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ReparaturkostenAnzweifeln der AUDATEX- oder DAT-Werte als überhöht im Prüfbericht: Das sind die Folgen

Top-BeitragAbo-Inhalt22.03.2024558 Min. Lesedauer

| Noch kann UE nicht einschätzen, ob das Einzelfälle sind oder ob hier eine neue Welle anrollt. Jedenfalls hat eine kurze Abfrage bei Anwaltskollegen ergeben, dass so etwas seit kurzer Zeit bereits dem einen oder anderen aufgefallen ist: Die Werte aus den beiden maßgeblichen Kalkulationssystemen werden als unzutreffend dargestellt. UE erläutert, wie sich das bei der Abrechnung von Haftpflichtschäden und im Regressfall auswirken kann. |

Prüfbericht hält Betrag aus Kalkulationssystemen für zu hoch

In einem Prüfbericht ist zu lesen: „Der im vorliegenden Gutachten angeführte Schadenumfang ist nachvollziehbar. Auch die erstellte Reparaturkalkulation entspricht den Kalkulationswerten von DAT. Dennoch ist die Lackierzeit von 19 AW zur Lackierung der Spiegelabdeckung inkl. Vorbereitungszeit überhöht. Diese entspricht zwar der Vorgabe des Abrechnungssystems, ist aber als praxisfremd einzustufen. Eine Dauer von 5,00 AW (30 Minuten) ist für diese Arbeitsgänge mehr als ausreichend und praxisgerecht. Eine entsprechende Korrektur wurde unsererseits vorgenommen.“

Dass Werkstätten und Lackierereien einzelne Positionen für zu knapp bemessen halten, ist nichts Neues. Doch die umgekehrte Situation ist UE bisher nicht begegnet. Um ein Bild der Situation zu bekommen, bittet UE alle Leser, solche Fundsachen an die Redaktion zu übermitteln. Insbesondere kann UE noch nicht erkennen, ob der obige Text „Handarbeit“ war oder bereits automatisiert ist. Da wird der Abgleich solcher Einwendungen hilfreich sein.

Bei konkreter Abrechnung von Haftpflichtschäden: Entwarnung!

Für die konkrete Abrechnung von Unfallschäden nach erfolgter Reparatur gilt bei Haftpflichtschäden zunächst einmal schadenrechtlich: Hat der Sachverständige das Gutachten auf Basis der Werte aus einem Kalkulationssystem erstellt und entspricht die Reparaturrechnung dem im Wesentlichen, greift der subjektbezogene Schadenbegriff.

Wenn die gesamte Schadenwelt einschl. der – wenn sich der Geschädigte darauf eingelassen hat – vom Versicherer entsandten Schadengutachter bisher mit diesen Systemen kalkuliert hat, kann man keinesfalls ernsthaft die Auffassung vertreten, dem Geschädigten hätte irgendeine Ungereimtheit in dem System auffallen müssen. Das auf AUDATEX oder DAT basierende System, mit Vorgabewerten zu kalkulieren, hat das Massengeschäft handhabbar gemacht. Immerhin verbirgt sich hinter dem Akronym „AUDATEX“ historisch das Konzept „AUtomatisierte DATenverarbeitung für EXpertensysteme“. Damit war die Zeit des „Schätzers“, wie unsere Altvorderen den Berufsstand der Schadengutachter damals durchaus zutreffend nannten, abgelaufen. Nun war eine pfenniggenaue und heute centgenaue Prognose der Standard.

Hat die Arbeit praktisch länger gedauert als theoretisch kalkuliert, war der Versicherer begünstigt; ging es schneller, hatte die Werkstatt den Vorteil. Im Schnitt stimmt es, und der Abrechnungsaufwand ist seither ebenso handhabbar wie der Aufwand der Kontrolle.

Das darf der Geschädigte ohne Weiteres für richtig halten. Wenn mit der neuen Linie des BGH vom Geschädigten Zahlung an die Werkstatt verlangt wird, gehen die Einwendungen des Versicherers hinsichtlich der Richtigkeit der vom Schadengutachter zugrunde gelegten Werte ins Leere.

