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ProzessrechtWas man vom Beschlussverfahren nach § 72 OWiG wissen muss

Abo-Inhalt13.08.2025141 Min. LesedauerVon Rechtsanwalt Detlef Burhoff, RiOLG a.D. Leer/Augsburg

| Häufig wird von Verteidigern übersehen, dass das AG nach einem Einspruch nicht nur im Wege der Hauptverhandlung entscheiden kann. Das OWiG räumt ihm in § 72 OWiG auch die Möglichkeit ein, ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss zu entscheiden. Wir stellen Ihnen die Vor- und Nachteile dieser Verfahrensweise vor und zeigen auf, worauf Sie bei dem Beschlussverfahren nach § 72 OWiG achten müssen. |

Checkliste 1 /  Allgemeine Fragen

Frage

Antwort

  • 1. Welche Vorteile hat das Beschlussverfahren?

Ein wesentlicher Vorteil des Beschlussverfahrens ist, dass nach § 72 Abs. 3 S. 2 OWiG das sog. Verschlechterungsverbot gilt. Das bedeutet, dass der ergehende Beschluss für den Betroffenen keine nachteiligeren Rechtsfolgen festsetzen darf als der Bußgeldbescheid (vgl. dazu Ziff. 3 ff.).

Praxistipp | Die Entscheidung des AG ist also für den Verteidiger und seinen Mandanten kalkulierbar.

Außerdem müssen Verteidiger und Betroffener nicht zu einer mündlichen Hauptverhandlung anreisen. Die könnte ggf. bei einem weiter entfernten AG stattfinden.

  • 2. Welche Nachteile hat das Beschlussverfahren?

Nachteilig ist, dass es nicht zu einer mündlichen Hauptverhandlung kommt. Denn dann ist der Tatrichter bei seiner Entscheidung auf deren Ergebnis beschränkt (§ 261 StPO). Im Beschlussverfahren kann er hingegen den gesamten Akteninhalt (gegen den Betroffenen) verwenden.

Praxistipp | Auch dem Rechtsbeschwerdegericht steht im Rechtsbeschwerdeverfahren (s. Checkliste 3) der gesamte Akteninhalt für seine Entscheidung offen (KG 8.9.22, 3 Ws (B) 209/22, zfs 22, 649; OLG Frankfurt a. M. NStZ-RR 02, 219; OLG Hamm, 5.1.16, 4 RBs 320/15).

  • 3. Wann ist das Verschlechterungsverbot des § 72 Abs. 3 S. 2 OWiG verletzt?

Grds. gilt, dass im Beschluss keine höhere Geldbuße und auch keine Nebenfolge festgesetzt werden darf, die nicht bereits im Bußgeldbescheid angeordnet war (Göhler/Seitz/Bauer, OWiG 19. Aufl., § 72 Rn. 56). Es darf also z. B. im Beschluss kein Fahrverbot verhängt werden, wenn dieses nicht schon Gegenstand des Bußgeldbescheids war.

  • 4. Welche Folgen hat ein Verstoß gegen das Verschlechterungsverbot?

Der Verstoß gegen das Verschlechterungsverbot eröffnet die Rechtsbeschwerde (vgl. Checkliste 3). Es ist dann § 79 Abs. 1 S, 1 Nr. 5 OWiG entsprechend anzuwenden und zu argumentieren, dass dieses (Beschluss-)Verfahren nicht vom Einverständnis des Betroffenen gedeckt war (Göhler/Seitz/Bauer, a. a. O., § 72 Rn. 76).

  • 5. Kann im Beschluss die Tat rechtlich anders eingeordnet werden?

Ja, das ist möglich. Der Begriff „Entscheidung“ in § 72 Abs. 3 S. 2 OWiG meint nur die Rechtsfolgenentscheidung. Das bedeutet, dass das AG z. B. im Beschluss von einer vorsätzlichen Geschwindigkeitsüberschreitung ausgehen kann, während die Verwaltungsbehörde im Bußgeldbescheid nur eine fahrlässige angenommen hat (Göhler/Seitz/ Bauer, a. a. O., § 72 Rn. 59).

  • 6. Darf die Geldbuße auch dann nicht erhöht werden, wenn im Beschluss von einem angeordneten Fahrverbot nach § 4 Abs. 4 BKatV abgesehen wird?

