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RestwertLG Berlin entscheidet Restwertthema ohne jede BGH-Kenntnis, das Kammergericht rückt das gerade

Abo-Inhalt18.04.202446 Min. Lesedauer

| Eine alltägliche Standardrechtsfrage aus der Schadenregulierung – und ein Landgericht offenbart komplette Unkenntnis der vom BGH geschaffenen Regeln. Hätte das Gericht bewusst gegen die höchstrichterliche Rechtsprechung entschieden und das im Urteil kenntlich gemacht, wäre das verständlich, wenngleich das Steine statt Brot für den Versicherer wären, der dann eben eine Instanz später und teurer verliert. Aber so war es nicht, als das LG Berlin entscheiden musste, ob der Geschädigte das Unfallfahrzeug ohne vorherige Rücksprache mit dem Versicherer verkaufen durfte. |

Es war offensichtlich die schlichte Unkenntnis des schadenrechtlichen Grundprinzips des Duos „Dispositionsfreiheit und Ersetzungsbefugnis“.

1. Ein Urteil des Grauens

„Es bestand auch für den Kläger keine Eile, denn das Fahrzeug war sicher bei der Werkstatt eingestellt. Die Beklagte durfte vielmehr eine kurze, regelmäßig zweiwöchige Überlegungsfrist beanspruchen, um das Sachverständigengutachten auf sachliche und kalkulatorische Schlüssigkeit zu prüfen.“

Weiter liest man dort: „Sein zwischenzeitlicher Fahrzeugverkauf zum vom Sachverständigen ermittelten Restwert war übereilt und hat das Gegenvorschlagsrecht der Beklagten, welches wegen einer anzustrebenden im allseitigen Interesse liegenden wirtschaftlich vernünftigen Verwertung, was zumal im Prämieninteresse der Solidargemeinschaft der Versicherten liegt, praktisch vereitelt. Es kann daher dahinstehen, ob er sich die unsachgemäße Restwertermittlung des Sachverständigen, der — obwohl er einen wirtschaftlichen Totalschaden festgestellt hatte – lediglich fünf Fahrzeughändler angefragt hatte und keine auf die Unfallwagenverwertung spezialisierten Betriebe, aus Rechtsgründen entgegengehalten werden kann.“

2. Die Messlatte des Gesetzes und des BGH

Beim BGH hingegen heißt es zur Ersetzungsbefugnis aus § 249 Abs. 2 S. 1 BGB: „Entgegen der Auffassung der Revision besteht auch weiterhin kein Anlass, dem Geschädigten zumindest aufzuerlegen, dem Schädiger oder dessen Haftpflichtversicherer vor dem Verkauf des beschädigten Fahrzeugs die Möglichkeit einzuräumen, ihm höhere Restwertangebote zu übermitteln. Der Gesetzgeber hat dem Geschädigten in § 249 Abs. 2 S. 1 BGB die Möglichkeit eingeräumt, die Behebung des Schadens gerade unabhängig vom Schädiger in die eigenen Hände zu nehmen und in eigener Regie durchzuführen. Diese gesetzgeberische Grundentscheidung würde unterlaufen, sähe man den Geschädigten schadensrechtlich grundsätzlich für verpflichtet an, vor der von ihm beabsichtigten Schadensbehebung Alternativvorschläge des Schädigers einzuholen und diesen dann gegebenenfalls zu folgen.“ (BGH 25.6.19, VI ZR 358/18, Abruf-Nr. 210470).

Und das ist völlig unabhängig von der Frage, ob der Geschädigte Amateur ist oder Fahrzeughandels-Profi. Es gibt kein Gegenvorschlagsrecht.

3. Allgemeine Autohändler oder Unfallwagenspezialisten

Ebenso erschreckend ist der Vorwurf des Gerichts, der Gutachter habe keine auf die Unfallwagenverwertung spezialisierten Betriebe in die Restwertermittlung einbezogen.

Nach dem Motto „Ein Gutachten ist richtig, wenn sich niemand beschwert, auch wenn es eigentlich falsch ist“ beziehen zwar viele Schadengutachter örtliche Unfallwagenhändler ein. Doch nach der „reinen Lehre“ ist das schlichtweg falsch. Denn beim BGH heißt es in demselben Urteil für Geschädigte, die nicht gewerblich mit dem An- und Verkauf von befasst sind:

„Vorrangiger Grund für die Entscheidung, bei der Ermittlung des Restwerts grundsätzlich maßgeblich auf den regionalen Markt abzustellen, ist dabei weiterhin die Überlegung, dass es einem Geschädigten möglich sein muss, das Fahrzeug einer ihm vertrauten Vertragswerkstatt oder einem angesehenen Gebrauchtwagenhändler bei dem Erwerb des Ersatzwagens in Zahlung zu geben.“

Da soll also ein One-Stop-Shopping möglich sein: Kauf des Ersatzfahrzeugs bei gleichzeitiger Inzahlunggabe des Unfallfahrzeugs. Beim Unfallwagenspezialisten kann man aber kein Ersatzfahrzeug kaufen. So hat das OLG München bereits herausgearbeitet: Es reiche nicht aus, dass der Bieter für das verunfallte Fahrzeug zwar in der Region des Geschädigten ansässig ist. Er müsse zusätzlich vom „allgemeinen“ Markt stammen und nicht vom Sondermarkt (OLG München, Verfügung vom 14.4.22, 10 U 516/22, Abruf-Nr. 229778).

4. Das Kammergericht hat die Kurve bekommen

Das Kammergericht fremdelt bekanntlich auch immer mal mit der Rechtsprechung des BGH. Hier aber hat es das LG Berlin deutlich korrigiert (KG 18.3.24, 22 U 103/22, Abruf-Nr. 240799 mit LG Berlin, 17.8.22, 44 O 292/21, Abruf-Nr. 240798, eingesandt von RA Torsten Kurth, Berlin).

Allerdings ist da ein Schlenker zu finden, der auch nicht mit der BGH-Rechtsprechung übereinstimmt: „Weder bestand eine Verpflichtung, die Beklagte von der beabsichtigten Verwertung des Fahrzeugs zu informieren noch bestand eine Verpflichtung, auf ein etwaiges Restwertangebot der Beklagten – die ein solches ohnehin auch nicht ankündigte … – zu warten.“

Wenn das heißen soll, ein angekündigtes „Bitte abwarten, es kommt ein anderes Restwertangebot“ hätte ein anderes Licht geworfen, ist das falsch. Nur wenn der Versicherer ein bindendes Restwertangebot unterbreitet, das der Kläger lediglich hätte annehmen müssen, hat er das Rennen gewonnen (BGH 1.6.10, VI ZR 316/09, Rn. 10, Abruf-Nr. 102089).

AUSGABE: VA 5/2024, S. 74 · ID: 49994472

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