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130-Prozent-Rechtsprechung/ReparaturkostenNicht mehr lieferbare Teile und Improvisationen: Kann Erstattung im 130-Prozent-Rahmen scheitern?

Abo-Inhalt24.03.20254661 Min. Lesedauer

| Wer ein Fahrzeug fährt, das in die Kategorie „Liebhaberobjekt“ gehört, tut das in der Regel nicht zufällig. Er mag dieses Fahrzeug, er hat es oftmals schon lange im Besitz oder nach intensiver Suche erworben, und er möchte es gern behalten. Also sind das prädestinierte Objekte für die 130-Prozent-Reparatur. Doch was ist, wenn sich der Hersteller schon vom Markt zurückgezogen hat und die Ersatzteile nur noch lückenhaft angeboten werden? Das führt in eine Leserfrage eines Schadengutachters. |

Frage: Unser Kunde hat einen Daihatsu Copen, also dieses kompakte Cabriolet, das auf dem deutschen Markt schon in der Zeit, als es ein aktuelles Fahrzeug war, nur in kleinen Stückzahlen am Markt war. Nun ist er damit unverschuldet verunfallt. Er möchte es repariert behalten. Wiederbeschaffungswert und durch uns als Schadengutachter kalkulierte Reparaturkosten geben das her. Doch es stellt sich ein Problem: Zwei Teile sind nicht mehr lieferbar, nämlich der Klimakondensator und ein Bauteil aus dem Verschlusssystem des Motordeckels. Der Klimakondensator könnte gerichtet werden. Das ist zwar keine perfekte Reparatur, aber es ist eine dauerhafte Lösung. Das Teil aus dem Haubenverschluss ist aus Kunststoff und kann mit zuverlässigem Haltbarkeitsergebnis geklebt werden. Gemessen am Standard „perfekt“ sind das aber dann doch Reparaturdefizite. Kann daran die Erstattung der Reparaturkosten im 130-Prozent-Rahmen scheitern?

Antwort: Nein. Die Reparatur ist der einzige technisch gangbare Weg, das Reparaturdefizit ist dem Geschädigten aufgezwungen.

Reparatur ist der einzige technisch gangbare Weg

Bei dem Klimakondensator könnte man noch einen Versuch unternehmen, eine Lösung im tatsächlichen Bereich zu finden: Es ist doch angesichts der auch weltweit kleinen Stückzahlen dieses Fahrzeugs nicht unwahrscheinlich, dass der kein „Daihatsu-exklusiv“-Teil war und ist, sondern baugleich auch bei anderen Fabrikaten asiatischer Provenienz verbaut wurde. Toyota war an Daihatsu beteiligt, vielleicht findet sich dort etwas Passendes. Wenn das ebenso erfolglos bleibt wie die Suche auf dem Gebrauchtteilmarkt (bei nur ca. 2.500 in Deutschland jemals zugelassen Copen ist die in der Tat nicht sehr erfolgversprechend), ist das Richten des Teils der einzige technisch gangbare Weg. Dasselbe gilt für den Schlossträger.

Vorbildentscheidung vom LG Dortmund zu Felgen-Fall

Es gibt eine Vorbildentscheidung des LG Dortmund: Eine Felge am Fahrzeug, das im Rahmen der 130-Prozent-Grenze repariert wird, ist beschädigt. Erst kurz vor Reparaturende stellt sich heraus, dass eine solche Felge nicht mehr lieferbar ist. Auf eine entsprechende Frage hin verweigert der Versicherer die „Vier neue“-Lösung. Daraufhin bleibt die beschädigte, aber legal nutzbare Felge am Fahrzeug. Nun wendet der Versicherer ein, weil die Felge noch am Fahrzeug sei, sei es nicht vollständig und fachgerecht im Rahmen der gutachterlichen Feststellungen repariert.

Das LG Dortmund entschied, der Anspruch auf Erstattung der Reparaturkosten sei gegeben. Das Integritätsinteresse des Geschädigten werde im Regelfall durch die vollständige und fachgerechte Reparatur im Rahmen der gutachterlichen Feststellungen belegt. Hier sei aber völlig klar, dass der Geschädigte eine solche Reparatur wollte, aus nicht von ihm zu verantwortenden Gründen aber das Ergebnis nicht erzielt werden konnte (LG Dortmund, Urteil vom 11.03.2022, Az. 430 C 7051/21, Abruf-Nr. 230279).

Grundsatz: Schadengutachten gibt Orientierung für Umfang

Zwar ist es die durchgehende Linie des BGH, dass das Gutachten die Orientierung für den einzuhaltenden Reparaturumfang gibt. Denn nur so ist eine objektive Überprüfung der Einhaltung der Anforderungen möglich. Doch es ist vom BGH auch geklärt, dass das Schadengutachten keine „absolute Bedeutung“ hat, Abweichungen also nicht per se den Anspruch zu Fall bringen: „Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts hat das vorgerichtlich eingeholte Sachverständigengutachten im Rahmen der Schadensschätzung, die sich grundsätzlich an den Preisen der markengebundenen Fachwerkstatt zu orientieren hat, jedoch keine absolute Bedeutung für die Frage, welche Reparaturkosten tatsächlich im Sinne des § 249 Abs. 2 S. 1 BGB ersatzfähig sind.“ (BGH, Urteil vom 02.06.2015, Az. VI ZR 387/14, Rz. 8, Abruf-Nr. 145197).

Wichtig | Orientierung einerseits und sklavische Befolgung andererseits sind eben etwas anderes.

In einem BGH-Fall mit heftigen Reparaturrückständen ist zu lesen: „Es sind Restunfallschäden vorhanden, die nur in einer Fachwerkstatt unter Einsatz einer Richtbank zu beheben wären. Insbesondere am Längsträger und am Radeinbau vorne rechts sowie an den Verbindungsstellen zum Frontblech befinden sich noch unfallbedingte Beschädigungen, deren Beseitigung einen Kostenaufwand von 3000 € erfordern würde. Entgegen der Auffassung der Revision handelt es sich hierbei nicht um unmaßgebliche Restarbeiten.“ (BGH, Urteil vom 15.02.2005, Az. VI ZR 70/04, Seite 15, Abruf-Nr. 050708). Der letzte Satz des Zitats legt nahe, dass es – anders als es im entschiedenen Fall war – durchaus auch „unmaßgebliche“ Abweichungen geben kann.

Reparaturdefizit ist dem Geschädigten aufgezwungen

Zurück zum Fall: Kann man das Kleben des Schlossträgers guten Gewissens als fachgerecht bezeichnen, liegt das zudem im Rahmen zeitwertgerechter Instandsetzung. Das macht also wenig Sorgen. Der Klimakondensator wird nach dem Richten auch wieder funktionsfähig, wenngleich nicht perfekt sein. Der Geschädigte hat da doch nicht „sparen“ wollen. Er wollte die perfekte Lösung, aber die gibt es nicht mehr. Da kann man sich nach Ansicht von UE durchaus an der oben zitierten Entscheidung des LG Dortmund orientieren.

Weiterführender Hinweis
  • Textbaustein 629: 130 Prozent-Reparatur: Wenn beim Klassiker Ersatzteile nicht mehr lieferbar sind (H), auf iww.de/ue → Abruf-Nr. 50362841

AUSGABE: UE 4/2025, S. 9 · ID: 50362765

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