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Operation an den Geschlechtsmerkmalen eines KindesKorrektur der Genitalfehlbildung des Kindes – das sind die Voraussetzungen für eine OP

Abo-Inhalt07.04.20254146 Min. LesedauerVon RAin Dr. Gudrun Möller, FAin Familienrecht, BGM Anwaltssozietät, Münster

| Fehlt bei einem Kind mit einer Variante der Geschlechtsentwicklung die eine korrigierende Operation befürwortende Stellungnahme einer interdisziplinären Kommission, und damit eine entsprechende Vermutung nach § 1631e Abs. 3 S. 3 BGB, ist fraglich, ob eine solche Operation erfolgen darf. Das OLG Hamm hat diese Frage in einer aktuellen Entscheidung geklärt. |

Sachverhalt

Die dreijährige Tochter T leidet wie auch ihr Bruder S am androgenitalen Syndrom vom 21-Hydroxylase-Defekt (AGS), was bei ihr zu Missbildungen an der Vagina führt. Die Eltern M und V möchten diese Fehlbildung der T operativ versorgen lassen. Nachdem das Jugendamt (JA) zwischenzeitlich auf die unzureichende medizinische Versorgung der Kinder aufmerksam wurde und diese in Obhut genommen hatte, protokollierte das AG später eine Vereinbarung, nach der das JA S und T an M und V übergibt und die regelmäßige Medikamentengabe sicherstellt. Das AG schloss im weiteren Verlauf das Verfahren mit dem Beschluss, dass keine weiteren familiengerichtlichen Maßnahmen nötig sind.

In der vorliegenden Sache begehren M und V eine familiengerichtliche Genehmigung für eine Operation (OP) der T. Das AG hat ihnen mit Beschluss aufgegeben, sich gem. § 167b Abs. 2 S. 3 FamFG über den Umgang mit Varianten der Geschlechtsentwicklung beraten zu lassen und hierüber eine Bestätigung vorzulegen. Die Beratung müsse durch eine Beratungsstelle oder einen Beratungsdienst der Träger der Kinder- und Jugendhilfe erfolgen. M und V legten eine Bescheinigung des Klinikums Z vor. Später ließen sich M und V nochmals beraten bei der D. e. V. Das AG hat durch den angefochtenen Beschluss die Genehmigung abgelehnt. Dagegen wenden sich M und V erfolgreich mit ihrer Beschwerde (OLG Hamm 4.2.25, 4 UF 164/24, Abruf-Nr. 246955).

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist begründet. Sie führt zur Abänderung der amtsgerichtlichen Entscheidung und dazu, dass die familiengerichtliche Genehmigung in die beabsichtigte OP erteilt wird.

Der beabsichtigte Eingriff zur operativen Korrektur des vermännlichten („virilisierten“) äußeren Geschlechtsteils von T ist gem. § 1631e Abs. 2 und 3 BGB genehmigungsfähig und -bedürftig. Die Eltern können nach § 1631e Abs. 1 und 2 BGB in die Operation (OP) einwilligen, bedürfen dafür aber gem. Abs. 3 dieser Vorschrift der Genehmigung des Familiengerichts. Bei T handelt es sich i. S. v. § 1631e Abs. 2 BGB um ein Kind mit einer Variante der Geschlechtsentwicklung. Dieses Tatbestandsmerkmal stellt eine Sammelbezeichnung dar, die verschiedene Erscheinungsformen und ärztliche Diagnosen umfasst (MüKo/Huber, BGB, 9. Aufl., § 1631e Rn. 5). Der Gesetzgeber ging davon aus, dass eine solche Variante vorliegt, wenn „bei dem Kind eine Inkongruenz bezüglich der geschlechtlichen Einordnung des chromosomalen, gonadalen, hormonellen oder genitalen Status“ vorliegt – letztlich also, wenn eine eindeutige Einstufung in männlich oder weiblich nicht möglich ist (Huber, a. a. O.). Das ist hier der Fall. Unstreitig ist T ein Mädchen, dessen primäres Geschlechtsteil wegen der hormonellen Störung an dasjenige eines Jungen angenähert ist. Es geht um einen operativen Eingriff an den inneren oder äußeren Geschlechtsmerkmalen i. S. v. § 1631e Abs. 2 BGB. Die beabsichtigte OP soll das äußere Genital von T, das „vermännlicht“ ist, operativ korrigieren.

T ist mit ihren drei Jahren nicht fähig, selbst in die Operation einzuwilligen. Eine Einwilligung der Eltern ist weder gem. § 1631e Abs. 1 BGB noch gem. § 1631e Abs. 2 S. 1 BGB ausgeschlossen. § 1631e Abs. 1 BGB steht der elterlichen Einwilligung nicht entgegen. Nach dieser Vorschrift umfasst die Personensorge der Kindeseltern nicht das Recht, in eine Behandlung einzuwilligen, die allein in der Absicht erfolgt, das Erscheinungsbild des Kindes an das des männlichen oder weiblichen Geschlechts anzugleichen, ohne dass ein anderer Grund vorliegt. Darum geht es hier aber nicht. Denn die Angleichung ist medizinisch indiziert. Da bei T ein vaginaler Ausgang fehlt, müssen Körperflüssigkeiten über den engen Harnleiter abgeleitet werden, die normalerweise aus der Scheide fließen können. Für T besteht daher schon gegenwärtig eine Gesundheitsgefahr, wie z. B. eine Blasenentzündung.

