Strafprozess
Die Gebühren des Vollverteidigers in der Strafvollstreckung
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RechtsschutzAnrechnung der Geschäftsgebühr im Rahmen der Rechtsschutzversicherung
| Eine vorgerichtlich entstandene Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG muss auf die Verfahrensgebühr eines nachfolgenden gerichtlichen Verfahrens gemäß Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG hälftig, höchstens zu 0,75, angerechnet werden. Diese Anrechnung gilt auch gegenüber einem Rechtsschutzversicherer, wenn dieser den Versicherungsnehmer sowohl von den vorgerichtlichen als auch von den gerichtlichen Kosten freistellen muss. |
1. Selbstbeteiligung beseitigt nicht Anrechnungspflicht
Die Frage der Selbstbeteiligung spielt hier keine Rolle. Selbst wenn der Rechtsschutzversicherer berechtigterweise bei der Freistellung die Selbstbeteiligung von der Geschäftsgebühr abzieht, ist auch ihm gegenüber der volle Anrechnungsbetrag abzuziehen.
Beispiel 1 | |
Versicherungsnehmer V beauftragt den Anwalt A mit der Durchsetzung einer Forderung in Höhe von 10.000 EUR. Hierfür erhält er Versicherungsschutz. Der Versicherer übernimmt die Kosten des A abzüglich der vereinbarten Selbstbeteiligung des V in Höhe von 300 EUR. Was muss der Versicherer zahlen? Lösung | |
1,3-Geschäftsgebühr, Nr. 2300 VV RVG (Wert: 10.000 EUR) | 798,20 EUR |
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG | 20,00 EUR |
19 Prozent USt., Nr. 7008 VV RVG | 155,46 EUR |
abzüglich Selbstbeteiligung | - 300,00 EUR |
673,66 EUR |
Beispiel 2 | |
In Abwandlung zu Beispiel 1 beauftragt V den A, Klage zu erheben. Auch hierfür gewährt der Versicherer Deckungsschutz. Lösung Unerheblich, dass Geschäftsgebühr bei Selbstbehalt nicht voll übernommen wird Auch wenn der Versicherer aufgrund des Selbstbehalts nicht die volle Geschäftsgebühr zahlt, kann er sich auf die volle Anrechnung berufen. Er muss für das gerichtliche Verfahren wie folgt zahlen: | |
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG (Wert: 10.000 EUR) | 798,20 EUR |
gem. Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG anzurechnen | - 399,10 EUR |
1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV RVG (Wert: 10.000 EUR) | 736,80 EUR |
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG | 20,00 EUR |
19 Prozent USt., Nr. 7008 VV RVG | 219,62 EUR |
1.375.52 EUR |
2. Problem: eingeschränkter Versicherungsschutz
Probleme ergeben sich, wenn der Mandant zwar rechtsschutzversichert ist, der Versicherungsschutz sich aber nur auf die gerichtliche Tätigkeit und nicht auch auf die außergerichtliche Vertretung erstreckt.
Beispiel 3 | |
Anwalt fordert die Geschäftsgebühr in voller Höhe Anwalt A fordert die Geschäftsgebühr in voller Höhe. Außergerichtlich war nach einem Gegenstandswert von 8.000 EUR eine 1,5-Geschäftsgebühr (Nr. 2300 RVG VV) angefallen. Anschließend kommt es zum Rechtsstreit über die 8.000 EUR. Mandant M ist rechtsschutzversichert. Nach den ARB muss sein Versicherer aber nur für das gerichtliche Verfahren eintreten. Fordert A die Geschäftsgebühr dennoch in voller Höhe, darf er von der Verfahrensgebühr lediglich noch restliche 0,55 verlangen: | |
1. Außergerichtliche Vertretung (Wert: 8.000 EUR) | |
1,5-Geschäftsgebühr, Nr. 2300 VV RVG | 753,00 EUR |
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG | 20,00 EUR |
19 Prozent USt., Nr. 7008 VV RVG | 146,87 EUR |
919,87 EUR | |
2. Gerichtliches Verfahren (Wert: 8.000 EUR) | |
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG | 652,60 EUR |
gem. Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG anzurechnen: 0,75 aus 8.000 EUR | - 376,50 EUR |
1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV RVG | 602,40 EUR |
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG | 20,00 EUR |
19 Prozent USt., Nr. 7008 VV RVG | 170,72 EUR |
1.069,22 EUR | |
Insgesamt (1. + 2.) | 1.989,09 EUR |
Beispiel 4 | |
