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AnrechnungAußergerichtliche Teilzahlung: Das gilt für die Anrechnung der Geschäftsgebühr

Top-BeitragAbo-Inhalt09.07.20226356 Min. LesedauerVon RA Norbert Schneider, Neunkirchen

| In der Praxis ist die Anrechnung der Geschäftsgebühr bei der folgenden Konstellation kompliziert: Außergerichtlich werden eine Teilzahlung und eine aus dem Teilbetrag berechnete Geschäftsgebühr geleistet. Wegen des Restbetrags kommt es zu einem gerichtlichen Verfahren, in dem der Kläger teilweise Erfolg hat. Die folgenden Rechenbeispiele zeigen, worauf es dabei für eine korrekte Abrechnung ankommt. |

1. Das sind die Grundsätze

Wird vorgerichtlich eine Teilzahlung geleistet und der Restbetrag eingeklagt, ist im anschließenden Kostenfestsetzungsverfahren eine auf die Teilzahlung geleistete Geschäftsgebühr nicht anzurechnen.

Nach einem Teilerfolg im gerichtlichen Verfahren kann noch ein Restbetrag der Geschäftsgebühr aus dem Gesamterledigungswert verlangt werden. Dieser Restbetrag der Geschäftsgebühr berechnet sich zunächst aus dem Gesamterledigungswert. Dann sind die Anrechnung aus dem gerichtlichen Wert sowie die bereits geleistete Teilzahlung zu berücksichtigen.

2. Es kommt zunächst auf das Abrechnungsverhältnis an

Bei der Anrechnung geht es um zwei verschiedene Abrechnungsverhältnisse, zum einen zwischen dem Mandanten und seinem Rechtsanwalt und zum anderen zwischen dem Rechtsanwalt und dem Gegner.

Beispiel

Kläger K, vertreten durch Rechtsanwalt R, hat gegen A zunächst außergerichtlich Schadenersatzansprüche i. H. v. 742.812 EUR aufgrund eines ärztlichen Behandlungsfehlers geltend gemacht. Der Versicherer V des A hat daraufhin vorgerichtlich einen Betrag i. H. v. 251.886 EUR gezahlt und daraus eine 2,5-Geschäftsgebühr ersetzt.

Wegen der restlichen 490.926 EUR hat K Klage erhoben. Nach Abschluss eines Vergleichs über die Zahlung weiterer 155.000 EUR hat K eine 1,3-Verfahrensgebühr aus dem Wert von 490.926 EUR zur Festsetzung angemeldet. A wendet ein, dass die vorgerichtlich von V gezahlte Geschäftsgebühr zu 0,75 ganz oder teilweise angerechnet werden muss. Was gilt?

a) Außergerichtlicher Auftrag

Der außergerichtliche Auftrag des K an R ging dahin, Schadenersatzansprüche von 742.812 EUR geltend zu machen. Insoweit steht R eine – unstreitige – 2,5-Geschäftsgebühr aus diesem Wert zu. Die Vergütung des R beträgt:

Abrechnung des außergerichtlichen Auftrags

2,5-Geschäftsgebühr, Nr. 2300 VV RVG (Wert 742.812 EUR)

10.910,00 EUR

Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG

20,00 EUR

19 Prozent USt., Nr. 7008 VV RVG

2.976,70 EUR

13.006,70 EUR

b) Gerichtliches Verfahren

Im gerichtlichen Verfahren steht R eine Verfahrensgebühr aus 490.926 EUR zu. Die vorgerichtliche Geschäftsgebühr muss sich R hälftig anrechnen lassen, allerdings nur aus dem Wert von 490.926 EUR (Vorbem. 3 Abs. 4 S. 4 VV RVG). Hinzu kommen Termins- und Einigungsgebühr. Dies ergibt folgende Vergütung:

Abrechnung des gerichtlichen Auftrags

1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG (Wert 490.926 EUR)

4.600,70 EUR

anzurechnen gem. Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG, 0,75 aus 490.926 EUR

– 2.654,25 EUR

1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV RVG (Wert 490.926 EUR)

4.246,80 EUR

1,0-Einigungsgebühr, Nr. 1000, 1003 VV RVG (Wert 490.926 EUR)

3.539,00 EUR

Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG

20,00 EUR

19 Prozent USt., Nr. 7008 VV RVG

1.852,93 EUR

11.605,18 EUR

3. Dann kommt es auf das Erstattungsverhältnis an

Vom Abrechnungsverhältnis ist das Erstattungsverhältnis zu unterscheiden. Ein Schädiger muss die angefallene Geschäftsgebühr grundsätzlich nur nach dem sog. Erledigungswert ersetzen, d. h. nach dem Wert der insgesamt berechtigten Ansprüche.

a) Kostenerstattung aufgrund Teilzahlung

Soweit V für den A zunächst nur 251.886 EUR gezahlt hatte, schuldete A daraus auch eine 2,5-Geschäftsgebühr. Insoweit ergeben sich zunächst folgende zu ersetzende Anwaltskosten, die V auch gezahlt hat.

