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SchadensminderungspflichtMuss sich der Geschädigte psychiatrisch behandeln lassen?

Abo-Inhalt18.08.202572 Min. Lesedauer

| Selbst schuld, urteilte das OLG Schleswig-Holstein bei einem Kläger, dessen im Jahr 2007 erlittene verkehrsunfallbedingte psychische Schädigung (PTBS) sich im Lauf der folgenden 17 Jahre zu einem chronischen Dauerschaden (Depression) einschließlich Arbeitsunfähigkeit chronifiziert hatte. |

Sachverhalt und Entscheidungsgründe

Der medizinische Sachverständige hatte konstatiert, dass eine rechtzeitig eingeleitete ambulante Psychotherapie bei dem Kläger „sehr wahrscheinlich“ eine Heilung oder zumindest wesentliche Besserung seiner psychischen Beschwerden herbeigeführt hätte; der Kläger wäre etwa drei Jahre nach der Erstdiagnose wieder arbeitsfähig gewesen. Das OLG begrenzte deshalb den Verdienstausfallschaden auf diesen Zeitraum (8/07 – 8/10) und wies die weitergehende Klage ab (4.3.25, 7 U 137/22, Abruf-Nr. 248819):

  • Dem Kläger war die Therapie möglich und zumutbar, weil die sichere Aussicht auf eine wesentliche Besserung bestand.
  • Kontraproduktiv: Selbstmedikation des Klägers von 9/07 bis 2/11.
  • Ablehnung der gebotenen psychotherapeutische Behandlung.
  • Abbruch einer bereits bei einer Neurologin Dr. B. zeitnah eingeleiteten psychiatrischen Behandlung im 9/07.
  • Unerheblich: Das fehlende Krankheitsverständnis des Klägers im Hinblick auf psychische Beschwerden sowie sein kulturell bedingtes „Selbstbild eines starken Mannes“.

Relevanz für die Praxis

Eine Pflicht, sich zur Minderung des Schadens ärztlich behandeln zu lassen, ist keine Selbstverständlichkeit. Körperliche Eingriffe wie Operationen sind dem Geschädigten nicht schon zumutbar, wenn der medizinische Sachverständige den Eingriff für empfehlenswert hält. Die Operation muss – was selten sein dürfte – einfach und gefahrlos sein, keine besonderen Schmerzen bereiten und eine sichere Aussicht auf Heilung oder wesentliche Besserung bieten (BGH r+s 94, 217; BGH VersR 87, 408; OLG Düsseldorf VersR 75, 1031, OLG Frankfurt a. M. r+s 06, 164: Fusion von Wirbelkörpern).

Eine psychiatrische Behandlung ist nur zumutbar, wenn sie mit der sicheren Aussicht auf eine wesentliche Besserung verbunden ist (BGH 21.9.21, VI ZR 91/19, NJW 21, 3656; OLG Schleswig-Holstein 31.1.23, 7 U 134/16). Soweit vorliegend trotz fehlendem Krankheitsverständnis und einer der Behandlung entgegenstehender kultureller Situation des Geschädigten die Zumutbarkeit bejaht wurde, ist das zweifelhaft; eine plausible, mithilfe des psychiatrischen Sachverständigen abgesicherte Begründung fehlt.

Kein Mitverschulden besteht bei Unterlassen einer Psychotherapie, deren Notwendigkeit der Verletzte infolge psychischer und intellektueller Anlage nicht erkennen kann (OLG Hamm 1.10.96, 27 U 25/95, NJW 97, 804).

AUSGABE: VA 9/2025, S. 152 · ID: 50455651

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