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ErwerbsschadenErwerbsschaden bei Freiberufler im Rentenalter (Zahnarzt) hängt vom Einzelfall ab
| Bei einem Freiberufler oder einem Selbstständigen gibt es keine festen Altersgrenzen für das Ende des Erwerbslebens. Eine weitergehende Entschädigung für einen Erwerbsschaden hängt daher vom Einzelfall ab. |
Sachverhalt
Der damals 67-jährige Kläger, freiberuflicher Zahnarzt, wurde bei einem Verkehrsunfall 10/14 im Bereich beider Handgelenke verletzt. Das LG erkannte ihm u. a. Verdienstausfall von 11/16 – 5/21 zu. Mit seiner Berufung verlangte der Kläger weiteren Verdienstausfall von 1/21 – 5/21. Er behauptete, ohne den Verkehrsunfall (VU) auch 2021 (wie in den Jahren 11 bis 14) weiterhin einen Jahresumsatz von 400.000 EUR erzielt zu haben. Dem folgte das OLG Saarbrücken (17.1.25, 3 U 6/24, Abruf-Nr. 247128) nicht und zeigte die Grenzen auf.
Entscheidungsgründe
Auch bei Selbstständigen und Freiberuflern ist der Erwerbsschaden grundsätzlich zeitlich auf das Ausscheiden aus dem Erwerbsleben begrenzt. Anders als bei abhängig Beschäftigten gibt es aber keine festen Altersgrenzen. Es gibt auch keine Lebenserfahrung, dass ein Unternehmer oder freiberuflich Tätiger seine Tätigkeit im Regelrentenalter einstellt. Die Prognose, wie sich das Erwerbsleben ohne den VU entwickelt hätte, ist deshalb nach § 287 ZPO nach den Umständen des Einzelfalls zu treffen.
Daher lag für das OLG zunächst die Annahme fern, dass der 2021 inzwischen 74,5 Jahre alte Kläger ohne VU seine Zahnarzttätigkeit bereits beendet hätte. Indiz dafür: Er war schon bei dem VU 2014 ein bereits 68-jähriger Rentner, hatte gleichwohl die Zahnarztpraxis weiterhin betrieben. Dies allein belegte jedoch nicht, dass er denselben Umsatz gehabt hätte wie früher. Vielmehr sprach nach Ansicht des OLG folgende Lebenserfahrung eher dagegen:
- Die Arbeitskraft lässt ab einem gewissen Alter nach.
- Selbstständige, die über das gesetzliche Regelrentenalter hinaus tätig sind, reduzieren die Tätigkeit häufig.
- Ältere Menschen haben die im Wirtschaftsleben erforderliche körperliche und geistige Beweglichkeit ab einem Alter von 70 Jahren selten noch (vollständig).
- Sie sind nicht mehr fähig und bereit, die erforderlichen Anstrengungen (in vollem Umfang) auf sich zu nehmen.
Auf den Fall bezogen sah sich das OLG dadurch bestätigt, dass der Kläger schon seit 2018 bemüht war, die Praxis zu verkaufen, er seit 2019 – im Gegensatz zu den Vorjahren – nur noch in geringem Umfang und seit 2020 keine Vertretungen durch andere Zahnärzte mehr in Anspruch genommen hatte. Er war mithin nicht weiter bemüht, möglichst hohe Umsätze zu generieren bzw. Einkommensverluste abzufedern. In 6/21 hatte er alle Mitarbeiter entlassen, und die Praxis nur noch mit seiner Ehefrau in kleinem Umfang betrieben.
Dies alles legte für das OLG nahe, dass der Kläger auch ohne den VU im Jahr 2021 nicht mehr voll erwerbstätig gewesen wäre, sondern die Praxis nur noch als Teilerwerbstätigkeit fortgeführt hätte.
Relevanz für die Praxis
- Die Ersatzpflicht ist auf den Zeitpunkt begrenzt, an dem die Erwerbstätigkeit des Geschädigten auch ohne den Unfall geendet hätte.
- Liegen keine Besonderheiten in der Person oder den Lebensumständen des Geschädigten vor, ist bei abhängig Beschäftigten i. d. R. das vom Gesetzgeber vorgesehene Ende des Erwerbslebens (nur in Ausnahmefällen: das statistisch durchschnittliche Ausscheiden) zugrunde zu legen (BGH VersR 11, 229; BGH 5.10.10, VI ZR 186/08).Renteneintritt bei abhängig Beschäftigten
- Der Haushaltsführungsschaden wird regelmäßig auf das 75. Lebensjahr begrenzt (str., Ausnahme: LG Bremen 1.3.23, 4 O 1047/22, 92-jährige Klägerin).
- Bei Selbstständigen ist die Begrenzung der Ersatzpflicht in noch stärkerem Maße von den Umständen des Einzelfalls abhängig, weil es kein allgemeinverbindliches Ende gibt. Ein gewichtiger Anhaltspunkt war etwa bei Ärzten bis 2009 das Ende der Zulassung als Kassenarzt (68. Lebensjahr); die Zulässigkeit der Notartätigkeit ist nach wie vor auf das 70. Lebensjahr begrenzt. Bei der Prognose, wie lange Angehörige anderer Berufsgruppen wie Fliesenleger, Dachdecker, Maler, Architekten, Taxiunternehmer, Werbeagenturbetreiber, Bauunternehmer, Rechtsanwälte etc. (hierzu: OLG Dresden 22.5.18, 4 U 1231/17) etc. mutmaßlich gearbeitet hätten, wird maßgeblich auf die belegbare Leistungsbereitschaft des Geschädigten, seine in der Vergangenheit zum Ausdruck gekommene Zukunftsplanung, die Anforderungen der konkreten Tätigkeit an die körperliche und geistige Leistungsfähigkeit sowie die wirtschaftliche Lage abzustellen sein.Einzelfall-entscheidung bei Selbstständigen
AUSGABE: VA 9/2025, S. 158 · ID: 50455658