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SchadenabwicklungNachbesichtigungswunsch des Versicherers: So ist die Rechtslage

Abo-Inhalt15.05.20256108 Min. Lesedauer

| Von Zeit zu Zeit macht sich dieser oder jener Versicherer die Mühe, das unfallbeschädigte Fahrzeug nachbesichtigen zu wollen. Außer bei den 130-Prozent-Vorgängen, bei denen es um die Kontrolle der vollständigen und fachgerechten Reparatur geht, ist eine solche Nachbesichtigung nur vor der Reparatur sinnvoll, um den unfallbedingten Beschädigungsumfang zu klären. Muss der Geschädigte der Nachbesichtigung zustimmen? UE klärt auf. |

Nachbesichtigung zugestimmt: Begleitung durch Gutachter

Eines ist in der Rechtsprechung weitgehend unumstritten: Stimmt der Geschädigte einer Nachbesichtigung zu, darf er „seinen“ Schadengutachterbeauftragten beauftragen, an der Nachbesichtigung teilzunehmen.

Aktuell hat das LG Bonn entschieden: Der Geschädigte durfte die Hinzuziehung des Sachverständigen zum Besichtigungstermin, den der Versicherer anberaumt hatte, für erforderlich halten. Der Versicherer zweifelte offensichtlich die Schadenhöhe an, weshalb er bis dahin nicht gezahlt hatte. Der Geschädigte konnte von einem Sachverständigen, den der Versicherer beauftragt hatte, nicht zwingend eine unabhängige Expertise erwarten. Er befürchtete, dass der Versicherungsgutachter später einseitig nicht rekonstruierbare Feststellungen treffen würde. Folge: Die Kosten der Begleitung durch den Gutachter des Geschädigten zum Nachbesichtigungstermin musste der Versicherer erstatten (LG Bonn, Urteil vom 05.05.2025, Az. 20 O 137/23, Abruf-Nr. 248018, eingesandt von Rechtsanwalt Thomas Engelberg, Siegburg).

Das AG Bielefeld sieht das genauso: Der Geschädigte muss nicht davon ausgehen, dass der vom Versicherer entsandte Schadengutachter eine unabhängige Expertise erstellt. Und er kann aus eigener Kenntnis nicht auf Einwendungen des nachbesichtigenden Gutachters reagieren (AG Bielefeld, Urteil vom 30.10.2019, Az. 413 C 211/19, Abruf-Nr. 212094).

Die mit leiser Ironie gewürzte Begründung des AG Berlin-Mitte lohnt ein wörtliches Zitat: „Die Klägerin konnte schließlich auch nicht darauf vertrauen, dass die Beklagte nur berechtigte Abzüge vornehmen würde. Weshalb hier die Klägerin ein größeres Zutrauen zu der Beklagten haben sollte, als diese offensichtlich zu ihr hat, ist nicht nachzuvollziehen.“ (AG Berlin-Mitte, Urteil vom 22.09.2016, Az. 102 C 3073/16, Abruf-Nr. 189095).

Zustimmung zur Nachbesichtigung – ja oder nein?

Ob es sinnvoll ist, der Nachbesichtigung zuzustimmen, ist unter Anwälten hochumstritten. Die einen sagen, damit liefere man dem Versicherer nur die Möglichkeit, das sprichwörtliche Haar in der Suppe zu finden. Die anderen sagen: Selbst wenn der das findet, kommt wahrscheinlich bald nach der Nachbesichtigung der Schadenbetrag minus das Haar in der Suppe. Das schafft baldige Liquidität. Oft hört man auch: Man müsse mit den Kosten der Begleitung der Nachbesichtigung durch den eigenen Gutachter drohen, schon entfalle häufig der Wunsch des Versicherers zur Nachbesichtigung.

Nachbesichtigungsbegleitung – keine kostenlose Leistung

Das AG Kaiserslautern hat die These des Versicherers entkräftet, die Begleitung beim Nachbesichtigungstermin müsse der vom Geschädigten hinzugezogene Sachverständige als Nebenpflicht aus dem ursprünglichen Gutachtenauftrag kostenlos erbringen. Die Hauptleistung der Gutachtenerstellung war längst erbracht. Die Nachbesichtigung ist ein neuer Vorgang, der nicht kostenlos zu erwarten ist (AG Kaiserslautern, Urteil vom 26.06.2014, Az. 11 C 416/14, Abruf-Nr. 142135).

Recht auf Nachbesichtigung – so haben Gerichte entschieden

Nahezu alle Gerichte entscheiden: Ein pauschales Recht zur Nachbesichtigung, nur weil er es möchte, hat der gegnerische Haftpflichtversicherer nicht (LG Potsdam, Urteil vom 03.03.2015, Az. 11 O 166/14, Abruf-Nr. 144019; LG Lübeck, Beschluss vom 19.04.2013, Az. 16 O 19/12, Abruf-Nr. 131686; LG Berlin, Urteil vom 13.07.2011, Az. 42 O 22/10, Abruf-Nr. 207802; LG Aachen, Beschluss vom 23.08.2017, Az. 2 T 173/17, Abruf-Nr. 196238 und viele mehr).

