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Einstweiliger RechtsschutzDas gilt beim einstweiligen Rechtsschutz im steuerlichen Haftungsverfahren nach Strafurteil

Abo-Inhalt06.05.2025671 Min. LesedauerVon RA Prof. Dr. Carsten Wegner, Krause & Kollegen, Berlin

| Die Finanzbehörde ist im Haftungsverfahren nicht an ein strafgerichtliches Urteil gebunden. Sie kann sich die rechtlichen Beurteilungen des Strafgerichts allerdings zu eigen machen, wenn sie nach ihrer freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung die Feststellungen des Strafgerichts für zutreffend erachtet und die maßgeblichen Tatsachen bereits rechtskräftig im Strafverfahren festgestellt worden sind. Das hat das VG Schleswig-Holstein entschieden. |

Sachverhalt

Der Antragsteller (A) wendet sich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens gegen seine Heranziehung als Haftungsschuldner. Die Antragsgegnerin (AG) erließ nach vorheriger Haftungsanhörung einen Haftungsbescheid gegen A und forderte ihn zur Zahlung innerhalb eines Monats auf. Als Grundlage für den Bescheid nannte die AG ein Urteil des örtlichen LG, wonach A wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung rechtskräftig verurteilt worden sei. A erhob schriftlich Widerspruch gegen den Haftungsbescheid und beantragte gleichzeitig, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs herzustellen; hilfsweise begehrte er, dass von Betreibungsmaßnahmen abgesehen werde. Zur Begründung führte er aus, dass sich die AG nicht mit den von ihm dargelegten materiellen Einwendungen aus der Haftungsanhörung auseinandergesetzt habe.

Mit Widerspruchsbescheid wurde der Widerspruch als unbegründet zurückgewiesen. Als Begründung führte die AG an, dass sie sich auf die strafrechtliche Verurteilung beziehe und die versuchte oder vollendete Steuerhinterziehung nicht mehr eigenhändig feststelle. Auch ein mitwirkendes Verschulden der Finanzbehörden, das zu einem Entfallen einer Haftungsinanspruchnahme des A führe, liege nicht vor. Die Grundsätze des Mitverschuldens nach dem zivilrechtlichen Schadenersatzrecht gem. § 254 BGB oder hypothetische Kausalverläufe seien nicht ohne Weiteres auf die Haftungsprüfung nach § 71 AO zu übertragen. A begehrt daraufhin gerichtlichen Rechtsschutz.

Entscheidungsgründe

Der Antrag ist teilweise erfolgreich, aber nur im Bereich der Zinsen (Kostenverteilungsquote: 90 zu 10; VG Schleswig-Holstein 2.9.24, 4 B 23/24 Abruf-Nr. 247306).

Merke | Gem. § 80 Abs. 5 S. 1 Alt. 1 VwGO ist der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer Klage begründet, wenn das Aussetzungsinteresse des Antragstellers das Interesse am Vollzug der in der Hauptsache angegriffenen Entscheidung überwiegt. Nach einer summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage ist dies in Abhängigkeit von den Erfolgsaussichten der Hauptsache zu beurteilen.

Bei der Prüfung der Erfolgsaussichten der Hauptsache, die sich gegen die Anforderung öffentlicher Abgaben und Kosten (§ 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) richtet, ist der Maßstab des § 80 Abs. 4 S. 3 VwGO anzuwenden. Danach soll die Aussetzung bei öffentlichen Abgaben und Kosten erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts liegen vor, wenn der Erfolg des Widerspruchs bzw. der Klage zumindest ebenso wahrscheinlich ist wie deren Misserfolg.

Nach Ansicht des VG durfte die AG sich auf die Feststellungen des Strafurteils in dem streitgegenständlichen Haftungsbescheid berufen.

Relevanz für die Praxis

Gem. § 191 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 AO kann, wer kraft Gesetzes für eine Steuer haftet, durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen werden. Wer eine Steuerhinterziehung begeht oder an einer solchen Tat teilnimmt, haftet nach § 71 AO für die verkürzten Steuern sowie für die Zinsen nach § 235 AO und die Zinsen nach § 233a AO, soweit diese nach § 235 Abs. 4 AO auf die Hinterziehungszinsen angerechnet werden. Die Finanzbehörde muss im jeweiligen Einzelfall die Inanspruchnahme des Haftenden prüfen und feststellen. Die Kriterien richten sich bei § 71 AO nach dem einschlägigen materiellen Steuerstrafrecht und dem allgemeinen Strafrecht. Die Behörde entscheidet nach den geltenden Regelungen der Feststellungslast der AO und nicht nach den der StPO (BFH 15.1.13, VIII R 22/10).

Merke | Die Finanzbehörde ist im Haftungsverfahren zwar nicht an ein strafgerichtliches Urteil gebunden (BFH 18.4.13, V R 19/12). Sie kann sich die rechtlichen Beurteilungen des Strafgerichts allerdings zu eigen machen (st. Rspr.: BFH 23.4.14, VII R 41/12; 15.6.21, VII B 18/21).

