FeedbackAbschluss-Umfrage

RechtsschutzAnrechnung der Geschäftsgebühr im Rahmen der Rechtsschutzversicherung

Top-BeitragAbo-Inhalt16.03.20233285 Min. LesedauerVon RA Norbert Schneider, Neunkirchen

| Eine vorgerichtlich entstandene Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG muss auf die Verfahrensgebühr eines nachfolgenden gerichtlichen Verfahrens gemäß Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG hälftig, höchstens zu 0,75, angerechnet werden. Diese Anrechnung gilt auch gegenüber einem Rechtsschutzversicherer, wenn dieser den Versicherungsnehmer sowohl von den vorgerichtlichen als auch von den gerichtlichen Kosten freistellen muss. |

1. Selbstbeteiligung beseitigt nicht Anrechnungspflicht

Die Frage der Selbstbeteiligung spielt hier keine Rolle. Selbst wenn der Rechtsschutzversicherer berechtigterweise bei der Freistellung die Selbstbeteiligung von der Geschäftsgebühr abzieht, ist auch ihm gegenüber der volle Anrechnungsbetrag abzuziehen.

Beispiel 1

Versicherungsnehmer V beauftragt den Anwalt A mit der Durchsetzung einer Forderung in Höhe von 10.000 EUR. Hierfür erhält er Versicherungsschutz. Der Versicherer übernimmt die Kosten des A abzüglich der vereinbarten Selbstbeteiligung des V in Höhe von 300 EUR. Was muss der Versicherer zahlen?

Lösung

1,3-Geschäftsgebühr, Nr. 2300 VV RVG (Wert: 10.000 EUR)

798,20 EUR

Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG

20,00 EUR

19 Prozent USt., Nr. 7008 VV RVG

155,46 EUR

abzüglich Selbstbeteiligung

- 300,00 EUR

673,66 EUR

Beispiel 2

In Abwandlung zu Beispiel 1 beauftragt V den A, Klage zu erheben. Auch hierfür gewährt der Versicherer Deckungsschutz.

Lösung

Auch wenn der Versicherer aufgrund des Selbstbehalts nicht die volle Geschäftsgebühr zahlt, kann er sich auf die volle Anrechnung berufen. Er muss für das gerichtliche Verfahren wie folgt zahlen:

1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG (Wert: 10.000 EUR)

798,20 EUR

gem. Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG anzurechnen

- 399,10 EUR

1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV RVG (Wert: 10.000 EUR)

736,80 EUR

Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG

20,00 EUR

19 Prozent USt., Nr. 7008 VV RVG

219,62 EUR

1.375.52 EUR

2. Problem: eingeschränkter Versicherungsschutz

Probleme ergeben sich, wenn der Mandant zwar rechtsschutzversichert ist, der Versicherungsschutz sich aber nur auf die gerichtliche Tätigkeit und nicht auch auf die außergerichtliche Vertretung erstreckt.

Beispiel 3

Anwalt A fordert die Geschäftsgebühr in voller Höhe. Außergerichtlich war nach einem Gegenstandswert von 8.000 EUR eine 1,5-Geschäftsgebühr (Nr. 2300 RVG VV) angefallen. Anschließend kommt es zum Rechtsstreit über die 8.000 EUR. Mandant M ist rechtsschutzversichert. Nach den ARB muss sein Versicherer aber nur für das gerichtliche Verfahren eintreten. Fordert A die Geschäftsgebühr dennoch in voller Höhe, darf er von der Verfahrensgebühr lediglich noch restliche 0,55 verlangen:

1. Außergerichtliche Vertretung (Wert: 8.000 EUR)

1,5-Geschäftsgebühr, Nr. 2300 VV RVG

753,00 EUR

Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG

20,00 EUR

19 Prozent USt., Nr. 7008 VV RVG

146,87 EUR

919,87 EUR

2. Gerichtliches Verfahren (Wert: 8.000 EUR)

1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG

652,60 EUR

gem. Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG anzurechnen: 0,75 aus 8.000 EUR

- 376,50 EUR

1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV RVG

602,40 EUR

Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG

20,00 EUR

19 Prozent USt., Nr. 7008 VV RVG

170,72 EUR

1.069,22 EUR

Insgesamt (1. + 2.)

1.989,09 EUR

Beispiel 4

Fordert der Anwalt A in Abwandlung zu Beispiel 3 dagegen die Verfahrensgebühr in voller Höhe ein, verringert sich die Geschäftsgebühr um 0,75, sodass er insoweit nur noch die restlichen 0,75 verlangen kann. Es ergibt sich folgende Abrechnung.