Doch, dann kann die Geldbuße erhöht werden. Nach Auffassung der Rechtsprechung ist eine Gesamtschau der Rechtsfolge vorzunehmen. Diese darf im Vergleich zu einer Gesamtschau der Sanktionen im Bußgeldbescheid keine nachteilige(re) Folge für den Betroffenen erkennen lassen (BGHSt 24, 11 = NJW 71, 666; BayObLG NJW 80, 849; OLG Hamm VRS 50, 50; OLG Stuttgart VRS 66, 467; Göhler/Seitz/Bauer, a. a. O., § 72 Rn 56, 58).

Praxistipp | Das gilt auch, wenn ein längeres Fahrverbot gegen Erhöhung der Geldbuße verkürzt wird.

  • 7. Wann kann das Beschlussverfahren durchgeführt werden?

Grds. ist das Beschlussverfahren in allen Fällen zulässig. Allerdings ist Voraussetzung, dass die Sachaufklärungspflicht keine Hauptverhandlung in Anwesenheit des Betroffenen erforderlich macht. Das wäre z. B. der Fall, wenn der Betroffene bestreitet, Fahrer des Pkw zum Vorfallszeitpunkt gewesen zu sein, und deshalb seine Identifizierung anhand eines Lichtbilds erforderlich ist. I. d. R. wird sich das Beschlussverfahren daher nur anbieten, wenn es um eine Rechtsfrage oder um die Rechtsfolgen geht (Einzelheiten bei Burhoff/Krenberger, OWi, Rn. 441 ff.; vgl. auch OLG Celle NJW 07, 2505).

  • 8. Wird das Beschlussverfahren nur von Amts wegen durchgeführt?

Nein. Das Beschlussverfahren kann auch vom Verteidiger angeregt werden. Das bietet sich vor allem an, wenn über das Verschlechterungsverbot die Rechtsfolgen des Bußgeldbescheids „festgeschrieben“ werden sollen und er bzw. der Mandant sich ggf. eine weite Anreise zu einem entfernteren AG ersparen will.

  • 9. Kann das Beschlussverfahren noch angeordnet werden, wenn die angesetzte bzw. begonnene Hauptverhandlung ausgesetzt worden ist?

Ja, beides ist nach h. M. möglich (vgl. OLG Brandenburg 25.7.19, (1 B) 53 Ss-OWi 99/19 (139/19); OLG Karlsruhe VRS 58, 263; Göhler,/Seit/Bauer § 72 Rn. 27 m. w. N.; Burhoff/Krenberger, OWi, Rn. 443; a. A. für die Durchführung des Beschlussverfahrens nach ausgesetzter Hauptverhandlung OLG Hamm VRS 57, 50).

  • 10. Hat das Beschlussverfahren für den Verteidiger gebührenrechtliche Auswirkungen?

Ja, nach Nr. 5115 Anm. 1 Ziff. 5 VV RVG entsteht für den Verteidiger die zusätzliche Verfahrensgebühr Nr. 5115 VV RVG, wenn das AG nach § 72 OWiG im Beschlusswege entscheidet (wegen der Einzelh. Burhoff/Volpert, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 7. Aufl., 2025, Nr. 5115 VV Rn. 47 ff.).

Praxistipp | Nach der Rechtsprechung gilt das auch, wenn nach einer bereits durchgeführten Hauptverhandlung noch ins Beschlussverfahren übergegangen wird (LG Cottbus zfs 07, 529; AG Dessau Köln AGS 07, 621).

Checkliste 2 / Verfahren, insbesondere Widerspruch

Frage

Antwort

  • 1. Welche Voraussetzungen müssen für die Durchführung des Beschlussverfahrens erfüllt sein?

Neben der allgemeinen Geeignetheit (vgl. dazu Checkliste 1) ist Voraussetzung, dass keiner der Widerspruchsberechtigten (vgl. Frage 2) der Entscheidung im Beschlussverfahren widersprochen hat (vgl. Frage 7 ff.).

Praxistipp | Das Beschlussverfahren ist außerdem nur zulässig, wenn der Betroffene auf die beabsichtigte Verfahrensweise zuvor hingewiesen worden ist (§ 72 Abs. 1 S. 2 OWiG; vgl. Frage 4 ff.). Der Hinweis ist nach § 72 Abs. 1 S. 3 OWiG allerdings entbehrlich, wenn der Amtsrichter den Betroffenen freisprechen will.

