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SchadenabwicklungNur mit Zahlungsanweisung und ohne Abtretung: Ohne Anwalt ist das „ohne Hemd und ohne Hose“

Top-BeitragAbo-Inhalt14.04.20255262 Min. Lesedauer

| Zwei Berufsverbände empfehlen ihren Mitgliedern, sich vom Kunden nicht mehr den Schadenersatzanspruch auf Erstattung der Reparatur- bzw. Gutachterkosten abtreten zu lassen. Stattdessen sollten sie nur mit einer Zahlungsanweisung arbeiten. Der Hintergrund: Bei offen abgetretener Schadenersatzforderung wird nach der Rechtsprechung des BGH der subjektbezogene Schadenbegriff in der Ausprägungsform des Werkstattrisikos bzw. des Sachverständigenrisikos nicht angewendet. Der auf den ersten Blick nachvollziehbare Vorschlag ist nicht zu Ende gedacht. UE erläutert, warum. |

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Wann der Verzicht auf eine Abtretung ein gangbarer Weg ist

UE hat von Anfang an die Auffassung vertreten: Der Verzicht auf eine Abtretung ist ein gangbarer Weg, wenn

  • ausnahmslos jeder Geschädigte den Schaden anwaltlich regulieren lässt und
  • ausnahmslos jeder Geschädigte bei Kürzungen des Schadenersatzanspruchs den Weg zum Gericht geht.

Wenn man jedoch die Erfahrung gemacht hat, dass nicht alle Geschädigten den Weg über anwaltliche Unterstützung gehen und erst recht nicht alle Geschädigten auch konsequent gerichtliche Hilfe in Anspruch zu nehmen bereit sind, dann ist das nur ein gangbarer Weg, wenn

  • man fest und unerschütterlich daran glaubt, dass Versicherer ausnahmslos korrekt regulieren, oder
  • man den gekürzten Betrag konsequent vom Geschädigten einfordert oder
  • den gekürzten Betrag ohne Umstände auszubuchen bereit ist.

Die Grundlagen: Abtretung und Zahlungsanweisung

Die Erwägungen dazu sind folgende: Mit der Abtretung wird die Werkstatt oder der Schadengutachter Inhaber der Schadenersatzforderung. Wenn man mit dem Kunden eine „Stille Abtretung“ vereinbart, die im Falle anwaltlicher Schadenregulierung dem Versicherer nicht offengelegt wird, darf der Geschädigte weiterhin die Forderung einziehen (BGH, Urteil vom 23.03.1999, Az. VI ZR 101/98 i. V. m. OLG Bremen, Urteil vom 18.08.2023, Az. 1 U 18/23, Abruf-Nr. 237278). Das kennt man ja auch von der Situation bei einer Darlehensaufnahme. In aller Regel tritt man dort auch den pfändbaren Teil seines Gehaltes an die Bank ab, darf aber dennoch monatlich das Geld vom Arbeitnehmer entgegennehmen. Hier wie dort wird die Abtretung nur im Notfall verwendet.

Zahlungsanweisung des Kunden an den Versicherer

Die Zahlungsanweisung des Kunden an den Versicherer, er möge die Erstattung auf die Reparaturkosten an die Werkstatt bzw. auf die Gutachterkosten an den Schadengutachter zahlen, ist eben nur eine Anweisung, dass der Versicherer das tun soll. Sie bringt die Werkstatt bzw. den Schadengutachter jedoch nicht in die Position, selbst vom Versicherer etwas fordern zu können.

Werkstatt erhält lediglich eine Empfangszuständigkeit

Der BGH sagt: „(Vollstreckungs-)Gläubiger bleibt auch in diesem Fall allein der Geschädigte. Die Werkstatt erhält lediglich eine Empfangszuständigkeit.“ (BGH, Urteil vom 16.01.2024, Az. VI ZR 253/22, Rz. 28, Abruf-Nr. 239194). Wer nicht Inhaber der Forderung ist, sondern nur eine Empfangszuständigkeit zugewiesen bekommt, kann auch nichts fordern. Er kann nur geduldig und in Demut auf den Empfang warten.