Auf den Punkt gebracht hat das bereits das AG Hamburg. Dort hatte der Versicherer eingewandt: Der Fahrzeughersteller schreibe vor, für die Abrechnung von Garantiearbeiten müsse ein bestimmtes Lack-Kalkulationssystem angewandt werden. Der Versicherer wollte daraus herleiten, das System dürfe daher nur für Garantiearbeiten herangezogen werden. Für Unfallreparaturen müsse im Umkehrschluss ein anderes – dem Versicherer günstigeres – Kalkulationssystem verwendet werden. In einem Beschluss sagt das Gericht im Rechtsstreit der Geschädigten gegen den Versicherer:

„Vor allem: Welche rechtliche Durchschlagskraft sollte eine Reparaturempfehlung oder Reparaturrichtlinie der Firma XY auf den hiesigen Vertrag zwischen der Klägerin und Ihrer Werkstatt haben? Diese sollte fachgerecht nach Gutachten reparieren. Das hat sie getan. Das ist von der Klägerin zu bezahlen und von der Beklagten zu erstatten.“

Folgerichtig heißt es im Urteil: „Der Einwand der Beklagten, die Reparatur sei in dieser Weise nicht erforderlich, weil sich die Reparaturrichtlinie der Firma XY geändert hätten mit der Folge, dass zwei einzelne Positionen der Lackierkosten … überhöht seien, verfängt nicht.“ (AG Hamburg, Beschluss vom 26.05.2017 und Urteil vom 21.06.2017, Az. 20a C 151/16, Abruf-Nr. 195733).

Bei fiktiver Abrechnung von Haftpflichtschäden wird es heftig

Bei der fiktiven Abrechnung von Haftpflichtschäden gibt es ja am Ende keine Rechnung, auf die sich der Geschädigte im Hinblick auf den subjektbezogenen Schadenbegriff stützen kann. Also wird der Versicherer behaupten, die Prognose der Schadenhöhe sei falsch. Und so hätte die Werkstatt in der „gedachten“ Rechnung für die gedachte Reparatur auch nicht abgerechnet.

Wenn die Gerichte nicht aus Gründen der Praktikabilität die bewährte Schätzungsmethode auf der Grundlage der AUDATEX oder DAT-Werte aufrechterhalten, müssten sie Fall für Fall aufklären, ob die im Schadengutachten zugrunde gelegten Werte passen oder nicht. Das wird eine bunte Spielwiese für die Gerichtsgutachter, die allerdings oftmals hoffnungslos überfordert sein werden. Denn die vergleichen seit Jahrzehnten auch nur die einzelnen Positionen der Rechnung mit den Vorgabewerten aus den Systemen. Zweifel, dass ein Gerichtsgutachter aus eigenem Wissen beurteilen kann, ob ein Arbeitsgang nun wirklich so lange dauert, sind wohl angebracht. Aus „jahrzehntelanger gutachterlicher Erfahrung“ oder mit „Handauflegen“ ist das nicht lösbar. Selbst eine einzelne – im Rahmen des Gutachtens ausprobierte und handgestoppte – Arbeit ist kein Maßstab. Denn ein Handwerker ist schneller, der andere ist langsamer. Der eine hat diese Werkstattausstattung und der andere hat jene. Da müssten also Versuchsreihen her.

Die UE-Prognose: Die Gerichte werden im Rahmen ihrer Schätzungen der Schadenhöhe gemäß § 287 ZPO bei der Anwendung der Werte aus den Systemen bleiben. Und sie können sich dabei auf den Gedanken des BGH stützen, der manches „im Interesse einer gleichmäßigen und praxisgerechten Regulierung“ löst (BGH, Urteil vom 20.10.2009, Az. VI ZR 53/09, dort Rz. 14 Abruf-Nr. 133712). Die Aussicht auf endlose Beweisaufnahmen bei jeder fiktiven Abrechnung wird das berechtigte Motiv dafür sein. Der BGH würde eine solche Entscheidung in der Revision sicher nicht beanstanden, denn er stützt seit langer Zeit den „im Rahmen des § 287 ZPO besonders freigestellten Tatrichter.“

Regress gegen die Werkstatt – Absicherung abwägen

Wenn eine konkrete Abrechnung mit dem subjektbezogenen Schadenbegriff (Geschädigter durfte sich auf das Schadengutachten mit den AUDATEX- oder DAT-Werten verlassen) für den Geschädigten erfolgreich ausgeht, wird mancher Versicherer versuchen, die Werkstatt in Regress zu nehmen. Die Grundlage wird die Abtretung des Geschädigten sein, mit der er dem Versicherer seine Rückforderungsansprüche gegen die Werkstatt, wenn sie denn bestehen, an den Versicherer übertragen hat.

Sie werden also die Differenz zwischen dem selbst ge- oder erfundenen Wert und dem angeblich zu hohem Wert aus AUDATEX oder DAT zurückverlangen. Hier stellt sich dann dasselbe Problem wie oben beschrieben. Die Gerichtsgutachter werden ins Schleudern kommen. Allerdings wird das Kostenrisiko der Werkstatt dann auch drastisch steigen.