Im Kern gilt:

Merke | Im Fall einer Steuerhinterziehung bedarf die Ermessensentscheidung allerdings keiner besonderen Begründung mehr und ist zugunsten einer Inanspruchnahme des Steuerhinterziehers vorgeprägt (BFH 28.2.23, VII R 29/18). Es ist deshalb nicht erforderlich, dass die Ermessenserwägungen im Haftungsbescheid oder in der Einspruchsentscheidung näher dargelegt werden – dies gilt auch hinsichtlich des Entschließungs- und Auswahlermessens und für die Inanspruchnahme dem Grunde und der Höhe nach. Für den Gehilfen als Haftungsschuldner gilt dies gleichermaßen.

  • Von der Haftung des § 71 AO sind die verkürzten Steuern bzw. die zu Unrecht erlangten Steuervorteile sowie die Nachzahlungszinsen i. S. d. § 235 AO umfasst (BFH 26.9.12, VII R 3/11).
  • Der Haftungsmaßstab sieht vor, dass ein Steueranspruch besteht, dieser von der Finanzbehörde festgestellt wurde sowie ein adäquater Kausalzusammenhang zwischen der Pflichtverletzung bzw. Straftat und dem Steuerausfall besteht. Daraus folgt, dass die Grundsätze zur anteiligen Haftung auch im Fall der Haftung nach § 71 AO anwendbar sein können. Für den Umfang der Haftung ist darauf abzustellen, inwieweit das strafrechtlich vorwerfbare Verhalten für den Steuerausfall ursächlich gewesen ist. Wenn es auch bei pflichtgemäßem Verhalten – hier: der Abgabe einer zutreffenden Steuererklärung – zu dem Steuerausfall gekommen wäre, weil keine Zahlungsmittel und auch keine Vollstreckungsmöglichkeiten für die Behörde vorhanden waren und der Steuerschuldner mit den im Haftungszeitraum insgesamt geleisteten Zahlungen die Behörde nicht gegenüber den anderen Gläubigern benachteiligt hat, kann auch der Täter oder Teilnehmer einer Steuerhinterziehung nicht weitergehend in Haftung genommen werden (BFH 5.8.10, V R 13/09).
  • Eine Haftung nach § 71 AO scheidet immer aus, wenn es sich um eine versuchte Steuerhinterziehung handelt, da es sich bei der Haftungsnorm um eine Schadenersatznorm handelt (Rüsken in: Klein, AO, 17. Aufl., § 71 Rn. 2). Bei der Entscheidung über die Inanspruchnahme des Haftungsschuldners ist der Behörde ein Ermessen eingeräumt. Im Rahmen dessen kann die Behörde auf die ihr zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen zurückgreifen und muss den entscheidungserheblichen Sachverhalt einwandfrei und erschöpfend ermitteln (BFH 28.2.23, VII R 29/18).

Ein vermeintliches Fehlverhalten des Sachbearbeiters im Finanzamt reduziert die Haftungssumme nicht. Ein entsprechendes Verschulden soll – unabhängig von dem tatsächlichen Vorliegen eines solchen im jeweiligen Einzelfall – auch mit Rücksicht auf den Rechtsgedanken des § 254 BGB bei der Haftungsnorm des § 71 AO im Hinblick auf die vorsätzliche Schadensverursachung regelmäßig belanglos sein (BFH 30.12.98, VII B 160/98). Allerdings kann nach der Rechtsprechung des BFH ein mitwirkendes Verschulden des Finanzamts am Steuerausfall die Inanspruchnahme eines Haftungsschuldners ermessensfehlerhaft machen, wenn dessen eigenes Verschulden gering ist (BFH 26.1.61, IV140/60; 19.3.99, VII B 158/98). Dies soll aber nur gelten, wenn dieses Fehlverhalten ein solch erhebliches Ausmaß annimmt, dass demgegenüber das Verschulden des Haftungsschuldners nicht entscheidend ins Gewicht fällt (BFH 11.5.00, VII B 217/99; 28.8.90, VII S 9/90, jeweils unter Hinweis auf die zu § 109 AO ergangene o. a. Entscheidung vom 26.1.61).

Merke | § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO setzt keine Täuschung der Behörde und keine Irrtumserregung voraus. Anders als beim Betrugstatbestand des § 263 StGB ist es unbedeutend, ob die Behörde sich über die Richtigkeit der Angaben Gedanken gemacht hat. Der Straftatbestand der Steuerhinterziehung ist auch erfüllt, wenn die unrichtigen Daten gegenüber der wissenden Behörde abgegeben wurden. Dies gilt selbst für den Fall, dass die Behörde – hier: der zuständige Beamte – aufgrund positiver Kenntnisse und vorhandener Beweismittel in der Lage ist, die geschuldete Steuer zutreffend festzusetzen. Darüber hinaus haben Straftäter keinen Anspruch darauf, dass die Behörden rechtzeitig gegen sie einschreiten, um den Eintritt des Taterfolgs zu verhindern.

AUSGABE: PStR 6/2025, S. 134 · ID: 50199396

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