Passive Rolle von Werkstatt bzw. Schadengutachter

Ist der Kunde anwaltlich vertreten und ist die anwaltliche Vertretung im Umgang mit den vom BGH neu sortierten Spielregeln vertraut, ist diese passive Rolle von Werkstatt bzw. Schadengutachter nicht nur unproblematisch, sondern sogar gut.

Anwaltlich wird der Schadenersatz für den Geschädigten eingefordert und ein eventueller Rückforderungsanspruch des Geschädigten gegen die Werkstatt bzw. den Schadengutachter an den Versicherer abgetreten. Damit sind im Regelfall die Voraussetzungen für die Anwendung der Rechtsfigur des Werkstatt- bzw. Sachverständigenrisikos hergestellt. Der Versicherer muss ungekürzt zahlen – und verblüffend viele tun das auch.

Wichtig | Allerdings kann man derzeit Seiten füllen mit den Versuchen mancher Versicherer, den subjektbezogenen Schadenbegriff auszuhebeln – und einige bleiben auch mit ihren untauglichen Versuchen hart. Dann hilft nur noch die Inanspruchnahme des Gerichts. Ist der anwaltlich vertretene Geschädigte dazu bereit, ist es immer noch kein Problem, wenn nur mit der Zahlungsanweisung gearbeitet wird.

Wenn die Anspruchsinhaberschaft fehlt

Will der Geschädigte den konsequenten Weg aber nicht mitgehen, dann steht die Werkstatt bzw. der Schadengutachter ohne Hemd und ohne Hose da. Denn eigene Aktivitäten gegenüber dem Versicherer scheitern an der fehlenden Anspruchsinhaberschaft im Hinblick auf die Schadenersatzforderung. Nun gibt es nur drei denkbare Wege:

  • Das Geld vom Kunden verlangen.
  • Ausbuchen.
  • Den Kunden jetzt um eine Abtretung bitten.

Der erste Weg, nämlich der, konsequent den Kunden zur Kasse zu bitten, gilt vielen als geschäftspolitisch problematisch. Insbesondere der Schadengutachter steht vor der Herausforderung, dass der Serviceberater dem Kunden die Inanspruchnahme gutachterlicher Hilfe mit der Ansage schmackhaft gemacht hat, die Kosten dafür würden doch vom Versicherer getragen. Das streut Sand ins Getriebe.

Ausbuchen ist unerwünscht. Und den Kunden jetzt um eine Abtretung zu bitten heißt nicht selten, dem Kunden hinterherzulaufen.

Praxistipp | Einfacher hat es derjenige, der jetzt die Stille Abtretung aus dem Giftschrank, in dem sie bisher eingeschlossen war, herausholen kann.

Anwaltsunwilliger Geschädigter und keine Abtretung

Von der ersten Sekunde steht ohne Hemd und ohne Hose da, wer einen anwaltsunwilligen Kunden und keine Abtretung hat. UE liegen Vorgänge vor, in denen der Schadengutachter dann die Zahlungsanweisung und die Rechnung an den Versicherer geschickt hat. Der Versicherer hat nach seinem Gutdünken die Gutachterkosten erstattet, also nicht in voller Höhe.

Nun fasst der Schadengutachter beim Versicherer nach und bekommt sinngemäß die Antwort: „Wer sind Sie denn? Sie haben keine Abtretung vorgelegt, also müssen wir uns mit Ihrer Korrespondenz gar nicht befassen.“

UE sagt es nicht gern, aber der Versicherer hat damit ganz eindeutig recht. Damit ist das Ende der Fahnenstange erreicht.

Und so gibt es wieder nur drei denkbare Wege:

  • Das Geld vom Kunden verlangen.
  • Ausbuchen.
  • Den Kunden jetzt um eine Abtretung bitten.

