§ 220 Abs. 1 AO i. V. m. § 36 Abs. 4 S. 1 EStG) läuft bis zum 07.02.2022. Da Max die Nachzahlung erst am 11.02.2022 leistet, entstehen für einen angefangenen Monat Säumniszuschläge. Diese betragen ein Prozent von 3.100 Euro (3.145 Euro abgerundet auf den nächsten durch 50 Euro teilbaren Betrag) und damit 31 Euro. Diese muss Max zusätzlich entrichten.

Praxistipps |

  • 1. Lassen Sie die Frist nur geringfügig (maximal drei Tage) verstreichen, sieht das Finanzamt von einer Erhebung der Zuschläge ab (§ 240 Abs. 3 S. 1 AO). Hätte Max die Steuer deshalb bis zum 10.02.2022 gezahlt, müsste er keine Säumniszuschläge zahlen. Dies gilt allerdings nur bei unbarer Zahlung, nicht aber bei Bar- bzw. Scheckzahlung (§ 240 Abs. 3 S. 2 i. V. m. 224 Abs. 2 Nr. 1 AO)
  • 2. Keine Säumniszuschläge entstehen gemäß § 240 Abs. 2 AO bei rückständigen steuerlichen Nebenleistungen. Deshalb sollten Sie – wenn die finanziellen Mittel nicht zur sofortigen Begleichung aller Schulden ausreichen – zunächst die Steuern tilgen (vgl. auch § 225 Abs. 2 AO).
  • 3. Sind Sie der Auffassung, dass das Finanzamt die Steuer zu hoch festgesetzt hat und legen Sie Einspruch ein, sollten Sie die Steuer dennoch zahlen oder Aussetzung der Vollziehung nach § 361 AO beantragen. Andernfalls sind auch dann Säumniszuschläge zu entrichten, wenn die Steuer durch den Einspruch nachträglich reduziert werden sollte (§ 240 Abs. 1 S. 4 AO).

So funktioniert der Einspruch gegen Säumniszuschläge

Sind Sie mit der Höhe der Säumniszuschläge nicht einverstanden, können Sie dagegen vorgehen. Wichtig zu wissen: Während Sie gegen einen Einkommensteuerbescheid z. B. nach §§ 347 ff. AO Einspruch einlegen können, funktioniert dies bei Säumniszuschlägen nicht. Denn diese entstehen kraft Gesetzes bei Verwirklichung des Tatbestands und sind bereits mit ihrer Entstehung fällig (§ 220 Abs. 2 S. 1 AO). Eine gesonderte Festsetzung durch Bescheid bedarf es nicht.

Dies ist auch der Grund dafür, dass Sie für Säumniszuschläge keine Bescheide erhalten. Das Finanzamt fordert die Zuschläge quasi „aus dem Gesetz heraus“. Dagegen setzen Sie sich wie folgt zur Wehr: Sie müssen zunächst auf Basis von § 218 Abs. 2 AO beim Finanzamt einen Abrechnungsbescheid hinsichtlich der zweifelhaften Säumniszuschläge beantragen. Dieser Abrechnungsbescheid stellt einen Verwaltungsakt dar – und diesen können Sie entsprechend §§ 347 ff. AO mit einem Einspruch anfechten.

Beispiel

Wie Beispiel 1, nur möchte Max gegen die Säumniszuschläge vorgehen.

Lösung: Max muss mit seinen Einwendungen einen Abrechnungsbescheid beantragen (§ 218 Abs. 2 AO). Dafür hat er mit Ablauf des Jahres 2022 regelmäßig fünf Jahre Zeit, da für die Säumniszuschläge die reguläre Zahlungsverjährung gilt (§ 228 AO). Gegen den Abrechnungsbescheid kann Max dann Einspruch einlegen.

Sind auch die Säumniszuschläge verfassungswidrig?

In das Thema „Säumniszuschläge“ ist aktuell viel Musik hineingekommen. Anlass dafür waren die Beschlüsse des BVerfG zur Verzinsung nach §§ 233a, 238 AO mit 0,5 Prozent pro vollem Zinsmonat, die das BVerfG als verfassungswidrig erachtet hat (BVerfG, Beschlüsse 08.07.2021, Az. 1 BvR 2237/14 und 1 BvR 2422/17, Abruf-Nr. 224140). Daraus resultiert auch für Säumniszuschläge die Frage, ob und inwieweit sie noch verfassungskonform sind. Es gibt dazu aktuell zwei Verfahrens- bzw. Handlungsstränge.

