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GutachterkostenEin Versicherer geht in die Offensive: Die Gutachtenhonorar-Regresswelle rollt an – was tun?
| Ein Versicherer, der bisher nicht regressauffällig war, startet durch: Viele Schadengutachter haben in den letzten Tagen Post mit Regressforderungen von der AXA bekommen. UE erklärt, wie die Rückforderungsschreiben einzuordnen sind und wie die Schadengutachter darauf reagieren können. |

Die Aktivlegitimation ist gegeben
Wegen der BGH-Rechtsprechung zum Sachverständigenrisiko habe man dem Geschädigten die vollen, aber überhöhten Gutachterkosten erstatten müssen, so die AXA in den Schreiben. Den unberechtigten Teil davon verlange man nun im Wege des Regresses zurück. Auf den beigefügten Prüfbericht werde verwiesen. UE liegen so viele dieser Rückforderungsschreiben vor, dass schon ein gewisses Schema zu erkennen ist.
Wichtig | Die vorgelegte Abtretung ist inhaltlich nicht zu beanstanden. Die Aktivlegitimation (Forderungsinhaberschaft) ist also gegeben.
Die zugrunde gelegte Schadenhöhe
Ausnahmslos findet sich in den beigefügten Prüfberichten der Satz, und der betrifft auch den größten Rückforderungsposten: „Nach der Rechtsprechung des BGH, VI ZR 61/17, Urteil vom 24.10.2017, berechnet sich das Grundhonorar des Kfz-Sachverständigen lediglich nach dem Wert der zutreffend festgestellten Höhe des Schadens. Unter Berücksichtigung unserer technischen Prüfung haben wir daher das Grundhonorar korrigiert.“
Die „technische Prüfung“, die zu einem niedrigeren Schaden führen soll, ist jedoch nicht beigefügt. Dennoch ist klar, was gemeint ist: Nach Auffassung seines Dienstleisters und damit des Versicherers sei der Schaden niedriger, als vom Schadengutachter kalkuliert. Deshalb müsse auch das Honorar auf der Grundlage des niedrigeren Schadens berechnet werden.
Wäre der Schaden niedriger, als vom Schadengutachter kalkuliert, läge der Versicherer richtig. Denn unter Rz. 25 des BGH-Urteils steht: „Maßgebliche Größe für die Ableitung der Höhe des Honorars ist der vom Sachverständigen ermittelte Schadensaufwand aber nur, wenn er zutreffend ermittelt ist.“ Da der Regress „Werkvertragsrecht rückwärts“ ist, es also um die Abrechnung des Schadengutachters gegenüber seinem Kunden geht, kommt es auf die schadenrechtliche Erwägung, dass der Kunde den Schaden für zutreffend ermittelt halten durfte, nicht an. Ist er zutreffend ermittelt – das ist die Frage.
Dokument zur „technischen Prüfung“ anfordern
Also muss der Schadengutachter selbstkritisch prüfen, ob der Angriff des Versicherers berechtigt ist. Dazu sollte er das Ergebnis der „technischen Prüfung“ beim Versicherer anfordern:
Musterschreiben / Übersendung Dokument „technische Prüfung“ |
Ihr Prüfberichtersteller nimmt in seinem Dokument Bezug auf seine „technische Prüfung“ der Schadenhöhe. Darauf wiederum stützen Sie Ihren Anspruch. Ein Dokument zur „technischen Prüfung“ ist aber nicht beigefügt. Wir bitten um Übersendung. |
Bei fiktiver Abrechnung Prüfberichte meist nur Wunschzettel
Vermutlich wird sich erweisen, dass es so ist, wie es bei den Prüfberichten nun einmal so ist: Da werden Wunschvorstellungen des Versicherers zu Papier gebracht, oft gestützt auf abwegige Rechtsaufassungen. Das gilt insbesondere für Schadengutachten, die Grundlage einer fiktiven Abrechnung waren. Da liest man regelmäßig so etwas wie diese oder jene Position werde bei der fiktiven Abrechnung nicht erstattet, weil sie nicht angefallen sei. Nach der Rechtsprechung des BGH kommt es aber allein darauf an, ob die Positionen bei einer gedachten Reparatur angefallen wären. Dass sie nicht angefallen sind, liegt bei der fiktiven Abrechnung in der Natur der Sache.
Schadenhöhe vor der Verweisung oder danach?
Ein Streitthema zur Schadenhöhe ist auch die Frage, ob es bei den älteren nicht scheckheftgepflegten Fahrzeugen auf die Schadenhöhe vor oder nach der Verweisung des Versicherers auf eine andere Werkstatt ankommt. Der Versicherer stellt sich auf den „danach“-Standpunkt. Der ist aber unzutreffend. Denn die Basisentscheidung zur Verweisungsthematik ist das BGH-Urteil vom 20.10.2009 (Az. VI ZR 53/09, Abruf-Nr. 133712). Das Verhältnis von Leitsatz a zu Leitsatz b der Entscheidung sagt klar: Der Geschädigte hat so lange Anspruch auf die Konditionen der Markenwerkstatt am Ort, bis der Versicherer auf eine andere Werkstatt verwiesen hat. Dass er Letzteres mit wahrheitsgemäßen Konditionen tun muss, ist selbstverständlich, aber oft nicht der Fall.