Ersetzt man in dem Beispiel den Schadengutachter durch die Werkstatt, ist die Lage bei der gekürzten Erstattung auf die Werkstattrechnung identisch.

Wenn der Schadengutachter für den Kunden fordert

Einige Schadengutachter sind nun auf folgende Idee gekommen: Sie schreiben an den Versicherer, hier seien die Rechnung und die Zahlungsanweisung. Eine Abtretung gebe es nicht. Der Kunde sei auch bereit, eine Abtretung eventueller Rückforderungsansprüche gegen den Gutachter an den Versicherer zu erklären. Ihm müsse der Versicherer nur ein entsprechendes Formular schicken, dann schicke der Kunde das unterzeichnet an den Versicherer zurück. Damit sei die Voraussetzung für die Anwendung des subjektbezogenen Schadenbegriffs in der Ausprägungsform des Werkstattrisikos hergestellt. Und nun erwarte man das ungekürzte Geld.

Schadengutachter ist nicht der richtige Ansprechpartner

In einem UE vorliegenden Fall antwortet der Versicherer nicht, der Schadengutachter sei nicht der richtige Ansprechpartner. Das hat der Sachbearbeiter noch gar nicht erkannt. Stattdessen antwortet er, nach der Rechtsprechung des BGH sei das Werkstattrisiko nur anzuwenden, wenn der Geschädigte selbst die Forderung an den Versicherer stelle.

Auf den ersten Blick eine pfiffige Konstruktion gewählt

Der Schadengutachter antwortet abermals, es gebe aber keine Abtretung. Er schreibe und fordere nicht für sich. Er schreibe und fordere für den Kunden. Die Konstruktion ist auf den ersten Blick pfiffig: „Vorn“ gibt es keine Abtretung der Schadenersatzansprüche. „Hinten“ wird die Vorteilsausgleichsabtretung angeboten. Das sind die Zutaten des Sachverständigenrisikos. Das hat der Versicherer tatsächlich nicht durchschaut.

Der Verstoß gegen das Rechtsdienstleistungsgesetz

Doch eines scheint UE sicher zu sein: Da ist es wieder, das Rechtsdienstleistungsgesetz, das auf der Abtretungsschiene sauber entschärft wurde. Denn der BGH hat entschieden: Die Einziehung der abgetretenen Schadenersatzforderung ist eine erlaubte Nebenleistung zur Hauptleistung der Gutachtenerstellung gemäß § 5 Abs. 1 S. 1 RDG (BGH, Urteil vom 31.01.2012, Az. VI ZR 143/11, Abruf-Nr. 123101. Das Urteil bezieht sich zwar auf die Einziehung der abgetretenen Forderung durch einen Autovermieter, das ist aber auf die Situation Werkstatt oder Schadengutachter übertragbar).

Im beschriebenen Fall des Schadengutachters geht es aber nicht um die Einziehung einer abgetretenen Forderung durch den Schadengutachter als Nebenleistung zur Hauptleistung. Stattdessen schwingt sich der Gutachter zur quasianwaltlichen Vertretung des Geschädigten auf und versucht, ohne selbst Forderungsinhaber zu sein, dem Versicherer im konkreten Einzelfall die Rechtslage zu erklären. Und zusätzlich organisiert er die Vorteilsausgleichsabtretung des Geschädigten an den Versicherer. Das ist nach Auffassung von UE ein klarer Verstoß gegen das Rechtdienstleistungsgesetz.

Wichtig | Daraus allerdings kann der Versicherer unmittelbar keinen Honig saugen. Er kann nur einen ihm geneigten Anwalt finden, der den Schadengutachter abmahnt.

Wenn der Versicherer nicht korrekt zahlt

Ob er es nun mit dem richtigen Argument tut oder mit dem falschen: Der Versicherer erstattet die Gutachterkosten nicht korrekt. Und nun?