Nach § 33 Abs. 1 S. 1 Nr. 12 OWiG hat der Hinweis verjährungsunterbrechende Wirkung (s. a. OLG Celle 6.3.20, 2 Ss (OWi) 70/20).

  • 2. Wer ist widerspruchsberechtigt?

Widerspruchsberechtigt sind:

  • Staatsanwaltschaft,
  • Betroffener/Verteidiger,
  • gesetzlicher Vertreter des Betroffenen,
  • Erziehungsberechtigte des Betroffenen.
  • 3. Was gilt bei Uneinigkeit?

Können sich Betroffener und Verteidiger nicht einigen, geht der Widerspruch bzw. die Meinung des Betroffenen vor (BayObLG VRS 68, 469).

  • 4. Wie muss der Hinweis auf die beabsichtigte Entscheidung im Beschlussverfahren gestaltet sein?

Aus dem Hinweis an den Widerspruchsberechtigten muss sich eindeutig ergeben, dass ohne mündliche Hauptverhandlung im schriftlichen Verfahren entschieden werden soll. Zudem muss erläutert werden, dass die Möglichkeit des Widerspruchs besteht, der innerhalb einer Frist von 2 Wochen ab Zustellung des Hinweises erklärt werden muss.

Praxistipp | Der Hinweis muss (dem Betroffenen) nach § 72 Abs. 1 S. 2 OWiG förmlich zugestellt werden (Göhler/Seitz/Bauer, a. a. O., § 72 Rn. 41; OLG Köln NZV 92, 461). Ist der Hinweis nicht zugestellt worden, hat der Betroffene die Möglichkeit der Rechtsbeschwerde nach § 79 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 OWiG (vgl. dazu Checkliste 3). Ggf. muss der Hinweis wiederholt werden, wenn sich entscheidende Gesichtspunkte zwischen (erster) Hinweiserteilung und Fristablauf geändert haben (BayObLG 17.7.19, 202 ObOWi 1065/19; OLG Düsseldorf 4.10.18, 2 RBs 195/18; OLG Köln 7.12.22, 1 RBs 373/22).

  • 5. Kann eine kürzere Widerspruchsfrist bestimmt werden?

Nein, eine kürzere Frist ist unwirksam und gestattet nicht, vorzeitig durch Beschluss zu entscheiden.

  • 6. Reicht ggf. der Hinweis an den Verteidiger aus?

Ja. Aus dem ausdrücklichen Verweis in § 72 Abs. 1 S. 2 letzter Hs. OWiG auf § 145a Abs. 1, 3 StPO folgt jedoch, dass sich dann eine schriftliche Vollmacht des Verteidigers bei den Akten befinden muss (vgl. dazu Burhoff/Burhoff, OWi, Rn. 4043 ff.; OLG Köln NZV 92, 461; OLG Zweibrücken VA 08, 118; 09, 68).

  • 7. Ist der Hinweis in Sonderfällen ggf. entbehrlich?

Ja, auf den Hinweis kann z. B. verzichtet werden, wenn der Betroffene selbst das Beschlussverfahren angeregt oder bei Einlegung des Einspruchs erklärt hat, dem Beschlussverfahren werde nicht widersprochen (Göhler/Seitz/Bauer, § 72 Rn. 32; OLG Brandenburg DAR 16, 469; vgl. auch KG 7.11.23, 3 ORbs 222/23).

  • 8. Muss gegenüber dem AG widersprochen werden?

Nein. Hat der Betroffene bereits im an die Verwaltungsbehörde gerichteten Einspruchsschreiben einer Entscheidung nach § 72 OWiG widersprochen, wird diese Erklärung gegenüber dem AG wirksam (KG 9.12.21, 3 Ws (B) 337/21; OLG Zweibrücken 17.8.18, 1 OWi 2 Ss Bs 55/18). Erklärt das AG in der Folge, durch Beschluss entscheiden zu wollen, bleibt der Widerspruch wirksam (KG 9.12.21, 3 Ws (B) 337/21).

  • 9. Ist der Widerspruch gegen das Beschlussverfahren formbedürftig?

