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GutachterhonorarVersicherer kämpft gegen Gutachterhonorarerstattung – und geht dabei aggressiv vor
| Für den Marktführer in der Kraftfahrtversicherung tritt seit einiger Zeit ein seinem Briefkopf nach in Breslau ansässiger Rechtsanwalt in der Abwehr der Gutachterhonorarerstattung auf, dessen quantitativ durchaus beeindruckende Schriftsätze an Aggressivität schwer zu überbieten sind. UE beleuchtet einige seiner immer wiederkehrenden Anwürfe. |

Kalkulation mit Preisen des Markenautohauses ist richtig
Fall 1: Der Versicherer meint, der Schadengutachter habe nicht mit angemessenen Stundenverrechnungssätzen und Ersatzteilpreisen kalkuliert, sondern mit den Preisen eines markengebundenen Autohauses. Das sei der Beweis dafür, dass das Schadengutachten gar nicht im Interesse des Geschädigten erstellt werde, sondern im ausschließlichen Interesse des Autohauses. Damit sei dann auch bewiesen, dass der Geschädigte gar nicht der Auftraggeber des Gutachtens sei, sondern in Wahrheit das Autohaus.
Die Rechtslage: Wenn der Geschädigte dem Schadengutachter mitteilt, dass er in dem Autohaus reparieren lassen wolle, konkretisiert sich der Schaden des Geschädigten auf dessen Preisniveau. Also ist es richtig, dass der Gutachter damit kalkuliert.
Welchen Anspruch der Geschädigte lt. BGH hat
Und selbst wenn das nicht so wäre: Der Geschädigte hat nach der Rechtsprechung des BGH, die dieser Versicherer offenbar nicht akzeptiert, stets Anspruch auf die Preise, die die örtliche Werkstatt der Marke berechnet – siehe Leitsatz a der Entscheidung des BGH vom 20.10.2009 (Az. VI ZR 53/09, Abruf-Nr. 133712). Erst wenn der Versicherer bei einem Fahrzeug, das älter als drei Jahre und nicht scheckheftgepflegt ist (a.a.O Leitsätze b und c), auf eine Verweisungswerkstatt verweist und die dabei angegebenen Preise der Verweisungswerkstatt der Wahrheit entsprechen (was oft nicht der Fall ist), kann das anders sein.
Wichtig | Also muss der Schadengutachter nach der Verpflichtung, die ihm der BGH auferlegt hat, die Preise des örtlichen Autohauses zugrunde legen. Denn der BGH sagt zu den Pflichten des Schadengutachters in seinem Urteil vom 13.10.2009, Az. VI ZR 205/08, Rz. 8, Abruf-Nr. 090691:
BGH-Wortlaut |
„Beauftragt der Geschädigte – wie im Streitfall – den Gutachter mit der Schadensschätzung zum Zwecke der Schadensregulierung, hat der Sachverständige das Gutachten unter Berücksichtigung der geltenden Rechtsprechung zum Schadensersatz bei Kfz-Unfällen zu erstellen.“ |
An gleicher Stelle hat der BGH noch ergänzt, „… dass der Gutachtensumfang durch den Gutachtensauftrag und nicht durch das Interesse des Haftpflichtversicherers des Unfallgegners an einer besonders Kosten sparenden Schadensabrechnung bestimmt wird.“
Wichtig | Also ist damit nur bewiesen, dass der Schadengutachter die Rechtslage kennt und akzeptiert, aber nicht, dass das Schadengutachten im Interesse oder gar im Auftrag des Autohauses erstellt wurde.
Angebliche Pflicht zum Widerruf des Gutachtenvertrags
Fall 2: Der Versicherer behauptet, der Geschädigte sei verpflichtet, den Gutachtenvertrag gegenüber dem Schadengutachter zu widerrufen. Hilfsweise tue das nun der Versicherer auf der Grundlage der „Geschäftsführung ohne Auftrag“.
Die Rechtslage: Verträge zwischen geschäftsfähigen volljährigen Parteien sind nicht per se widerrufbar. Sie sind es nur, wenn der Auftraggeber als Verbraucher und der Auftragnehmer als Unternehmer handelt und eine der Vertragsformen vorliegt, für die der Gesetzgeber ein Widerrufsrecht vorgesehen hat.
Handelt Geschädigter nicht als Verbraucher, hat er kein Widerrufsrecht
Bei all den Aufträgen an den Gutachter, bei denen der Geschädigte nicht als Verbraucher handelt, weil er selbst Unternehmer ist, ist der Vortrag, der Geschädigte sei zum Widerruf verpflichtet, von vornherein gegenstandslos. Denn dann gibt es unter keinem denkbaren Gesichtspunkt ein Widerrufsrecht.
Verbraucher hat nur unter Umständen ein Widerrufsrecht
Handelte der Geschädigte hingegen als Verbraucher, als er den Gutachtervertrag abschloss, käme ein Widerrufsrecht nur dann in Betracht, wenn ein Fernabsatzvertrag, ein Außergeschäftsraumvertrag oder ein verbundener Vertrag aus Werkvertrag und Darlehen vorläge.
