Sie sind auf dem neuesten Stand
Sie haben die Ausgabe Juni 2025 abgeschlossen.
AutokaufFernabsatz: Die Ausnahme zum Widerrufsrecht aus § 312g Abs. 2 Ziff. 1 BGB beim Neuwagenkauf
| Nicht bei jedem Kaufgegenstand hat der Verbraucher, der im Fernabsatz gekauft hat, ein Widerrufsrecht. Denn § 312g Abs. 2 BGB hält insoweit einige Ausnahmen bereit, z. B. für verderbliche Lebensmittel oder Lotterielose. Auch für den Autokauf kann § 312g Abs. 2 Ziff. 1 BGB von Bedeutung sein. |
§ 312g Abs. 2 BGB |
Das Widerrufsrecht besteht, soweit die Parteien nichts anderes vereinbart haben, nicht bei folgenden Verträgen:
|
1. Lagerfahrzeuge sind kein Gegenstand dieser Ausnahme
Für Gebrauchtwagen scheidet diese Regelung per se genauso aus wie für Fahrzeuge, die bereits beim Händler, beim Importeur oder beim Hersteller vorrätig und abrufbar sind. Denn es geht um Waren, die nicht vorgefertigt sind. Das begründet sich aus der ratio legis heraus: Es geht um solche Waren, die der Verkäufer nicht mehr sinnvoll vermarkten kann, wenn der Käufer, für dessen spezifische Anforderungen produziert wurde, ausfällt. Für Lagerwagen muss ohnehin ein Käufer gesucht und gefunden werden. Und wenn es nicht dieser ist, dann ist es eben jener.
2. Die Grundlagenentscheidung des BGH
Die Ausgangsentscheidung zu dieser Thematik ist das Urteil BGH vom 19.3.03, VIII ZR 295/01, Abruf-Nr. 031008. Die Normbezeichnungen dort beziehen sich auf ältere Gesetzesfassungen, ohne dass sich inhaltlich insoweit etwas geändert hat. Die Leitsätze der Entscheidung lauten:
- a) Eine Anfertigung der Ware nach Kundenspezifikation, bei deren Vorliegen das Recht des Verbrauchers zum Widerruf eines Fernabsatzvertrags ausgeschlossen ist, ist dann nicht gegeben, wenn die zu liefernde Ware auf Bestellung des Verbrauchers aus vorgefertigten Standardbauteilen zusammengefügt wird, die mit verhältnismäßig geringem Aufwand ohne Beeinträchtigung ihrer Substanz oder Funktionsfähigkeit wieder getrennt werden können.
- b) Die Darlegungs- und Beweislast für einen Ausschluss des Widerrufsrechts nach § 3 Abs. 2 FernAbsG (§ 312d Abs. 4 BGB) liegt bei dem Unternehmer, der sich auf den Ausnahmetatbestand beruft.
Der Verbraucher hatte im Fernabsatz ein konfiguriertes Notebook gekauft. So, wie die Teile beim Verkäufer „zusammengesteckt“ wurden, konnten sie auch wieder voneinander getrennt werden. Eine „Anfertigung nach Kundenspezifikation“ liegt, so der BGH, nicht vor: Das gelieferte Notebook war lediglich aus vorgefertigten Standardbauteilen zusammengefügt worden, die mit verhältnismäßig geringem Aufwand ohne Beeinträchtigung ihrer Substanz oder Funktionsfähigkeit wieder getrennt werden konnten.
Das Widerrufsrecht des Verbrauchers sei nur dann wegen Anfertigung der Ware „nach Kundenspezifikation“ ausgeschlossen, wenn der Unternehmer durch die Rücknahme der auf Bestellung angefertigten Ware erhebliche wirtschaftliche Nachteile erleidet, die spezifisch damit zusammenhängen und dadurch entstehen, dass die Ware erst auf Bestellung des Kunden nach dessen besonderen Wünschen angefertigt wurde. Nachteile, die mit der Rücknahme bereits produzierter Ware stets verbunden sind, würden nicht ausreichen. Diese habe der Unternehmer nach dem Gesetz hinzunehmen. Nur wenn der Unternehmer darüber hinausgehende besondere Nachteile erleide, die gerade durch die Anfertigung nach Kundenspezifikation bedingt sind, könne dem Unternehmer ein Widerrufsrecht des Verbrauchers und die damit verbundene Pflicht zur Rücknahme der Ware – ausnahmsweise – nicht zugemutet werden.
Darüber hinaus müssten die Angaben des Verbrauchers, nach denen die Ware angefertigt wird, die Sache so individualisieren, dass diese für den Unternehmer im Falle ihrer Rücknahme deshalb (wirtschaftlich) wertlos ist, weil er sie wegen ihrer besonderen Gestalt anderweitig nicht mehr oder nur noch mit erheblichen Preisnachlässen absetzen könne.
3. Die Übertragung dieser Grundsätze auf den Autokauf
Bezogen auf den Autokauf ist Grundanforderung, dass das Fahrzeug auf eine entsprechende Bestellung hin für den Käufer produziert wird. Ein solcher Fall lag dem OLG Stuttgart zur Entscheidung vor (11.3.25, 6 U 27/24, Abruf-Nr. 247147). Der Verbraucher hatte einen Pkw im Fernabsatz gekauft, den er im Hinblick auf Modell, Farbe, Lackierung und Innenausstattung, Anhängerzugvorrichtung, Antrieb, Motorisierung, Art der Felgen sowie Art des Autopiloten aus der entsprechenden Ausstattungsliste zusammengestellt hatte.
Zwar kann man – mit Ausnahme der Felgen und des Zughakens – die verbauten Merkmale nicht ohne Weiteres wieder vom Gesamtfahrzeug trennen, was zum Beispiel für die Farbe auf der Hand liegt. Allerdings besteht keine hohe Hürde beim Verkauf an jemand anderen. Nach unbestrittenem Klägervortrag waren eine Vielzahl von Modellen mit den klägerischen Spezifikationen im Gebrauchtwagenhandel verfügbar. Daher wäre das Fahrzeug nach Rücknahme für die Beklagte auch nicht nur noch mit erheblichen Schwierigkeiten oder sogar gar nicht mehr absetzbar. Soll heißen: Für eine Ausstattung, die man nicht als „sehr exotisch“ ansehen muss, findet sich immer ein Käufer. Das hätte ja auch ein Vorführwagen sein können. Moderate finanzielle Einbußen des Verkäufers wären dabei hinzunehmen, denn die sind das normale Risiko im Hinblick auf widerrufliche Verträge.
AUSGABE: VA 6/2025, S. 98 · ID: 50408663