Nein, für den Widerspruch ist keine besondere Form erforderlich (vgl. KG 7.11.23, 3 ORbs 222/23, OLG Koblenz NStZ 91, 191). Er kann also schriftlich zu Protokoll des Urkundsbeamten, mündlich und sogar fernmündlich erklärt werden (OLG Hamm VA 01, 174; OLG Jena VRS 109, 123; OLG Koblenz, a. a. O.).

Praxistipp | Dem Umstand, dass der Widerspruch ggf. nicht zur Akte gelangt ist, kommt keine Bedeutung zu, da es nur auf den Eingang des Widerspruchs beim Gericht ankommt (OLG Düsseldorf 15.12.23, IV 4-ORBs 137/23).

  • 10. Kann der Widerspruch auch „konkludent“ erhoben werden?

Ja (zuletzt OLG Zweibrücken 28.5.25, 1 ORbs 4 SsBs 67/24). Ob in einer Äußerung des Betroffenen oder seines Verteidigers ein Widerspruch im Sinne von § 72 Abs. 1 S. 1 OWiG zu sehen ist, ist unter Berücksichtigung des konkreten Falls, des wirklichen Willens des Betroffenen und der Reichweite seiner abgegebenen Erklärung sowie dem Gebot eines fairen Verfahrens festzustellen. Dabei ist unter mehreren möglichen Erklärungsinhalten der für den Erklärenden günstigste anzunehmen.

  • 11. Rechtsprechung zu „konkludenten“ Widersprüchen

Widerspruch bejaht:

  • Bestreiten des dem Bußgeldbescheid zugrunde liegenden Sachverhaltes im gerichtlichen Verfahren (OLG Hamm VRS 58, 46),
  • Antrag auf Fristverlängerung durch den Verteidiger (OLG Hamm VRS 50, 305),
  • Antrag auf Ladung eines Sachverständigen (BayObLG DAR 72, 197, 209 bei Rüth),
  • Verlangen einer mündlichen Verhandlung (BayObLG DAR 76, 169, 179 bei Rüth) oder einer ergänzenden Beweisaufnahme (OLG Hamm JR 72, 208),
  • Ankündigung einer schriftlichen Stellungnahme zur beabsichtigten Entscheidung im Verfahren nach § 72 OWiG (Göhler/Seitz/Bauer, a. a. O., § 72 Rn. 40),
  • Einverständnis mit der Entscheidung im Beschlussweg nur für den Fall einer bestimmten Entscheidung (OLG Zweibrücken VA 08, 118),
  • Mitteilung des Verteidigers, dass eine „Einschätzung und Stellungnahme“ zu der seitens des AG beabsichtigten Verfahrensweise – einer Entscheidung im Beschlusswege – „erst nach der Gewährung von Akteneinsicht möglich“ sei (OLG Zweibrücken 28.5.25, 1 ORbs 4 SsBs 67/24).

Praxistipp | Erklären der Betroffene bzw. sein Verteidiger, dass sie mit dem Beschlussverfahren nur unter einer bestimmten Bedingung einverstanden sind, also dass z. B. kein Fahrverbot verhängt wird, kann nur nach § 72 OWiG entschieden werden, wenn sich das Gericht an die Bedingung hält (dazu OLG Brandenburg 28.2.19, (1 B) 53 Ss-OWi 40/19 (58/19), OLG Hamburg 10.9.18, 2 RB 44/18).

Als nicht ausreichend sind hingegen angesehen worden,

  • das bloße Bestreiten des Tatvorwurfs im Ermittlungsverfahren (BayObLG DAR 85, 233, 248 bei Rüth),
  • das Äußern einer anderen Rechtsauffassung als der, die dem Bußgeldbescheid zugrunde liegt (Göhler/Seitz/Bauer, a. a. O. § 72 Rn. 17 m. w. N.),
  • ein Terminsverlegungsantrag (KG JR 70, 430),
  • ein Antrag auf Verlängerung der Frist zur Stellungnahme (BayObLG DAR 74, 169, 187 bei Rüth).
  • 12. Welche Möglichkeiten hat der Betroffene, wenn sein Widerspruch nicht fristgerecht erhoben ist bzw. zu spät beim AG eingeht?

Nach § 72 Abs. 2 S. 1 OWiG ist der verspätete Widerspruch unbeachtlich. Das AG kann dann im Beschlussverfahren entscheiden. Der Betroffene kann dann aber gem. § 72 Abs. 2 S. 2 OWiG gegen den ergehenden Beschluss innerhalb von einer Woche nach Zustellung des Beschlusses Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragen.

