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ReparaturkostenNachbesichtigungsverlangen muss gut begründet sein – Chancen und Risiken der Verweigerung

Abo-Inhalt13.06.20256844 Min. Lesedauer

| Der Versicherer verlangt die Nachbesichtigung des beschädigten Fahrzeugs, weil sein VN behauptet, nicht alle Beschädigungen seien von ihm verursacht. Der Geschädigte verweigert die Nachbesichtigung. Der Versicherer erstattet keinen Cent. Im Rechtsstreit bestätigt ein vom Gericht eingesetzter Gutachter, dass alle geltend gemachten Schäden aus dem Unfallereignis resultieren und Vorschäden im ursprünglichen Gutachten sauber abgegrenzt sind. Nun erkennt der Versicherer an, will jedoch die Kosten des Verfahrens nicht tragen. Muss er aber, sagt das LG Koblenz. |

Nachbesichtigung: Im Grundsatz nein – im Einzelfall evtl. doch

Die These des Versicherers lautet, das hätte er alles selbst gesehen, wenn er hätte nachbesichtigen dürfen. Dann hätte er gezahlt. Kern des Kostenstreits ist, ob der Versicherer sein Nachbesichtigungsverlangen nachvollziehbar begründet hat. Ursprünglich hat er sich nur auf das „Ist nicht alles von uns“ beschränkt. Erst, als im Rechtsstreit die Felle davonschwammen, hat er auf die Abgrenzung der im Gutachten genannten Vorschäden abgestellt.

Es ist allgemein anerkannt, so das LG Koblenz, dass ein Haftpflichtversicherer in der Regel keinen Anspruch auf die Nachbesichtigung des geschädigten Fahrzeugs habe. Im Rahmen des gesetzlichen Schuldverhältnisses zwischen dem Geschädigten und dem Versicherer seien aber auch dem Geschädigten in Grenzen Pflichten zur Rücksichtnahme auf den Versicherer bei der Schadensfeststellung auferlegt. Könne der Haftpflichtversicherer begründete Zweifel an der Richtigkeit des vom Geschädigten vorgelegten Privatgutachtens haben, verstoße der Geschädigte gegen die ihm obliegende Rücksichtnahmepflicht, wenn er dem vom Versicherer beauftragten Sachverständigen die Besichtigung des Fahrzeugs verwehrt, ohne einen dazu berechtigenden Grund zu haben.

Ohne sinnvolle Begründung kein Nachbesichtigungsverlangen

Aus den Schreiben des Versicherers ergäben sich jedoch keine ausreichend begründeten oder dargelegten Zweifel an der Richtigkeit des vom Kläger vorgelegten Privatgutachtens. Der Taktikwechsel im laufenden Rechtsstreit habe auf die vorgerichtliche Korrespondenz keinen Einfluss mehr.

Bloßes Bestreiten der geltend gemachten Schäden reicht nicht

Für den Geschädigten sei vorgerichtlich nicht erkennbar, dass der Versicherer Zweifel an der Richtigkeit des klägerischen Gutachtens habe, weil etwaige überlagernde Vorschäden nicht ausreichend berücksichtigt worden seien oder dazu keine ausreichenden Informationen vorgelegen hätten. Insbesondere reiche ein bloßes Bestreiten der Plausibilität sämtlicher vom Geschädigten geltend gemachter Schäden nicht aus, um die von dem Haftpflichtversicherer begehrte Nachbesichtigung ausreichend zu begründen. Der Geschädigte habe ein in sich schlüssiges Privatgutachten vorgelegt, das vorgerichtlich nicht näher angegriffen worden sei. Insbesondere seien im ursprünglichen Gutachten bereits die Vorschäden berücksichtigt. Dass es dem Versicherer aber gerade um diese Vorschäden gehe, habe er in keiner Weise vorgerichtlich deutlich gemacht. Es fehle, so das LG Koblenz, schlussendlich an einem genügend dargelegten und berechtigten Interesse des Versicherers an der begehrten Nachbesichtigung.

Also musste der Geschädigte davon ausgehen, dass er ohne gerichtliche Hilfe nicht zum Erfolg kommen werde. Damit hat der Versicherer Anlass zur Klage gegeben (AG Neuwied, Urteil vom 07.04.2025, Az. 41 C 299/23, Abruf-Nr. 248601 i. V. m. LG Koblenz, Beschluss vom 30.05.2025, Az. 10 T 2/25, Abruf-Nr. 248600, eingesandt von Rechtsanwältin Nicole Jordan-Hofmann, Neuwied).

Entscheidung zur Nachbesichtigung ist eine Gratwanderung

Das Urteil vom AG Neuwied und der Beschluss des LG Koblenz zeigen die Rechtslage klar und deutlich auf. Das auch im Hinblick auf den Wert des vom Geschädigten vorgelegten Schadengutachtens und die fehlende Relevanz pauschalen Bestreitens. Dennoch ist die Entscheidung, ob der Nachbesichtigung zugestimmt wird, in jedem Einzelfall eine Gratwanderung.

Langer Klage-Weg führt letztendlich zum Erfolg

Zum einen zeigt dieses Verfahren: Es war ein langer Weg. Die Klage ist ausweislich des Aktenzeichens noch 2023 beim AG Neuwied eingereicht worden, das Urteil stammt aus April 2025. Der LG Koblenz-Beschluss zur Kostenbeschwerde vom 30.05.2025 hat dann nicht mehr lange auf sich warten lassen.

Wäre nach einer Nachbesichtigung wenigstens schon mal ein Teil des Geldes geflossen oder gar alles? Das bedeutet im Erfolgsfall eine jedenfalls teilweise schneller geschaffene Liquidität. Da es sich im konkreten Fall um den in Vorschäden verliebtesten Versicherer von allen handelt, wäre das eher nicht zu erwarten gewesen. Ein gefundener Kratzer, und nach bisheriger Erfahrung wäre damit die Totalverweigerung zu erwarten gewesen. Andere Versicherer hätten vielleicht mit teilweiser Zahlung reagiert.

Abwägungsergebnis des Gerichts nicht zuverlässig vorhersehbar

Zum anderen aber ist das Abwägungsergebnis des Gerichts nicht zuverlässig vorhersehbar. Es mag Richter geben, die den „Nicht alles von uns“-Einwand dem Versicherer wohlwollend – weil genervt von solchen Klagen und vom „Was haben die denn zu verbergen“-Bauchgefühl gesteuert – bereits als vorgerichtlichen Vorschadeneinwand ausgelegt hätten.

Fazit | Am Ende ist das eine taktische Frage, die man nicht allgemeingültig mit „zulassen“ oder „verweigern“ beantworten kann. Bei diesem Versicherer mit seiner von außen betrachtet oft völlig irrationalen Reaktion auf Vorschäden war der gewählte Weg wohl der richtige.

Weiterführender Hinweis
  • Unter Einbeziehung der ergänzenden Nachbesichtigungsthemen aus der Ausgabe 6/2025 hat UE den modularen Textbaustein 632: Antwort auf Nachbesichtigungsverlangen (H) erstellt → Abruf-Nr. 50452137

AUSGABE: UE 7/2025, S. 12 · ID: 50451292

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