Anwalt fordert die Verfahrensgebühr in voller Höhe Fordert der Anwalt A in Abwandlung zu Beispiel 3 dagegen die Verfahrensgebühr in voller Höhe ein, verringert sich die Geschäftsgebühr um 0,75, sodass er insoweit nur noch die restlichen 0,75 verlangen kann. Es ergibt sich folgende Abrechnung. | |
1. Gerichtliches Verfahren (Wert: 8.000 EUR) | |
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG | 652,60 EUR |
1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV RVG | 602,40 EUR |
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG | 20,00 EUR |
19 Prozent USt., Nr. 7008 VV RVG | 242,25 EUR |
1.517,25 EUR | |
2. Außergerichtliche Vertretung (Wert: 8.000 EUR) | |
1,5-Geschäftsgebühr, Nr. 2300 VV RVG | 753,00 EUR |
gem. Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG anzurechnen: 0,75 aus 8.000 EUR | - 376,50 EUR |
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG | 20,00 EUR |
19 Prozent USt., Nr. 7008 VV RVG | 75,34 EUR |
471,84 EUR | |
Insgesamt (1. + 2.) | 1.989,09 EUR |
Merke | Auf das Gesamtergebnis hat es keinen Einfluss, welche Gebühr worauf angerechnet wird. Bei einem rechtsschutzversicherten Mandat rechnet der Anwalt zweckmäßigerweise nach der zweiten Variante ab, da sich hierdurch ein geringerer Eigenanteil des Mandanten und ein höherer Anteil des Versicherers ergibt. |
3. Anrechnungsproblematik bei Kostenerstattung
Das gleiche Anrechnungsproblem stellt sich im Rahmen der Kostenerstattung, wenn die vorgerichtlichen Kosten des Gegners vom Rechtsschutzversicherer nicht zu erstatten sind. Das ist der Regelfall. Versichert sind nämlich nur die Kosten einer Rechtsverfolgung oder Rechtsabwehr. Materiell-rechtliche Kostenerstattungsansprüche gegen die Versicherungsnehmer, etwa aus Delikt oder Verzug, sind nicht versichert (AG München AGS 11, 414; AG Düsseldorf AGS 12, 96). Auch hier kommt es darauf an, wie angerechnet wird:
Beispiel 5 | |
Der rechtsschutzversicherte Beklagte B wird verurteilt, an den Kläger K 8.000 EUR sowie eine verzugsbedingte 1,5-Geschäftsgebühr zu zahlen (Nr. 2300 VV RVG): | |
1,5-Geschäftsgebühr, Nr. 2300 VV RVG | 753,00 EUR |
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG | 20,00 EUR |
19 Prozent USt., Nr. 7008 VV RVG | 154,60 EUR |
927,60 EUR | |
Anschließend wird die um die Anrechnung verminderte Verfahrensgebühr festgesetzt. | |
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG | 652,60 EUR |
gem. Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG anzurechnen, 0,75 aus 8.000 EUR | - 376,50 EUR |
1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV RVG | 602,40 EUR |
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG | 20,00 EUR |
19 Prozent USt., Nr. 7008 VV RVG | 170,72 EUR |
1.069,22 EUR | |
Versicherer muss nicht die vorgerichtlichen Kosten übernehmen Beachten Sie | Die festgesetzten Kosten sind um die Anrechnung der Geschäftsgebühr vermindert, weil sich K die bei B nicht versicherten vorgerichtlichen Kosten gegen diesen bereits titulierten lässt. Da aber die vollen Kosten ohne Anrechnung ebenfalls versichert gewesen wären, muss der Rechtsschutzversicherer die Kosten der vorgerichtlichen Tätigkeit insoweit übernehmen, als sich dadurch die Kosten des gerichtlichen Verfahrens verringert haben (vgl. AG München, a. a. O.). Der Versicherer muss daher B von Kosten freistellen in Höhe von: | |
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG | 652,60 EUR |
1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV RVG | 602,40 EUR |
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG | 20,00 EUR |
19 Prozent USt., Nr. 7008 VV RVG | 242,25 EUR |
1.517,25 EUR |
Merke | Dass der Rechtsschutzversicherer die vorgerichtlichen Kosten nicht übernehmen muss, entspricht einhelliger Rechtsprechung. Denn materiell-rechtliche Kostenerstattungsansprüche sind nicht versichert. Ebenso eindeutig ist, dass der Rechtsschutzversicherer die festgesetzten Kosten des gerichtlichen Verfahrens übernehmen muss. |
AUSGABE: RVGprof 4/2023, S. 70 · ID: 49219923