Praxistipp | Der Wiedereinsetzungsantrag muss nach § 46 Abs. 1 OWiG i. V. m. § 45 Abs. 1 StPO beim AG gestellt werden. Der Verteidiger sollte in diesen Fällen auf jeden Fall auch die Rechtsbeschwerde erheben. Wird dem Wiedereinsetzungsantrag stattgegeben, ist die Rechtsbeschwerde gegenstandslos (§ 79 Abs. 3 S. 2 OWiG i. V. m. § 342 StPO). Er darf dann aber nicht versäumen, diese auch zu begründen, da die Begründungsfrist während des Wiedereinsetzungsverfahrens weiterläuft.

  • 13. Kann ein einmal erklärter Widerspruch zurückgenommen werden?

Ja, das ist möglich (u. a. OLG Brandenburg 1.4.16, (1 B) 53 Ss-OWi 16/16 (29/16); OLG Köln VA 13, 211; zur konkludenten Rücknahme OLG Bamberg zfs 16, 170). Damit ist dann der Weg ins Beschlussverfahren eröffnet.

Praxistipp | Das Schweigen des Betroffenen auf den entsprechenden Hinweis des AG auf eine beabsichtigte Entscheidung nach § 72 OWiG lässt den einmal erhobenen Widerspruch aber nicht gegenstandslos werden (BayObLG 10.11.20, 201 ObOWi 1369/20; OLG Hamm 13.1.22, III-5 RBs 392/21; OLG Zweibrücken 24.7.18, 1 OWi 2 Ss Bs 54/18).

  • 14. Kann der Amtsrichter im Beschlussverfahren weitere Ermittlungen durchführen?

Ja, das ist zulässig. Insoweit gilt § 71 Abs. 2 OWiG.

Praxistipp | Das Ergebnis dieser Ermittlungen darf aber nur zulasten des Betroffenen verwendet werden, wenn dem Betroffenen rechtliches Gehör gewährt worden ist (Göhler/Seitz/Bauer, a. a. O., § 72 Rn. 4, 47 ff.; zum rechtlichen Gehör auch KG 7.11.23, 3 ORbs 222/23).

  • 15. Welche Entscheidungen können im Beschlussverfahren ergehen?

Die Beschlussentscheidung kann – wie das Urteil – den Betroffenen verurteilen oder ihn freisprechen. Möglich ist auch die Einstellung des Verfahrens. Es ist darauf zu achten, dass die Einstellung des Verfahrens nach § 47 OWiG nicht unter die Vorschrift des § 72 OWiG fällt (OLG Dresden NZV 06, 447).

  • 16. Wie muss der Beschluss begründet werden?

Die Anforderungen an die Begründung des Beschlusses ergeben sich aus § 72 Abs. 4, 5 OWiG. Sie entsprechen denen bei einem Urteil (BayObLG VA 20, 35; OLG Frankfurt a. M. DAR 15, 149; OLG Hamm 9.5.19, 4 RBs 144/19).

Praxistipp | Haben sich die Verfahrensbeteiligten mit einer Beschlussentscheidung einverstanden erklärt und auf eine Begründung verzichtet, genügt an deren Stelle gemäß § 72 Abs. 6 S. 1 OWiG grundsätzlich der Hinweis auf den Inhalt des Bußgeldbescheids. Wird indes gegen die Entscheidung Rechtsbeschwerde eingelegt, sind nach § 72 Abs. 6 S. 3 OWiG die vollständigen Gründe innerhalb von fünf Wochen ab Einlegung der Rechtsbeschwerde zu den Akten zu bringen (OLG Saarbrücken 9.1.25, 1 Ss (OWi) 113/24).

  • 17. Welche Rechtswirkungen gelten?

Der Beschluss führt wie ein Urteil zum „Strafklageverbrauch“. Zudem tritt nach § 32 Abs. 2 OWiG das Ruhen der Verjährung ein.

  • 18. Was gilt zur Verjährungsunterbrechung?

Die Verfügung des Gerichts, auf Antrag des Verteidigers ohne Hauptverhandlung zu entscheiden, hat keine verjährungsunterbrechende Wirkung, wenn kein Hinweis im Sinne des § 72 Abs. 1 OWiG ergeht (OLG Naumburg DAR 25, 40).

