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AusfallschadenPrüfbericht reduziert Nutzungsausfall nach Alter – ist das so rechtens?

Abo-Inhalt16.02.2024469 Min. Lesedauer

| Einer Leserin fiel ein Prüfbericht auf, der zwar mit dem Logo des regulierenden Versicherers daherkommt, aber ausweislich der Fußzeilen zugeliefert wurde, mit einer „Erläuterung“ zur Reduzierung der Nutzungsausfallentschädigung, woraus sich eine Leserfrage ergibt. |

Frage: Zur Höhe der Nutzungsausfallentschädigung erklärt ein Versicherer kategorisch: „Ist das Fahrzeug älter als fünf Jahre, wird der Nutzungsausfall der nächsttieferen Gruppe erstattet, bei einem Alter über zehn Jahre ist der Wert maßgeblich, der zwei Gruppen darunter liegt.“ Entspricht das der Rechtslage?

Antwort: Die Höhe der Nutzungsausfallentschädigung beruht dogmatisch auf einer Schätzung durch den Richter. In vielen Bereichen haben sich statistische Erhebungen oder Tabellen für die Gerichte herausgebildet, auf die die Schätzungen gestützt werden. Das ist beim Schmerzensgeld so, bei den Mietwagenkosten, bei Abschleppleistungen: Überall wird auf diese Schätzhilfen zurückgegriffen. Bei der Nutzungsausfallentschädigung hat sich das in gewisser Weise verselbstständigt: Nahezu die gesamte Schadenwelt greift auf eine vor Jahrzehnten entstandene und seitdem regelmäßig fortgeschriebene Tabelle zurück, die nach früheren Autoren Sanden/Danner/Küppersbusch heißt.

Höhe der Nutzungsausfallentschädigung entspringt § 287 ZPO

Es wird so selbstverständlich zu der Tabelle von Sanden/Danner/Küppersbusch gegriffen, dass niemand mehr merkt, dass es nur eine Schätzhilfe ist. Im Alltag ist sie eine Tabelle, der die Beträge entnommen werden. Doch man muss sich stets bewusst sein: Es geht um § 287 ZPO und die richterliche Schätzung.

Der BGH sagt in einem Fall mit sehr langer Ausfalldauer und einem knapp unter zehn Jahre alten Pkw: „Entgegen der Auffassung der Revision hat das Berufungsgericht nicht verkannt, daß eine Schadensschätzung auf der Grundlage der Tabellen von Sanden/Danner/Küppersbusch eine zwar mögliche, aber keine verbindliche Methode der Schadensermittlung ist.“ (BGH, Urteil vom 25.01.2005, Az. VI ZR 112/04, Abruf-Nr. 050823).

Tabelle gibt Gericht Möglichkeiten, aber keine Pflichten

Soll heißen: Das Berufungsgericht war sich bewusst, dass er sich an der Tabelle orientieren kann, aber nicht muss.

Die Qualität der Fahrzeuge damals

Die durchaus verbreitete Praxis, die Höhe der Nutzungsausfallentschädigung mit zunehmendem Fahrzeugalter abzustufen, entspringt bereits der Frühzeit der Anwendung der Tabelle in den 1970er Jahren.

Damals war ein Pkw oft schon mit acht, regelmäßig aber mit zehn Jahren ein Fall für den Schrottplatz. Insbesondere der Rost raffte die Fahrzeuge schnell dahin, mit der Dauerhaltbarkeit der Aggregate sah es auch nicht gut aus. Wenn ein Pkw 100.000 km durchgehalten hatte, gab es gelegentlich eine Plakette quasi als Orden, die dann das Fahrzeug zierte. Damals sank mit der rasanten Alterung auch der Nutzwert des Fahrzeugs. Das schlug eben auch auf den Geldbetrag durch, den man als „Wert der Nutzung“ annahm. Die Fünfjahresschritte waren üblich.

Die Qualität der Fahrzeuge heute

Heute ist Rost an Pkw kein strukturzersetzendes Thema mehr. Wenn Rost entsteht, ist das eher ein kosmetisches Problem. Und 300.000 km Laufleistung sind in etwa das, was früher die 100.000 km waren. Bei einem regelmäßig gewarteten Fahrzeug in ordentlichem Zustand ist der Nutzwert nach zehn Jahren selten ernsthaft herabgesetzt. Hinweise zum Zustand gibt es regelmäßig im Schadengutachten. Damit muss argumentieren, wer ein Gericht – mit unsicheren Erfolgsaussichten – davon abhalten möchte, die Eingruppierung mit zunehmenden Fahrzeugalter abzustufen.

Der über § 287 ZPO „besonders freigestellte Tatrichter“

Der BGH lässt den Instanzgerichten aber alle Freiheiten. Im oben bereits herangezogenen Fall sagt er: „Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats ist der Tatrichter auch bei älteren Fahrzeugen nicht gehalten, in jedem Einzelfall bei der Beurteilung der entgangenen Gebrauchsvorteile eine aufwendige Berechnung anzustellen. Vielmehr darf er im Rahmen des ihm nach § 287 ZPO bei der Schadensschätzung eingeräumten Ermessens aus Gründen der Praktikabilität und der gleichmäßigen Handhabung typischer Fälle auch bei älteren Fahrzeugen mit den in der Praxis anerkannten Tabellen arbeiten. Aus Rechtsgründen ist auch nichts dagegen zu erinnern, daß das Berufungsgericht dem Alter des Fahrzeugs durch eine Herabstufung um eine Gruppe Rechnung getragen hat.“

Hätte das Berufungsgericht nicht abgestuft, hätte der BGH das auch nicht revisionsrechtlich beanstandet. Und hätte es zwei Gruppen abgestuft, wäre auch das durchgegangen. Da ist der Senat nicht kleinlich: „Unter den Umständen des vorliegenden Falles, in dem das zu beurteilende Fahrzeug älter als 15 Jahre ist und das Berufungsgericht im Rahmen seines ihm durch § 287 ZPO eingeräumten tatrichterlichen Ermessens nicht nur – wie das Amtsgericht – von den Vorhaltekosten ausgegangen ist, sondern lediglich eine Herabstufung in den Tabellen von Sanden/Danner/Küppersbusch um zwei Gruppen vorgenommen hat, ist jedenfalls ein Rechtsfehler zu Lasten der Klägerin nicht erkennbar.“ (BGH, Urteil vom 23.11.2004, Az. VI ZR 357/03, Abruf-Nr. 050015).

Fazit | Aus all dem folgt: Eine Herabstufung ist nicht per se richtig und auch nicht per se falsch. Kennt man die Tendenz des Gerichts nicht, sind die Erfolgsaussichten einer Klage kaum einzuschätzen.

AUSGABE: UE 3/2024, S. 12 · ID: 49915267

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