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KostRÄndG 2021Welches Gebührenrecht gilt für Pflichtverteidiger?
| Gerade in Strafsachen ist es häufig schwierig zu beurteilen, welches Gebührenrecht für den Anwalt maßgebend ist. Dies ist allerdings für eine korrekte Vergütungsabrechnung wichtig – anderenfalls drohen Verluste. Nach dem AG Korbach gilt: Ist der Anwalt vor dem 1.1.21 in einem erstinstanzlichen gerichtlichen Verfahren als Pflichtverteidiger bestellt worden und verteidigt er den Angeklagten nach dem 31.12.20 auch in einem Rechtsmittelverfahren, richtet sich nur die Vergütung der ersten Instanz nach altem Gebührenrecht. Für das Rechtsmittelverfahren gilt dagegen neues Gebührenrecht. |
Inhaltsverzeichnis
Sachverhalt
Rechtsanwalt R war am 10.7.20 im erstinstanzlichen Verfahren vom Gericht als Pflichtverteidiger bestellt worden. Der Mandant M wurde in der Hauptverhandlung vom 28.4.21 verurteilt. R legte hiergegen Berufung ein und erhob später auch noch gegen das Berufungsurteil Revision. Nach dem rechtskräftigen Verfahrensabschluss rechnete er seine Vergütung mit der Landeskasse ab. Dabei berechnete er seine Gebühren und Auslagen in erster Instanz nach den bis zum 31.12.20 geltenden RVG-Beträgen und für die beiden Rechtsmittelverfahren nach dem ab dem 1.1.21 geltenden Recht. Das AG setzte die Vergütung insgesamt lediglich nach dem alten Gebührenrecht fest. Denn die Pflichtverteidigerbestellung am 10.7.20 gelte für alle Instanzen und das zu diesem Zeitpunkt geltende Vergütungsrecht. Die Erinnerung von R hiergegen hatte Erfolg (AG Korbach 6.1.23, 41 Ls-4750 Js 20444/19, Abruf-Nr. 235370).
Relevanz für die Praxis
Für die Pflichtverteidigerbestellung mit vorherigem Wahlanwaltsauftrag gilt: Wird ein Pflichtverteidiger bestellt, dem zuvor schon ein Wahlanwaltsauftrag erteilt worden war, gilt § 60 Abs. 1 S. 2 RVG. Für den Vergütungsanspruch gegen den Landeskasse ist in diesem Fall nicht auf den Zeitpunkt der Pflichtverteidigerbestellung, sondern auf den Zeitpunkt des Wahlanwaltsauftrags abzustellen. Damit wird verhindert, dass ein Anwalt die Pflichtverteidigervergütung nach einem anderen Recht als die Wahlanwaltsvergütung erhält.
Beispiel 1 |
Rechtsanwalt R wurde im Dezember 2020 als Wahlverteidiger beauftragt und im Januar 2021 zum Pflichtverteidiger bestellt. Lösung Der unbedingte Verteidigerauftrag ist vor dem 1.1.21 erteilt worden. Hier gilt nicht nur für die Wahlanwalts-, sondern auch für die Pflichtverteidigervergütung altes Recht. |
Für die Pflichtverteidigerbestellung ohne vorherigen Wahlanwaltsauftrag gilt: Die Pflichtverteidigerbestellung setzt – im Gegensatz zur PKH – nicht voraus, dass ein Wahlmandat besteht. Vielmehr kann der Pflichtverteidiger auch ohne oder gar gegen den Willen des Anwalts beigeordnet werden. In diesem Fall gibt es keinen vorherigen Wahlanwaltsauftrag, sodass nicht gemäß § 60 Abs. 1 S. 1 und 2 RVG auf den Tag der Auftragserteilung abgestellt werden kann. Maßgebend ist vielmehr der Tag, an dem die Bestellung wirksam geworden ist.
Beispiel 2 |
Im Oktober 2020 wurde gegen den Angeklagten A Anklage erhoben. Ohne dass zuvor ein Wahlanwaltsmandat bestand, wurde Rechtsanwalt R als Pflichtverteidiger bestellt
Lösung Hier greift § 60 Abs. 1 S. 3 RVG. Maßgebend ist der Zeitpunkt der Bestellung. Im Fall a) gilt also für den Pflichtverteidiger das alte Gebührenrecht und im Fall b) das neue Recht. |
Für die Pflichtverteidigerbestellung mit nachträglichem Wahlanwaltsauftrag gilt: War der Anwalt zunächst als Pflichtverteidiger bestellt und wird ihm im Nachgang ein Wahlverteidigermandat erteilt, ist nicht gemäß § 60 Abs. 1 S. 1 RVG auf den Tag der Auftragserteilung abzustellen. Es gilt vielmehr nach § 60 Abs. 1 S. 5 RVG auch hier der frühere Tag der Bestellung.
