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ProzesskostenhilfePKH-Mehrwertvergleich richtig abrechnen

Top-BeitragAbo-Inhalt27.03.20233271 Min. LesedauerVon RA Norbert Schneider, Neunkirchen

| Vor Inkrafttreten des Zweiten KostRMoG vom 23.7.13 war lange umstritten, wie weit die PKH-Bewilligung bei Abschluss eines Mehrwertvergleichs reicht und welche Vergütung dem Anwalt zusteht. Diese Fragen sind gesetzlich weitgehend geklärt. Der folgende Beitrag zeigt, was Sie in solchen Fällen in der Praxis beachten müssen. |

1. PKH erstreckt sich auf alle Gebühren

Früher war streitig, ob die PKH-Bewilligung und die Beiordnung des Rechtsanwalts auf den Mehrwert eines Vergleichs nur die 1,5-Einigungsgebühr oder auch die Verfahrensdifferenzgebühr der Nr. 3101 VV RVG sowie den Mehrbetrag der Terminsgebühr erfasst:

  • Für Scheidungsfolgenvergleiche regelt dies nun § 48 Abs. 3 RVG.
  • Für „normale“ Mehrwertvergleiche ist dies in § 48 Abs. 2 S. 2 RVG klargestellt, indem die Beiordnung auf den Mehrwert eines Vergleichs „alle gesetzlichen Gebühren und Auslagen [erfasst], die durch die Tätigkeiten entstehen, die zur Herbeiführung der Einigung erforderlich sind“. Im Vorfeld der gesetzlichen Regelung hatte der BGH auch schon bejaht, dass sich die bewilligte PKH auf alle Gebühren erstreckt (RVG-prof.-Sonderausgabe 18, 13).

2. Ungeachtet der Erstreckung fällt 1,5-Einigungsgebühr an

Einige Gerichte argumentierten dahin gehend, dass die Reduzierung auf eine 1,0-Gebühr nach Nr. 1003 VV RVG bereits eintritt, wenn ein PKH-Verfahren anhängig ist. Dazu zähle nicht nur ein Verfahren auf Bewilligung von PKH, sondern auch ein Verfahren auf Erstreckung der bereits bewilligten PKH auf den Mehrwert eines Vergleichs (OLG Bamberg AGS 18, 445). Insbesondere in der Arbeitsgerichtsbarkeit war diese Auffassung weit verbreitet (LAG Nürnberg AE 20, 64; LAG München JurBüro 17, 79).

Auch dieser Streit hat sich inzwischen durch die Anm. zu Nr. 1003 VV RVG erledigt. Ungeachtet der Erstreckung der PKH fällt eine 1,5-Einigungsgebühr an. Die Ermäßigung greift danach nämlich nicht, „soweit … lediglich Prozesskostenhilfe für … die gerichtliche Protokollierung des Vergleichs beantragt wird oder sich die Beiordnung auf den Abschluss eines Vertrags im Sinne der Nummer 1000 erstreckt (§ 48 Abs. 1 und 3 RVG)“.

Beachten Sie | Nur das LAG München hat lange Zeit weiterhin vehement entgegen der Gesetzeslage entschieden und mit teils fadenscheinigen Argumenten nur eine 1,0-Gebühr gewährt (AE 22, 121; FA 22, 103; AGS 22, 306; 14.3.22, 6 Ta 8/22). Diese „letzte Bastion“ ist jetzt aber auch gefallen. Denn seit dem 1.1.23 ist dort nicht mehr die 6. Kammer im Beschwerdeverfahren nach § 55 RVG zuständig, sondern die 11. Kammer. Diese hat jetzt schon die verfehlte Rechtsprechung der 6. Kammer aufgegeben und ausdrücklich klargestellt, dass fortan auch im LAG-Bezirk München bei einem Mehrwertvergleich eine 1,5-Einigungsgebühr aus der Landeskasse zu gewähren ist (15.2.23, 11 TA 28/23).