Auch § 1631e Abs. 2 BGB schließt die Einwilligung der Eltern in die beabsichtigte Operation nicht aus. Der Eingriff kann nicht bis zu einer selbstbestimmten Entscheidung von T hinausgeschoben werden, wegen der schon derzeit bestehenden Gefahr des Auftretens von Entzündungen. Ein Zuwarten würde T für mehrere Jahre gesundheitlichen Gefahren aussetzen.

Im Übrigen sprechen auch psychische Aspekte dafür, den Eingriff so früh wie möglich durchzuführen. T wird in absehbarer Zeit die eigene „Andersartigkeit“ bewusster wahrnehmen und darunter womöglich stärker zu leiden beginnen. Kinder können einen solchen Eingriff besser verarbeiten, je jünger sie sind.

Merke | Die Einwilligung der Eltern bedarf der familiengerichtlichen Genehmigung, § 1631e Abs. 3 BGB. Diese wäre nur ausnahmsweise entbehrlich, wenn der operative Eingriff erforderlich wäre, um eine Gefahr für Leben oder Gesundheit des Kindes abzuwenden und nicht bis zur Genehmigung aufgeschoben werden könnte. Hier kann bis zur Entscheidung über die Genehmigung zugewartet werden, ohne dass die Gesundheit von T konkret gefährdet wäre.

Die Voraussetzungen für die Genehmigung liegen vor. Der geplante Eingriff entspricht i. S. v. § 1631e Abs. 3 S. 2 BGB dem Wohl des Kindes am besten. Da eine befürwortende Stellungnahme einer interdisziplinären Kommission fehlt und damit keine entsprechende Vermutung nach § 1631e Abs. 3 S. 3 BGB besteht, ist die Kindeswohldienlichkeit nach einer umfassenden Interessenabwägung zu prüfen. In diese sind insbesondere die Auswirkungen des geplanten Eingriffs, die Frage des Vorhandenseins möglicher alternativer Eingriffe und Behandlungen, die Reichweite der Veränderungen am Körper des Kindes, die Frage der künftigen Reversibilität sowie die Erforderlichkeit einer dauerhaften Nachbehandlung einzubeziehen (Huber, a. a. O., § 1631e Rn. 27). Eine umfassende Interessenabwägung nach diesen Kriterien führt zu dem Ergebnis, dass die Genehmigung der OP dem Wohl von T am besten entspricht.

Nach der Gesetzesbegründung zu § 1631e BGB können gem. dieser Norm u. a. auch solche Eingriffe genehmigt werden, die „zur Heilung oder Beseitigung einer Funktionsstörung […] erforderlich sind, ohne dass eine konkrete Gesundheitsgefahr vorliegt“ (BT-Drs. 19/24686, S. 29). Erst recht muss die Genehmigung erteilt werden können, wenn es wie hier um eine konkrete Funktionsstörung geht, die bereits zu Gesundheitsgefahren führt. Die Veränderungen am Genital von T sind ohne eine solche OP dauerhaft und endgültig. Deswegen besteht eine medizinische Indikation, die OP durchzuführen.

Fehlt eine Beratung der Eltern durch eine anerkannte Stelle, rechtfertigt dies nicht automatisch, die Genehmigung für einen Eingriff zu versagen. Zwar misst der Gesetzgeber der umfassenden Beratung und Aufklärung (auch) der Eltern eine große Bedeutung bei. Die Notwendigkeit und das Gewicht einer umfassenden Aufklärung hängen vom Einzelfall und der medizinischen Indikation ab. Je dringlicher der Eingriff medizinisch ist, desto weniger entscheidend ist eine vorherige umfassende Beratung der Eltern für die Genehmigung. Hier ist eine OP medizinisch unausweichlich. Spätestens mit Einsetzen der Pubertät müsste sie zwingend durchgeführt werden. Wenn darüber hinaus gewichtige Gründe dafür sprechen, die unausweichliche OP zeitnah durchzuführen, geht es nicht an, T diese Behandlungsmaßnahme nur deshalb zu versagen, weil die Eltern nicht in einer bestimmten Einrichtung beraten wurden.

Die vermeintliche Unzuverlässigkeit der Eltern hinsichtlich der Nachsorge nach der OP rechtfertigt es nicht, die Genehmigung zu versagen. Die ärztlichen Berichte belegen, dass M und V die Kinder inzwischen medikamentös versorgen. Nach der OP ist keine spezielle Nachsorge erforderlich. Eine mögliche Unzuverlässigkeit würde nicht die größeren gesundheitlichen Gefahren durch eine unterlassene OP rechtfertigen. Bei Problemen mit der Nachsorge können ambulante Unterstützungsmaßnahmen ergriffen werden. Die Eltern haben zudem die Ärzte von der Schweigepflicht entbunden. Damit ist sichergestellt, dass das JA informiert und die Nachsorge engmaschig überwacht wird.

Relevanz für die Praxis

Die Einwilligung von Eltern in eine OP, die die Behandlung von Kindern mit Varianten der Geschlechtsentwicklung betrifft, ist für die betroffenen Kinder sehr weitreichend. Daher ist eine entsprechende Beratung der Eltern erforderlich. Die Besonderheit hier bestand darin, dass die Eltern sich nicht – wie vom AG aufgegeben – von einer anerkannten Beratungsstelle oder einem Beratungsdienst der Träger der Kinder- und Jugendhilfe haben beraten lassen. Das OLG hat jedoch zutreffend darauf hingewiesen, dass je stärker eine Operation aus medizinischen Gründen indiziert ist, desto weniger es für ihre Genehmigung eine Rolle spielt, ob die Eltern sich über alle Aspekte der Varianten der Geschlechtsentwicklung informiert haben.

AUSGABE: FK 5/2025, S. 81 · ID: 50346671

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