Wichtig | Zum Zeitpunkt der Begutachtung des verunfallten Fahrzeugs durch den Schadengutachter hat der Versicherer jedoch noch nicht verwiesen.
Der BGH legt den üblicherweise nicht weiter spezifizierten Gutachtenauftrag im Urteil vom 13.01.2009, Az. VI ZR 205/08, Rz. 8, Abruf-Nr. 090691, so aus: „Beauftragt der Geschädigte – wie im Streitfall – den Gutachter mit der Schadensschätzung zum Zwecke der Schadensregulierung, hat der Sachverständige das Gutachten unter Berücksichtigung der geltenden Rechtsprechung zum Schadensersatz bei Kfz-Unfällen zu erstellen. Zu weiteren Erhebungen und Berechnungen ist der Sachverständige auch nicht im Interesse des Haftpflichtversicherers des Unfallgegners verpflichtet.“
Praxistipp | Folglich ist es nicht nur richtig, sondern sogar geboten, dass der Schadengutachter mit den Konditionen der Markenwerkstatt am Ort kalkuliert. Unerheblich ist hierbei, ob der Versicherer im Nachhinein durch einen wirksamen Verweis auf eine kostengünstigere Vergleichswerkstatt letztlich nur geringere Nettoreparaturkosten erstattet. Der Sachverständige macht also berechtigterweise die von ihm festgestellten Reparaturkosten zur Grundlage seiner Gebührenkalkulation (AG Böblingen, Az. 3 C 857/23, Abruf-Nr. 246670). |
Nicht von der Hand zu weisende Argumente des Versicherers
Im Einzelfall kann das Ergebnis der selbstkritischen Prüfung durchaus sein, dass der Versicherer die Schadenhöhe mit nicht von der Hand zu weisenden Argumenten angreift. Wenn das so ist, sollte der Schadengutachter dazu stehen und im Einzelfall durch Rückzahlung reagieren. Denn die Regressverfahren werden stets vor demselben Gericht geführt, nämlich dem am Geschäftssitz des Schadengutachters. Und da sollte man sich nicht als rechthaberisch aufführen, wenn das Eis sehr dünn ist.
Honorare in Anlehnung an BVSK-Befragung gelten als üblich
Soweit bisher ersichtlich, wird die Anlehnung der Höhe des Grundhonorars an die BVSK-Erhebung nicht beanstandet. Das kennt man nur von der HUK, die das Honorar auf ihr eigenes Gutachtenkosten-Tableau herunterrechnet.
Praxistipp | Wer seine Honorarbestandteile mit dem Kunden vereinbart hat, ist hier argumentativ im Vorteil. Denn § 632 Abs. 2 BGB regelt: Der Werkunternehmer darf an seinen Kunden das Vereinbarte berechnen. Nur wenn es keine Vereinbarung gibt, kommt es auf das Übliche an. |
Hat der Kunde mit dem Gutachter die Anlehnung der Höhe des Grundhonorars an die BVSK-Erhebung vereinbart, kann er sich nicht im Nachhinein auf den Standpunkt stellen, er schulde nicht den so ermittelten Betrag. Und weil der Versicherer aus abgetretenem Recht des Kunden vorgeht und daher nur fordern kann, was der Kunde auch fordern könnte, geht seine Attacke ebenfalls ins Leere.
Auch ohne Vereinbarung gehen Honorare in Anlehnung an die BVSK-Befragung nach Beobachtung durch UE an allen Gerichten als „üblich“ durch. Dabei ist zusätzlich zu beachten: Die Üblichkeit ist stets eine Bandbreite und keine exakte Zahl. Das ergibt sich aus der thematisch einschlägigen Entscheidung des BGH (Urteil vom 04.04.2006, Az. X ZR 122/05, Rz. 10, Abruf-Nr. 061058).
Die Nebenkosten: Weiterer Angriffspunkt in Prüfberichten
Der weitere regelmäßig wiederkehrende Angriffspunkt in den Prüfberichten, auf die die Regressschreiben gestützt werden, sind die Nebenkosten: Bei den Fotokosten ist kein Schema erkennbar. Mal wird der zweite Fotosatz gestrichen, mal wird er akzeptiert. Schreibkosten und Kopierkosten werden gestrichen mit der Behauptung, die gehörten in die auf zehn Euro zu reduzierende Bürokostenpauschale. Dabei übersieht der Versicherer, dass die Preisgestaltungsautonomie dem Schadengutachter zusteht und der festlegt, was eingepreist ist und was gesondert berechnet wird (BGH, Urteil vom 13.12.2022, Az. VI ZR 342/21, Abruf-Nr. 232018; siehe auch AG Coburg, Urteil vom 06.07.2022, Az. 18 C 4279/21, Abruf-Nr. 230679).
- Vollständig aktualisierter und modular gestalteter Textbaustein 589: SV-Honorar- Regress wird zurückgewiesen (H) → Abruf-Nr. 49738675
AUSGABE: UE 6/2025, S. 8 · ID: 50419689