Erstattung außergerichtlicher Anwaltskosten

2,5-Geschäftsgebühr, Nr. 2300 VV RVG (Wert 251.886 EUR)

6.207,50 EUR

Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG

20,00 EUR

19 Prozent USt., Nr. 7008 VV RVG

1.183,23 EUR

7.410,73 EUR

b) Kostenerstattung im gerichtlichen Verfahren

Im gerichtlichen Verfahren schuldet A die anteilige Erstattung der gerichtlichen Rechtsanwaltskosten des K. Da sich der Streit im gerichtlichen Verfahren lediglich über die weiteren 490.926 EUR belief, können folglich nur aus diesem Betrag die Kosten zur Festsetzung angemeldet werden. Bei der Kostenausgleichung sind also zu berücksichtigen:

Kostenausgleichung

1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG (Wert 490.926 EUR)

4.600,70 EUR

1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV RVG (Wert 490.926 EUR)

4.246,80 EUR

1,0-Einigungsgebühr, Nr. 1000, 1003 VV RVG (Wert 490.926 EUR)

3.539,00 EUR

Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG

20,00 EUR

19 Prozent USt., Nr. 7008 VV RVG

2.357,24 EUR

14.763,74 EUR

Beachten Sie | Die Anrechnung der Geschäftsgebühr ist deshalb nicht nach § 15a Abs. 3 RVG zu berücksichtigen. Denn A bzw. V haben die Geschäftsgebühr nicht aus dem gerichtlichen Wert von 490.926 EUR gezahlt. Sie haben vielmehr die Gebühr nur aus dem Betrag i. H. v. 251.886 EUR gezahlt, der nicht Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens geworden ist. Eine Anrechnung nach § 15a Abs. 3 RVG erfolgt aber nur, wenn und soweit sich die Geschäfts- und die Verfahrensgebühr auf denselben Gegenstand beziehen.

Bei der Frage, ob ein Bezug zu demselben Gegenstand gegeben ist, wird auf den prozessrechtlichen Gegenstand abgestellt. Bereits in der Klage wird ersichtlich, dass der Gegenstandswert von 251.886 EUR prozessrechtlich nicht anhängig gemacht worden ist. Mithin ist auch keine Geschäftsgebühr wegen desselben Gegenstands nach Teil 2 VV entstanden und die Voraussetzungen der Vorbem. 3 Abs. 4 VV sind nicht gegeben.

Auch aus Vorbem. 3 Abs. 4 S. 4 VV wird deutlich, dass eine Anrechnung nach dem Wert des Gegenstands, der Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens ist, erfolgen muss. Ansonsten ist die Verfahrensgebühr anrechnungsfrei festzusetzen (vgl. LG Würzburg 31.3.22, 14 O 2373/20).

c) Restliche Kostenerstattung bei nachträglich höherem Erledigungswert

Zu berücksichtigen ist, dass sich aufgrund des Vergleichs der Erledigungswert erhöht hat. Es steht also im Nachhinein fest, dass die Summe der berechtigten Ansprüche des K außergerichtlich höher war, als sie zunächst bedient worden ist. Insoweit kann K jetzt auch noch Ersatz seiner weiteren Geschäftsgebühr aus dem Erledigungswert verlangen. Dabei ist allerdings jetzt zweierlei zu berücksichtigen:

Abrechnung bei Erledigung

2,5-Geschäftsgebühr, Nr. 2300 VV RVG (Wert: 406.886 EUR)

7.857,50 EUR

anzurechnen gem. Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG, 0,75 aus 155.000 EUR

- 1.452,75 EUR

abzüglich bereits gezahlter 2,5-Geschäftsgebühr aus 251.886 EUR

- 6.207,50 EUR

19 Prozent USt., Nr. 7008 VV RVG

37,48 EUR

234,73 EUR

  • Zum einen kann aus dem weiteren Erledigungswert keine gesonderte Geschäftsgebühr berechnet werden. Vielmehr ist eine Geschäftsgebühr aus dem Gesamterledigungswert zu berücksichtigen und davon die bereits gezahlte Geschäftsgebühr abzuziehen. Ein Rechtsanwalt kann die Gebühr gemäß Nr. 2300 VV RVG nämlich auch dann nur einmal aus dem Gesamtgegenstandswert – und nicht zweimal aus den (niedrigeren) Teilgegenstandswerten – verlangen, wenn die von ihm für seinen Mandanten geltend gemachte Forderung außergerichtlich nur teilweise erfüllt wird und ihm deshalb für den noch offenen Teil der Forderung Klageauftrag erteilt wird (BGH RVG prof. 15, 3).
  • Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass die Geschäftsgebühr aus dem Mehrbetrag von 490.926 EUR hälftig im gerichtlichen Verfahren anzurechnen gewesen wäre. Da dies im Nachhinein nicht mehr möglich ist, muss die Anrechnung der Geschäftsgebühr also bei der Geschäftsgebühr selbst berücksichtigt werden (AnwK-RVG/N. Schneider, 9. Aufl., § 15a RVG Rn. 115). Somit ergibt sich folgende Abrechnung:

Diesen Betrag muss A (bzw. V) zusätzlich zu der von V bereits gezahlten Geschäftsgebühr und zu den im gerichtlichen Verfahren zu erstattenden Kosten noch an K zahlen. A (bzw. V) zahlt also 234,73 EUR + 7.410,73 EUR = 7.645,46 EUR.

Die Richtigkeit dieser Abrechnung wird durch folgende Kontrollberechnung belegt:

Insgesamt muss A zahlen

vorgerichtlich

7.410,73 EUR

nachgerichtlich

234,73 EUR

7.645,46 EUR

Dies entspricht in Summe genau einer Geschäftsgebühr aus dem Erledigungswert abzüglich der hälftig anzurechnenden Geschäftsgebühr aus dem Wert des gerichtlichen Verfahrens.

Kontrollrechnung

2,5-Geschäftsgebühr, Nr. 2300 VV RVG (Wert: 406.886 EUR)

7.857,50 EUR

anzurechnen gem. Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG, 0,75 aus 155.000 EUR

– 1.452,75 EUR

Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG

20,00 EUR

19 Prozent USt., Nr. 7008 VV RVG

1.220,71 EUR

7.645,46 EUR

AUSGABE: RVGprof 10/2022, S. 173 · ID: 48407596

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