1. Gerichtliches Verfahren (Wert: 8.000 EUR)

1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG

652,60 EUR

1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV RVG

602,40 EUR

Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG

20,00 EUR

19 Prozent USt., Nr. 7008 VV RVG

242,25 EUR

1.517,25 EUR

2. Außergerichtliche Vertretung (Wert: 8.000 EUR)

1,5-Geschäftsgebühr, Nr. 2300 VV RVG

753,00 EUR

gem. Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG anzurechnen: 0,75 aus 8.000 EUR

- 376,50 EUR

Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG

20,00 EUR

19 Prozent USt., Nr. 7008 VV RVG

75,34 EUR

471,84 EUR

Insgesamt (1. + 2.)

1.989,09 EUR

Merke | Auf das Gesamtergebnis hat es keinen Einfluss, welche Gebühr worauf angerechnet wird. Bei einem rechtsschutzversicherten Mandat rechnet der Anwalt zweckmäßigerweise nach der zweiten Variante ab, da sich hierdurch ein geringerer Eigenanteil des Mandanten und ein höherer Anteil des Versicherers ergibt.

3. Anrechnungsproblematik bei Kostenerstattung

Das gleiche Anrechnungsproblem stellt sich im Rahmen der Kostenerstattung, wenn die vorgerichtlichen Kosten des Gegners vom Rechtsschutzversicherer nicht zu erstatten sind. Das ist der Regelfall. Versichert sind nämlich nur die Kosten einer Rechtsverfolgung oder Rechtsabwehr. Materiell-rechtliche Kostenerstattungsansprüche gegen die Versicherungsnehmer, etwa aus Delikt oder Verzug, sind nicht versichert (AG München AGS 11, 414; AG Düsseldorf AGS 12, 96). Auch hier kommt es darauf an, wie angerechnet wird:

Beispiel 5

Der rechtsschutzversicherte Beklagte B wird verurteilt, an den Kläger K 8.000 EUR sowie eine verzugsbedingte 1,5-Geschäftsgebühr zu zahlen (Nr. 2300 VV RVG):

1,5-Geschäftsgebühr, Nr. 2300 VV RVG

753,00 EUR

Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG

20,00 EUR

19 Prozent USt., Nr. 7008 VV RVG

154,60 EUR

927,60 EUR

Anschließend wird die um die Anrechnung verminderte Verfahrensgebühr festgesetzt.

1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG

652,60 EUR

gem. Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG anzurechnen, 0,75 aus 8.000 EUR

- 376,50 EUR

1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV RVG

602,40 EUR

Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG

20,00 EUR

19 Prozent USt., Nr. 7008 VV RVG

170,72 EUR

1.069,22 EUR

Beachten Sie | Die festgesetzten Kosten sind um die Anrechnung der Geschäftsgebühr vermindert, weil sich K die bei B nicht versicherten vorgerichtlichen Kosten gegen diesen bereits titulierten lässt. Da aber die vollen Kosten ohne Anrechnung ebenfalls versichert gewesen wären, muss der Rechtsschutzversicherer die Kosten der vorgerichtlichen Tätigkeit insoweit übernehmen, als sich dadurch die Kosten des gerichtlichen Verfahrens verringert haben (vgl. AG München, a. a. O.). Der Versicherer muss daher B von Kosten freistellen in Höhe von:

1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG

652,60 EUR

1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV RVG

602,40 EUR

Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG

20,00 EUR

19 Prozent USt., Nr. 7008 VV RVG

242,25 EUR

1.517,25 EUR

Merke | Dass der Rechtsschutzversicherer die vorgerichtlichen Kosten nicht übernehmen muss, entspricht einhelliger Rechtsprechung. Denn materiell-rechtliche Kostenerstattungsansprüche sind nicht versichert. Ebenso eindeutig ist, dass der Rechtsschutzversicherer die festgesetzten Kosten des gerichtlichen Verfahrens übernehmen muss.

AUSGABE: RVGprof 4/2023, S. 70 · ID: 49219923

Favorit
Teilen
Drucken
Zitieren

Beitrag teilen

Hinweis: Abo oder Tagespass benötigt

Link
E-Mail
X
LinkedIn
Xing
Loading...
Loading...
Loading...
Heft-Reader
2023

Bildrechte