1. Hauptsacheverfahren zu Säumniszuschlägen

Wir haben zunächst einmal „richtige“ Klageverfahren. Das sind Verfahren, bei denen das Hauptverfahren resultierend aus einem Einspruch bei Gericht anhängig geworden ist. Hier gibt es zwei FG-Entscheidungen: Weil es der Steuerzahler selber in der Hand hat, ob Säumniszuschläge anfallen, stellt sich das Verfassungswidrigkeits-Thema bei Säumniszuschlägen nicht (FG Hamburg, Urteil vom 01.10.2020, Az. 2 K 11/18, Abruf-Nr. 226928; FG Düsseldorf, Urteil vom 22.04.2021, Az. 12 K 1420/20 AO, Abruf-Nr. 226927).

Praxistipp | Gegen beide Entscheidungen ist die Revision beim BFH anhängig. Die Musterprozesse tragen die Az. VII R 55/20 und VII R 19/21.

2. Verfahren über die Aussetzung der Vollziehung zu Säumniszuschlägen

Von den Hauptverfahren zu unterscheiden sind Verfahren zur Aussetzung der Vollziehung (AdV). Hier hatte ein Steuerzahler beim Finanzamt Einspruch eingelegt und parallel AdV als vorläufigen Rechtsschutz beantragt. Das Finanzamt hat bzgl. der Einsprüche noch nicht entschieden, die AdV aber abgelehnt. Dagegen hat der Steuerzahler Einspruch eingelegt, verloren und Klage erhoben. In solchen Verfahren haben die Gerichte sehr wohl Bedenken an der Verfassungsmäßigkeit geäußert, nämlich wie folgt:

  • In Säumniszuschlägen ist zumindest der Zinsanteil verfassungswidrig (BFH, Beschluss vom 26.05.2021, Az. VII B 13/21, Abruf-Nr. 226899).
  • Die Säumniszuschläge an sich sind verfassungswidrig: Diese Ansicht hat aktuell das FG Münster vertreten. Es argumentiert wie folgt: Da die Regelung zur gesetzlich festgelegten Höhe der Säumniszuschläge nur insgesamt verfassungsgemäß oder -widrig sein könne, geböten die bestehenden Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Höhe der Säumniszuschläge, die der BFH bereits geäußert habe, vorliegend eine vollständige Aufhebung der Vollziehung des Abrechnungsbescheids über die Säumniszuschläge zur Grunderwerbsteuer 2019 (FG Münster, Beschluss vom 16.12.2021, Az. 12 V 2684/21, Abruf-Nr. 227032).
  • Wichtig | Das FG hat die Beschwerde zum BFH zugelassen, das Finanzamt hat sie eingelegt (Az. II B 3/22).

Konsequenz für die Praxis

Da das BVerfG bereits bei den Zinsen entschied, dass der Gesetzgeber trotz Verfassungswidrigkeit ab dem 01.01.2014 erst ab dem 01.01.2019 zu einer Neuregelung verpflichtet ist, dürften auch Säumniszuschläge allenfalls ab dem 01.01.2019 eine (rückwirkende) Änderung erfahren. Sind Sie von Säumniszuschlägen ab dem 01.01.2019 betroffen, könnten Sie überlegen, einen Abrechnungsbescheid zu beantragen und gegen die geforderte Höhe vorzugehen. Berufen Sie sich dann auf die beim BFH anhängigen Verfahren, ruht das Einspruchsverfahren nach § 363 Abs. 2 AO.

Bedenken Sie aber, dass Sie einen Abrechnungsbescheid noch bis zum Eintritt der Zahlungsverjährung beantragen können. Sie können sich – solange kein Eintritt der Zahlungsverjährung droht und Sie mit einer sofortigen Zahlung des vollen Säumniszuschlags einverstanden sind – entspannt zurücklehnen und abwarten, wie der BFH (und evtl. das BVerfG) entscheiden wird.

AUSGABE: SSP 2/2022, S. 12 · ID: 47935724

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