Beispiel 3 |
Rechtsanwalt R ist im Dezember 2020 als Pflichtverteidiger bestellt worden. Im Januar 2021 wird ihm das Wahlanwaltsmandat erteilt. Lösung Hier gilt nicht § 60 Abs. 1 S. 1 RVG, sondern § 60 Abs. 1 S. 3 RVG. Maßgebend bleibt der frühere Zeitpunkt der Bestellung. Die spätere Auftragserteilung ist insoweit irrelevant (§ 60 Abs. 1 S. 5 RVG). Sowohl Wahl- als auch Pflichtanwaltsvergütung des R richten sich also nach altem Gebührenrecht. |
Für die Inanspruchnahme des Mandanten gilt: Nach § 52 RVG kann der Pflichtverteidiger unter bestimmten Voraussetzungen den Mandanten, dem er beigeordnet worden ist, auch dann in Anspruch nehmen, wenn kein Wahlanwaltsvertrag besteht. Für diesen Vergütungsanspruch ist wiederum nach § 60 Abs. 1 S. 5 RVG dasjenige Gebührenrecht anzuwenden, das auch für die Pflichtverteidigervergütung gilt.
Beispiel 4 |
Rechtsanwalt R ist für Mandant M im Dezember 2020 als Pflichtverteidiger bestellt worden. Im März 2022 ist M rechtskräftig verurteilt worden. R rechnet zunächst mit der Landeskasse ab. Hiernach erwirkt er einen Beschluss nach § 52 Abs. 2 RVG und will M in Anspruch nehmen. Lösung Sowohl für die Pflichtverteidigervergütung gemäß § 60 Abs. 1 S. 3 RVG als auch für den Anspruch gegen M gemäß § 60 Abs. 1 S. 5 RVG i. V. m. § 60 Abs. 1 S. 3 RVG gilt altes Recht. |
Für das Gebührenrecht in Folgeangelegenheiten gilt: Der Wahlanwalt erhält für jede neue Angelegenheit, also insbesondere für ein Rechtsmittelverfahren, einen neuen Auftrag. Damit wird gemäß § 60 Abs. 1 S. 1 RVG jeweils das Gebührenrecht angewendet, das zum Zeitpunkt der Auftragserteilung zur jeweiligen Angelegenheit gilt.
Bei der Pflichtverteidigerbestellung verhält sich dies anders: Der Pflichtverteidiger wird – im Gegensatz zur PKH – nicht instanzweise bestellt, sondern von vorneherein für alle Instanzen (§ 143 Abs. 1 StPO). Würde man daher strikt auf den Zeitpunkt der Bestellung abstellen, würde für alle Instanzen durchweg altes Gebührenrecht gelten, wenn die Bestellung noch vor dem 1.1.21 erfolgt ist. Der Gesetzgeber hat dieses Problem erkannt und in § 60 Abs. 1 S. 4 RVG klargestellt: In diesem Fall kommt es für weitere Angelegenheiten nicht auf die ursprüngliche (Gesamt-)Bestellung, sondern auf den Auftrag zur weiteren Tätigkeit an. Damit soll wiederum verhindert werden, dass für Wahl- und Pflichtverteidigervergütung unterschiedliches Recht anwendbar sein kann.
Beispiel 5: Fall des AG Korbach |
Rechtsanwalt R ist im Dezember 2020 für den Mandanten M als Pflichtverteidiger bestellt worden. Im März 2021 fand die Hauptverhandlung statt, in der der M verurteilt wurde. Im April 2021 legte R Berufung ein und begründete diese im Mai 2021. Lösung Für R gilt für die erste Instanz gemäß § 60 Abs. 1 S. 3 RVG altes Gebührenrecht. Für das Berufungsverfahren gilt dagegen gemäß § 60 Abs. 1 S. 4 RVG neues Recht. Maßgebend ist der Zeitpunkt des Einreichens der Berufungsbegründung (die Berufungseinlegung zählt nach § 19 Abs. 1 S. 2 Nr. 10 RVG noch zur ersten Instanz). Da zu diesem Zeitpunkt bereits neues Recht galt, richtet sich die Vergütung im Berufungsverfahren nach dem neuen Recht (AnwK/Schneider, RVG, 9. Aufl., Rn. 22; Burhoff/Volpert, RVG, 9. Aufl., § 60 Rn. 25, Beispiel 3; Gerold/Schmidt/Mayer, RVG, 25. Aufl., § 60 Rn. 3c). |
AUSGABE: RVGprof 8/2023, S. 134 · ID: 49041940