Praxistipp | Zur Vorbeugung muss man als Werkstatt ernsthaft darüber nachdenken, mit dem Reparaturauftrag schlicht und einfach zu vereinbaren: „Die Abrechnung erfolgt auf der Grundlage der vom Kalkulationssystem ‚XYZ‘ ermittelten Arbeitswerte.“ Dieser Satz muss im Auftrag an nicht versteckter Stelle geschrieben stehen. Dann ist allerdings auch eine Überschreitung der Werte rechtlich nicht möglich. Das ist also eine Abwägungsfrage von Chance und Risiko. Im Regress ist die Werkstatt dann aber sicher.

Regress gegen den Schadengutachter ist denkbar

Eine weitere Spielwiese zur Disziplinierung der Schadenwelt könnten Versuche der Versicherer sein, die Gutachter in Regress zu nehmen. Jedenfalls theoretisch wäre das auch der einzig sinnvolle Ansatz. Die These wird lauten: Wer sich Kfz-Sachverständiger nennt, müsse über das Durchschnittsmaß hinausgehenden Sachverstand haben und ihn auch anwenden. Also müsse er bemerken, wenn Werte in den Kalkulationssystemen nicht passen.

Dieser Ansatz ist nachvollziehbar. Denn anderenfalls müsste man bekennen, „AUDATEX- oder DAT-Stenotypist“ zu sein, der systemgläubig und ohne Sachverstand alle Werte nur ungeprüft übernimmt.

Entscheidung des LG München I passt für den Fall

Dafür gibt es bereits eine gerichtliche Vorbildentscheidung: Der Schadengutachter hatte eine Schadenposition, die offensichtlich war, nicht kalkuliert. Hätte er sie kalkuliert, wäre der Schaden von vornherein jenseits der 130-Prozent-Grenze gewesen. Der Versicherer wäre mit WBW minus Restwert davongekommen. Auf der Grundlage des fehlerhaften Gutachtens hatte der Geschädigte jedoch reparieren lassen, die Rechnung lag folgerichtig über den 130 Prozent, der Versicherer musste sie dennoch erstatten. Denn der Geschädigte durfte das Gutachten für zutreffend halten.

Der Schadengutachter hatte sich vor Gericht damit verteidigt, der Fehler im Gutachten sei eigentlich gar nicht von ihm, sondern vom Datendienstleister. Er werde sich doch wohl auf die gelieferten Daten verlassen dürfen. Das ist eine doppelt schwache Verteidigung:

  • Zum einen war das sachlich nicht richtig. Denn bei der Schadenposition sah das Programm vor, dass der Schadengutachter eine Option zu beachten hatte, was er nicht tat.
  • Noch schwerwiegender ist aber die Selbstverkleinerung der Gutachterrolle durch diesen Einwand. Hier lohnt es, in den Wortlaut des Urteils zu schauen: „Die Auffassung des Beklagten, er habe keine eigenen Prüfpflichten für die vom System der Nebenintervenientin erstellte Reparaturliste samt zugehöriger Reparaturkosten, würde ihn zum bloßen Systemeingeber ohne eigene Sachkompetenz degradieren. Das System der Nebenintervenientin ist nach zutreffender Bewertung allerdings nur ein Hilfsmittel für die Tätigkeit des Beklagten als Sachverständigen, dem es auch ohne dieses System möglich sein muss, seine Tätigkeit auszuführen. Sonst dürfte er sich kaum als Sachverständigen bezeichnen und als solcher tätig werden.“ (LG München I, Endurteil vom 12.10.2017, Az. 6 S 22775/16, Abruf-Nr. 197762).

Umgekehrter Ausgangsfall in Kombi mit Entscheidung des LG München I

Interessant wird es, wenn der Schadengutachter im Ausgangsfall dieses Beitrags (Spiegelabdeckung 19 oder 5 AW) den DAT-Wert um die 14 AW herabgesetzt hätte und damit der Schaden unterhalb der 130 Prozent geblieben wäre. Was hätte der Versicherer dazu wohl gesagt? Wir tippen: Der Schadengutachter sei verpflichtet, die Systemwerte anzuwenden.

Offensichtlich fehlerhafte Systemwerte sind zu korrigieren

Sagt der Sachverstand dem Schadengutachter, dass bei der einen oder anderen Position in den Systemen etwas nicht stimmen kann, darf und muss er sie korrigieren – nach beiden Seiten. Wer nun einwendet, er könne doch nicht jede Position einzeln anschauen, muss abwägen: Schlanke Arbeit versus gelegentliche Regressattacken. Das Argument, was bei AUDATEX oder DAT stehe, dürfe der Schadengutachter blind glauben, trägt jedenfalls nicht.

Weiterführender Hinweis
  • Textbaustein 601: Anzweifeln der AUDATEX- oder DAT-Werte (H) → Abruf-Nr. 49966714

AUSGABE: UE 4/2024, S. 7 · ID: 49966538

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