Für die Gegenmeinung verweisen Versicherer immer wieder auf eine ziemlich einsame Entscheidung des AG und des LG Heilbronn, wonach sich das Recht auf die Nachbesichtigung aus § 119 Abs. 3 Versicherungsvertragsgesetz (VVG) ergebe (AG Heilbronn, Urteil vom 24.10.2007, Az. 9 C 1648/07, Abruf-Nr. 080583 sowie Beschluss LG Heilbronn vom 29.11.2007, Az. 4 T 22/07, Abruf-Nr. 110726). Danach müsse der Geschädigte Belege vorlegen und Auskünfte erteilen.

Es ist aber etwas abenteuerlich, dass das körperliche Vorzeigen des beschädigten Autos eine Auskunft oder ein Beleg sein soll, so die Sicht von UE. Das LG Wuppertal sieht das ebenso: § 119 VVG verpflichtet den Geschädigten nicht, dem Versicherer das Fahrzeug zu präsentieren (LG Wuppertal, Urteil vom 18.05.2022, Az. 3 O 156/20, Abruf-Nr. 229637). Das LG Lübeck ist auf gleicher Linie (LG Lübeck, Beschluss vom 19.04.2013, Az. 16 O 19/12, Abruf-Nr. 131686), ebenso wie das LG Aachen (LG Aachen, Beschluss vom 23.08.2017, Az. 2 T 173/17, Abruf-Nr. 196238).

Wichtig | Daraus jedoch zu schließen, der Versicherer dürfe niemals nachbesichtigen lassen, wäre auch verfehlt. Wenn der Versicherer über Sprechblasen hinaus mit Substanz darlegt, was er nicht nachvollziehen kann, bejahen verschiedene Gerichte doch das Nachbesichtigungsrecht (OLG Saarbrücken, Beschluss vom 29.05.2018, Az. 4 W 9/18, Abruf-Nr. 204298; AG Düsseldorf, Urteil vom 18.12.2012, Az. 36 C 1991/12, Abruf-Nr. 132192).

Risiko aus § 93 ZPO: Kosten bei sofortigem Anerkenntnis

Wer zu hoch pokert, trägt folgendes Risiko: Der Versicherer zahlt nicht, weil er nicht nachbesichtigen darf. Daraufhin erhebt der Geschädigte Klage auf Zahlung. Das Gericht setzt einen Gutachter ein, der zum Ergebnis kommt, dass alles richtig ist. Jetzt erkennt der Versicherer an. Doch wegen der Prozesskosten wendet er ein: Hätte er nachbesichtigen dürfen, hätte er selbst erkannt, dass alles klar ist. So wäre der Prozess vermieden worden. Auf der Grundlage des § 93 ZPO kann es nun dazu kommen, dass sich der Geschädigte durchgesetzt hat, aber dennoch die Kosten des Rechtsstreits tragen muss. So war es im Heilbronner Fall, so endete es auch im Fall des OLG Saarbrücken.

Risiko: Richter und „Bauchgefühl“-Aspekte

Ein weiterer Grund, nicht zu hoch zu pokern, ist der Umstand, dass es auch bei Gericht nicht immer frei von „Bauchgefühl“-Aspekten der Richter zugeht. Wer die Nachbesichtigung verweigert, stößt gelegentlich auf eine „Was hatten Sie denn zu verbergen?“-Haltung des Richters. Der denkt sich auch: Vielleicht hätte der Versicherer nach der Nachbesichtigung den Schaden erstattet, dann würde der Vorgang jetzt nicht das Gericht belasten.

Wenn die Nachbesichtigung gar nicht mehr möglich ist

Manchmal ist die Nachbesichtigung gar nicht mehr möglich, weil das Fahrzeug gleich nach Fertigstellung des Schadengutachtens unrepariert verkauft wurde oder weil ohnehin ein Totalschaden vorlag. Auch in letzterem Fall gibt es Nachbesichtigungswünsche, weil es um den Wiederbeschaffungswert und in diesem Zusammenhang um die Abklärung von Altschadenreparaturen geht. Weil Betrüger von Zeit zu Zeit aus guten Gründen nach der Erstellung des Schadengutachtens durch einen Schadengutachter aus dem Umfeld der Betrüger das Fahrzeug auf Nimmerwiedersehen verschwinden lassen, sind manche Richter insoweit übersensibilisiert.

Wichtig | Grundsätzlich gilt jedoch: Lässt der Geschädigte nach dem Unfallschaden ein Schadengutachten erstellen und verkauft dann das verunfallte Fahrzeug, kann der eintrittspflichtige Haftpflichtversicherer im Normalfall nicht einwenden, der Geschädigte habe Beweise vereitelt (LG Wuppertal, Urteil vom 23.04.2012, Az. 4 O 278/11, Abruf-Nr. 130294). Er müsste schon erheblich Anzeichen für ein unredliches Verhalten des Geschädigten aufzeigen. Der baldige Verkauf des verunfallten Fahrzeugs allein reicht da nicht aus.

Was im Fall der 130-Prozent-Reparatur gilt

Will der Versicherer nach einer 130-Prozent-Reparatur nachbesichtigen, ist es wenig sinnvoll, das zu verweigern. Denn wenn jetzt ein Reparaturdefizit festgestellt wird, lässt sich das nacharbeiten. Im Rechtsstreit ist es nach negativen Feststellungen des vom Gericht eingesetzten Gutachters oftmals zu spät.

Weiterführender Hinweis
  • Textbaustein 416: Sachverständigenkosten bei Nachbesichtigung (H) → Abruf-Nr. 44139473

AUSGABE: UE 6/2025, S. 5 · ID: 50418120

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