Beispiel

Im Rechtsstreit war dem Kläger K PKH bewilligt und sein Anwalt A beigeordnet worden. Im Termin wurde ein Vergleich über die Klageforderung (10.000 EUR) sowie über eine nicht anhängige weitere streitige Forderung (5.000 EUR) geschlossen. Bewilligung und Beiordnung wurden antragsgemäß auf den Mehrwert des Vergleichs erstreckt. Hier kann A wie folgt abrechnen:

1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG (Wert: 10.0000 EUR)

440,70 EUR

0,8-Verfahrensgebühr, Nr. 3101 Nr. 2 VV RVG (Wert: 5.000 EUR)

227,20 EUR

gem. § 15 Abs. 3 RVG nicht mehr als 1,3 aus 15.000 EUR

479,70 EUR

1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV RVG (Wert: 15.000 EUR)

442,80 EUR

1,0-Einigungsgebühr, Nr. 1000, 1003 VV RVG (Wert: 10.000 EUR)

339,00 EUR

1,5-Einigungsgebühr, Nr. 1000 VV RVG (Wert: 5.000 EUR)

426,00 EUR

gem. § 15 Abs. 3 RVG nicht mehr als 1,5 aus 15.000 EUR

553,50 EUR

Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG

20,00 EUR

19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV RVG

284,24 EUR

1.780,24 EUR

3. Der Beiordnungsbeschluss ist maßgebend

Ungeachtet der positiven Entwicklungen und Gesetzesänderungen bleibt es dabei, dass für den Mehrwert eines Vergleichs PKH bewilligt werden muss. Dies folgt aus § 48 Abs. 1 S. 1 RVG, der klarstellt, dass sich der „Vergütungsanspruch gegen die Staatskasse ... nach den Beschlüssen [bestimmt], durch die die Prozesskostenhilfe bewilligt und der Rechtsanwalt beigeordnet oder bestellt worden ist“.

Praxistipp | Sie sollten wegen § 48 Abs. 1 S. RVG unbedingt darauf achten, dass die PKH im Fall eines Mehrwertvergleichs auch auf den Mehrwert erstreckt wird. Beantragen Sie dies! Versäumen Sie die Erstreckung auf den Mehrwert des Vergleichs, kann dies im Vergütungsfestsetzungsverfahren nicht mehr nachgeholt werden. Sie erhalten dann nur die Vergütung aus dem Wert der anhängigen Gegenstände (vgl. OLG Koblenz AGS 20, 293).

4. Es ist ein Antrag erforderlich

Dafür müssen Sie zunächst einmal einen Antrag stellen. Dieser Antrag muss beschieden werden, und zwar nicht nur dahin, dass sich die Bewilligung auf den Mehrwert des Vergleichs erstreckt, sondern auch dass sich die Beiordnung auf den Mehrwert erstreckt.

a) Letzter Zeitpunkt ist ...

Der Antrag auf Erstreckung der Bewilligung und Beiordnung muss spätestens bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung gestellt werden (BAG AGS 12, 406), im Fall der Feststellung eines Vergleichs nach § 278 Abs. 6 ZPO vor Beschlussfassung.

b) Antrag kann möglicherweise konkludent gestellt werden

Ausnahmsweise ist eine ausdrückliche Antragstellung nicht erforderlich: Hat eine Partei für die rechtshängigen Gegenstände PKH beantragt und wird der Mehrwertvergleich geschlossen, bevor über den PKH-Antrag entschieden worden ist, geht die Rechtsprechung davon aus, dass der ursprüngliche Antrag konkludent erweitert und auch die Erstreckung auf den Mehrwert des Vergleichs beantragt wird. Eine ausdrückliche Antragstellung ist in diesem Fall nicht erforderlich (vgl. BAG JurBüro 15, 35).

PRAXISTIPP | Die konkludente Antragstellung entbindet nicht davor, zu prüfen, ob das Gericht diesen konkludenten Antrag beschieden hat. Nur der konkludente Antrag wird fingiert, nicht die Entscheidung. Übersieht das Gericht also trotz konkludenten Antrags, die Erstreckung der Bewilligung und Beiordnung auf den Mehrwert des Vergleichs auszusprechen, und wird dagegen kein Rechtsmittel eingelegt, erwächst diese Entscheidung in Rechtskraft. Sie ist bindend, sodass dem Anwalt die weitere Vergütung aus dem Mehrwert verloren geht (LAG Sachsen-Anhalt NJW 22, 3174).

AUSGABE: RVGprof 4/2023, S. 65 · ID: 49219606

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