Der Geschädigte, der anwaltliche Unterstützung von Anfang an abgelehnt hat, wird nun kaum leichterhand umschwenken und den Versicherer auf die Differenz verklagen. Aus eigener Kraft kann der Gutachter nicht agieren. Denn er ist nicht Forderungsinhaber. Und so gibt es wieder nur drei denkbare Wege:

Praxistipp | Letzteres muss derjenige nicht tun, der eine Stille Abtretung in petto hat und diese Karte jetzt ziehen kann.

  • Das Geld vom Kunden verlangen.
  • Ausbuchen.
  • Den Kunden jetzt um eine Abtretung bitten.

Ohne subjektbezogenen Schadenbegriff weiterkämpfen

Wenn der Geschädigte nun doch noch eine Abtretung des Anspruchs auf Erstattung der Gutachterkosten erklärt oder die Stille Abtretung aktiviert wird, ist eines sicher: Ab jetzt wird ohne die Segnungen des subjektbezogenen Schadenbegriffs weitergekämpft. Das gilt auch dann, wenn der Geschädigte auf Initiative des Schadengutachters oder der Werkstatt dem Versicherer die Vorteilsausgleichsabtretung zuvor quasi aufgedrängt hat.

Wichtig | Denn dann ist die „dolo agit“-Situation entstanden: Arglistig handelt, wer etwas fordert, was er sofort zurückgeben muss. Jetzt stehen sich nämlich die Forderung von Gutachter oder Werkstatt auf Erstattung der restlichen Kosten und die Gegenforderung des Versicherers auf Rückzahlung als gegenseitige Forderungen (§ 387 BGB) gegenüber. Zwar ist nicht sicher, dass der Rückforderungsanspruch, den der Versicherer behauptet, auch besteht, Aber das muss in diesem Prozess dann geklärt werden. Also geht es um die Details.

Wie sinnvoll ein Rechtsstreit aus abgetretenem Recht noch ist

Für die Schadengutachter, die im Rahmen der BVSK-Befragung abrechnen, ist ein Rechtsstreit gegen den Versicherer aus abgetretenem Recht des Geschädigten noch immer ein tragbares Risiko. Denn Abrechnungen in diesem Rahmen halten bei nahezu jedem Gericht einer auch objektiven Überprüfung stand. Die Zeithonorarkampagne der Allianz darf als auf ganzer Linie gescheitert gelten.

Verhältnis zwischen Kostenrisiko und einzufordernden Restbeträgen

Für die Werkstätten sieht die Welt da deutlich schlechter aus. Da muss man unterscheiden: Ist nur eine Rechtsfrage betroffen oder wird wegen technischer Details voraussichtlich ein Gutachter im Auftrag des Gerichts tätig? Denn in letzterem Fall steht das Kostenrisiko in keinem sinnvollen Verhältnis zu den oftmals nur kleinen einzufordernden Restbeträgen.

Eine Rechtsfrage wäre z. B., wenn der Versicherer die Notwendigkeit einer Probefahrt nicht bestreitet, aber meint, aus Rechtsgründen dürfe die nicht berechnet werden. Wer da die ständige Rechtsprechung des Gerichts kennt, trägt kein großes Risiko.

Kostenexplosion durch das Gerichtsgutachten droht

Eine riskante technische Frage wäre z. B. die Behauptung, der Schaden sei zu aufwendig beseitigt. Instandsetzen statt zu erneuern wäre der richtige Weg gewesen. Oder bei der Farbe oder dem ohnehin mit einer Sichtkante versehenen Bauteil wäre eine Farbangleichung nicht notwendig gewesen. Deshalb sei das Teil auch in ausgebautem Zustand zu lackieren gewesen. Dann droht stets die Kostenexplosion durch das Gerichtsgutachten.

Weiterführender Hinweis
  • Beitrag „Ab sofort ohne Abtretung des Schadenersatzanspruchs auf Erstattung der Gutachterkosten?“, UE 8/2024, Seite 9 → Abruf-Nr. 50097922

AUSGABE: UE 5/2025, S. 6 · ID: 50386516

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