Vortrags- und Beweislast für widerruflichen Vertrag liegt bei Versicherer
Noch in keinem der Aggressiv-Schriftsätze, die UE zu Gesicht bekam, hat der Anwalt zu den Voraussetzungen eines widerruflichen Vertrags auch nur vorgetragen. Da der nicht widerrufliche Vertrag der Normalfall ist und der, der sich auf einen widerruflichen Vertrag beruft, das für sich Günstige erreichen möchte, liegt die Vortrags- und Beweislast für einen widerruflichen Vertrag aber bei dem beklagten Versicherer. Auf der Basis der Schriftsätze, die UE bisher eingesehen hat, ist es also unerfindlich, warum der Geschädigte zum Widerruf des Gutachtenvertrags verpflichtet oder der Versicherer ersatzweise dazu berechtigt sein solle.
Wichtig | Wenn der Gutachtervertrag Auge in Auge im Gutachterbüro abgeschlossen wurde, gibt es kein Widerrufsrecht und damit von vornherein keine Verpflichtung des Geschädigten oder Berechtigung des Versicherers, den Gutachtervertrag zu widerrufen.
Geschädigter muss ordnungsgemäß belehrt werden
Wurde der Gutachtervertrag ohne gleichzeitige Anwesenheit von Gutachter und Geschädigtem (Verbraucher) mit systematisch eingesetzten Fernkommunikationsmitteln (was häufig vorkommt) oder bei gleichzeitiger körperlicher Anwesenheit von Gutachter und Geschädigtem (Verbraucher) außerhalb der Geschäftsräume des Gutachters (was ebenfalls häufig vorkommt) abgeschlossen, kommt es zunächst einmal darauf an, ob der Geschädigte ordnungsgemäß über sein Widerrufsrecht belehrt wurde. Weiterhin kommt es darauf an, ob dem Geschädigten zusätzlich ein vorgefertigtes Formular für seine Widerrufserklärung übergeben wurde. Kann beides bejaht werden, ist die 14-tägige Widerrufsfrist, beginnend mit der (auch virtuellen) Aushändigung des Gutachtens an den Geschädigten, längst verstrichen, wenn der Schriftsatz im Rechtsstreit eintrifft.
Widerrufsbelehrung und -formular fehlen – verlängerte Widerrufsfrist
Fehlt es hingegen (durchaus häufig, Motto: „Bis jetzt ist es ja immer gutgegangen …“) an der Belehrung oder (noch viel häufiger) an der Übergabe des Formulars für den Widerruf, verlängert sich die Widerrufsfrist auf 14 Tage plus ein Jahr. Ein probates Mittel ist es dann, die Klage auf Erstattung der restlichen Gutachtenkosten erst nach Ablauf dieses Zeitraums einzureichen. So entgeht man allen lästigen Diskussionen um die Frage des Widerrufs.
Nach Auffassung von UE kann der Versicherer den Geschädigten nicht verpflichten, den Gutachtervertrag zu widerrufen, selbst wenn die Voraussetzungen vorlägen. Der Sinn des Widerrufsrechts liegt im Schutz des Verbrauchers. Er liegt nicht im Schutz des Schädigers bei einem Verkehrsunfall.
Versicherer kann sich nicht an die Stelle des Geschädigten setzen
Weil das so ist, kann sich der Versicherer auch nicht an die Stelle des Geschädigten setzen und – ohne vom Geschädigten dazu bevollmächtigt zu sein – statt seiner den Gutachtervertrag widerrufen.
Denn: „Geschäftsführung ohne Auftrag“ setzt voraus, dass die Handlung im vermuteten Willen und Einverständnis dessen liegt, dessen Geschäft vollmachtlos geführt wird, hier also des Geschädigten. Auf den vermuteten Willen kommt es dann an, wenn der Vertretene selbst in dem Moment nicht in der Lage ist, zu handeln (Beispiel: der durch den Unfall im Krankenwagen abtransportierte Geschädigte und der Abschleppunternehmer, der erst danach eintrifft).
In den hier vorliegenden Fällen gibt es gar keinen Grund, auf der Grundlage eines vermuteten Willens zu handeln. Denn der Versicherer kann den Geschädigten ganz einfach fragen, welchen Willen er hat. Das tut er aber nicht.
Ein entgegenstehender Wille des Vertretenen ist nur dann unschädlich, wenn ohne die Geschäftsführung eine Pflicht des Vertretenen, deren Erfüllung im öffentlichen Interesse liegt, oder eine gesetzliche Unterhaltspflicht des Vertretenen nicht rechtzeitig erfüllt werden würde (§ 679 BGB). Davon kann hier keine Rede sein. Also muss der Geschädigte vor übergriffigem Verhalten des Versicherers behütet werden.
AUSGABE: UE 4/2025, S. 12 · ID: 50340350