Checkliste 3 /  Rechtsmittel

Frage

Antwort

  • 1. Welches Rechtsmittel steht gegen die Beschlussentscheidung zur Verfügung?

Grds. steht dem Betroffenen nur die Möglichkeit der Rechtsbeschwerde offen. Deren Zulässigkeit richtet sich nach § 79 OWiG. D. h.: Sie kommt vor allem in Betracht, wenn die gegen den Betroffenen festgesetzte Geldbuße mehr als 250 EUR beträgt bzw. ein Fahrverbot verhängt worden ist.

  • 2. Ist eine für den Betroffenen nachteilige Kostenentscheidung anfechtbar?

Eine nachteilige Kostenentscheidung ist für den Betroffenen jedenfalls nicht anfechtbar, wenn ihm gegen die Hauptentscheidung kein Rechtsmittel zusteht und er lediglich rügt, dass die Nebenentscheidung gesetzwidrig ergangen sei. In diesem Fall kann die Kostenentscheidung nur mit der Anhörungsrüge angegriffen werden (AG Landstuhl 31.1.22, 2 OWi 4211 Js 3063/21 (2)).

  • 3. Kann in den weniger bedeutenden Fällen die Zulassung der Rechtsbeschwerde beantragt werden?

Nein, die Zulassung der Rechtsbeschwerde nach § 80 OWiG kommt nicht in Betracht. § 79 Abs. 1 S. 2 OWiG spricht ausdrücklich vom „Urteil“ und nicht auch von einem Beschluss (vgl. u. a. KG zfs 23, 469; 24.1.24, 3 ORbs 280/23; OLG Bamberg 10.8.10, 2 Ss OWi 1297/10; OLG Brandenburg 18.2.08, 1 Ss [Owi] 266 B/07; OLG Köln NZV 89, 401). Legt der Betroffene gegen den Beschluss nach § 72 OWiG (sofortige) Beschwerde ein, wird dieses „Rechtsmittel“ in eine Rechtsbeschwerde umgedeutet (OLG Brandenburg NStZ-RR 05, 213).

  • 4. Gibt es besondere Zulässigkeitsvoraussetzungen für eine Rechtsbeschwerde?

Ja, über die „normalen Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 79 Abs. 1 Nr. 1-4 OWiG hinaus ist in Nr. 5 eine besondere Zulässigkeitsvoraussetzung für das Beschlussverfahren normiert. Danach ist die Rechtsbeschwerde (auch) zulässig, wenn

  • im Beschlussverfahren trotz ausdrücklich erklärtem Widerspruch des Betroffenen entschieden worden ist oder
  • dem Betroffenen sonst das rechtliche Gehör versagt wurde.
  • 5. Welche Rüge muss der Betroffene erheben?

Will der Betroffene geltend machen, das AG habe seinen Widerspruch übergangen, muss er die Verfahrensrüge erheben. Zur i. S. d. § 344 Abs. 2 S. 2 StPO ausreichenden Begründung gehört es, dass alle Verfahrensvorgänge in Zusammenhang mit dem Widerspruch vorgetragen werden müssen (vgl. OLG Brandenburg DAR 16, 469; OLG Bremen 4.9.14, 1 SsBs 42/14). Dazu gehört auf jeden Fall, dass vorgetragen wird, wann dem Betroffenen der Hinweis nach § 72 Abs. 1 S. 2 OWiG erteilt worden ist, dass er widersprochen hat und wann der Widerspruch beim AG eingegangen ist (vgl. u. a. OLG Rostock DAR 93, 481).

  • 6. Kann § 79 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 OWiG entsprechend angewendet werden?

Ja, sie wird entsprechend angewendet auf die Fälle, in denen dem Betroffenen keine bzw. nicht ausreichende Gelegenheit zum Widerspruch gegeben worden ist. Das ist z. B. der Fall, wenn ein Hinweis gar nicht erteilt wurde (BGHSt 24, 293; 27, 85 87 = NJW 77, 723; OLG Düsseldorf DAR 99, 129).

  • 7. Wie muss die Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs begründet werden?

Der Gehörsverstoß ist ebenfalls mit der Verfahrensrüge geltend zu machen. Für die gelten auch die strengen Anforderungen des § 344 Abs. 2 S. 2 StPO.

AUSGABE: VA 9/2025, S. 164 · ID: 50459942

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