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KinderfreibeträgeDie Nichtanhebung der Kinderfreibeträge kann verfassungswidrig sein: Jetzt Rechte wahren

Abo-Inhalt24.05.20225935 Min. LesedauerVon Steuerberaterin Reina Becker, Westerstede

| Im Steuerentlastungsgesetz 2022 ist nur der Grundfreibetrag erhöht worden. Verfassungsrechtlich geboten wäre es aber gewesen, auch die Kinderfreibeträge anzuheben. Das ist in der Vergangenheit parallel auch immer so praktiziert worden. Wahren Sie deshalb Ihre Rechte und stellen Sie einen „Herabsetzungsantrag“. SSP weist Ihnen den Weg. |

Darum geht es

Im Steuerentlastungsgesetz 2022 ist nur der Grundfreibetrag erhöht worden. Zwingend verfassungsrechtlich geboten wäre es aber aus meiner Sicht gewesen, auch die Kinderfreibeträge anzuheben.

Wer ist betroffen und was ist veranlasst?

Betroffen sind alle Steuerzahler, für die das Kindergeld und auch der Kinderbonus nur eine monatliche Erstattung zu viel einbehaltener Steuern ist. Denn die Einkommensteuer nimmt weder im Rahmen der Lohnsteuer noch bei Einkommensteuer-Vorauszahlungen Rücksicht auf Kinderfreibeträge.

In Anbetracht der bekannten Pro-Futuro-Rechtsprechung und der langen Verfahrensdauern (der Vorlagebeschluss des BVerfG zu den Kinderfreibeträgen stammt aus dem Jahr 2016, alle Steuerbescheide sind seit 2001 vorläufig hinsichtlich zu geringer Kinderfreibeträge), droht mal wieder die Gefahr, dass selbst bei einer positiven Entscheidung des BVerfG diese wieder nur unter Gewährung von möglichen Übergangsfristen für die Zukunft gelten wird, Eltern möglicherweise seit 2001 zu hohe Steuern zahlen und dies trotz Verfassungswidrigkeit nur für die Zukunft korrigiert werden wird.

Meine Empfehlung, um nicht erst auf die Veranlagung für 2022 warten zu müssen, lautet, jetzt einen Antrag auf Anpassung der laufenden Vorauszahlungen ab 6/2022 zu stellen und gegen eine – wahrscheinliche – Ablehnung Einspruch einzulegen (verbunden mit dem Antrag auf Aussetzung der Vollziehung). Einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung kann man erst nach Ablehnung mit Einspruch (oder Sprungklage) stellen. Je mehr vorläufiger Rechtschutz (Aussetzung bzw. Aufhebung der Vollziehung) beantragt und von den Finanzgerichten gewährt wird, desto größer ist die Chance, dass das BVerfG solche Weitergeltungsanordnungen unterlässt.

Antrag auf Anpassung laufender Vorauszahlungen stellen

Nachfolgend finden Sie einen entsprechenden Musterantrag wegen Nichtanhebung der Kinderfreibeträge im Rahmen des Steuerentlastungsgesetzes 2022, den Sie individuell auf Ihren Fall anpassen können. Der Antrag steht Ihnen zum Download auch auf ssp.iww.de → Abruf-Nr. 48361598 bereit.

Musterantrag / Herabsetzung der Einkomensteuervorauszahlungen 2022

Finanzamt ...

Ansprechpartner*in: Datum: 23.05.2022

Steuer-Nr.: ...

Antrag auf Herabsetzung der laufenden Vorauszahlungen ab dem zweiten Quartal 2022

Sehr geehrte Damen und Herren,

am 20.05.2022 hat der Bundesrat dem vom Bundestag am 12.05.2022 verabschiedeten Steuerentlastungsgesetz zugestimmt. U. a. wurde der Grundfreibetrag für 2022 von derzeit 9.984 Euro um 363 Euro auf 10.347 Euro erhöht.

Dies darf als Versuch angesehen werden, dem in Art. 1 GG grundrechtlich normierten Menschenwürdegrundsatz entsprechen zu wollen, der als Leitnorm an der Spitze unserer Verfassung steht und im Steuerrecht u. a. wegen der Sicherung des Existenzminimums für ein menschenwürdiges Dasein von Belang ist, also wegen der verfassungsrechtlichen Vorgabe, dass der Staat im Steuerrecht das Existenzminimum sowohl bei Erhebung direkter als auch indirekter Steuern zu verschonen hat (BVerfG vom 29.05.1990, Az. 1 BvL 20/84, 1 BvL 26/84, 1 BvL 4/86, BVerfGE 82 S. 60, 85 f.; vom 13.02.2008, Az. 2 BvL 1/06, BVerfGE 120 S. 125, 155; vom 03.05.1996, Az.1 BvC 1/55, BVerfGE 125, S. 175; Lang, StuW 2011 S. 144; Hey in Tipke/lang, 21. Aufl. 2013, § 3 Rz. 160 ff., zitiert nach Wichmann in Stbg 2/22, S. 41).

Das deutsche Steuerrecht benachteiligt insbesondere

  • Frauen in den alten Bundesländern aufgrund des Splittingprivilegs, das überwiegend männliche Erwerbseinkünfte entlastet und
  • Kinder, besonders volljährige Kinder, die von ihren Eltern unterhalten werden (müssen), da die für sie geltenden Kinderfreibeträge deutlich unter denen für „richtige“ Erwachsene geltenden Grundfreibeträgen liegen.

Das hat auch das Niedersächsische Finanzgericht in seinem umfangreichen Vorlagebeschluss vom 02.12.2016 (Az. 2 BvR 754/17) ausführlich und überzeugend dargelegt. Auf den Beschluss wird zur Begründung ausdrücklich verwiesen. Im aktuell beschlossenen Steuerentlastungsgesetz wurde erstmals neben dieser bereits bestehenden Benachteiligung nicht einmal eine parallel zur Erhöhung des Grundfreibetrags zwingend verfassungsrechtlich gebotene verhältnismäßige Erhöhung des Kinderfreibetrages vorgenommen.

Für Zwecke der Vorauszahlungen wird daher beantragt, für den volljährigen Sohn S, der im Studium keine eigenen Einkünfte erzielt und ausnahmslos von seinen Eltern unterhalten wird, statt des derzeitigen Kinderfreibetrags, den Grundfreibetrag für Erwachsene zu berücksichtigen. Die tatsächlichen Aufwendungen für ein auswärts studierendes Kindes liegen im Übrigen weit über diesem Grundfreibetrag.

Ebenso ist für die Tochter T in 2022 der Grundfreibetrag für eine Erwachsene zu berücksichtigen, da sie in 2022 durchgehend volljährig und bei Ihren Eltern steuerlich als Kind/Mensch zu berücksichtigen ist.

Kindergeld 2022 und Kinderbonus 2022 betragen zusammen 2.728 Euro (219 Euro x 12 + 100 Euro).

Ein Kinderfreibetrag in Höhe des Grundfreibetrages hätte bei meinem Mandanten die steuerliche Auswirkung von 10.347 x 42 % = 4.345,74. Es wird beantragt, die Vorauszahlungen 2022 um folgenden Betrag herabzusetzen, verteilt auf die Vorauszahlungstermine ab dem dritten Quartal 2022:

2 x (4.345,74 Euro ./. 2.728 Euro) = 3.235,48 Euro, also bezüglich der Einkommensteuer jeweils 1.078,50 Euro niedriger als derzeit festgesetzt.

Mit freundlichen Grüßen

AUSGABE: SSP 6/2022, S. 8 · ID: 48361555

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