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AußenprüfungAußenprüfung: Nicht jeder Mitwirkungsverstoß schließt Entschädigung bei Strafverfolgung aus
| Legt der Steuerpflichtige im Rahmen der Außenprüfung entgegen § 200 Abs. 1 AO nicht alle erforderlichen Urkunden vor, verursacht er damit nicht ohne Weiteres in grob fahrlässiger Weise seine spätere Strafverfolgung. |
Sachverhalt
Die frühere Beschuldigte (B) war alleinige Gesellschafter-Geschäftsführerin einer GmbH, bei der das FA eine Außenprüfung durchführte. Dabei stellte es fest, dass in den Jahren 2015 bis 2017 vonseiten der GmbH über 560.000 EUR überwiegend in bar und als Provisionen deklariert an J, den Lebensgefährten der B, ausgezahlt wurden. Weiterhin soll J hochwertige Fahrzeuge der GmbH unentgeltlich genutzt haben. Vorermittlungen der Steufa ergaben, dass J in Deutschland steuerlich nicht erfasst ist und in Tschechien eine Briefkastenfirma auf ihn angemeldet war, auf deren Konto eine Provision der GmbH i. H. v. 30.000 EUR gezahlt wurde. Im Rahmen der Betriebsprüfung (BP) legte B einen Kooperationsvertrag zwischen der GmbH und J vor, wonach sich die Kooperation auf den An- und Verkauf von Immobilien beziehen sollte.
Projekt- oder Zeitpläne, wie in § 2 des Vertrags vorgesehen, wurden bei der BP nicht vorgefunden. Die BP konnte ebenso wenig Nachweise dafür finden, dass J Leistungen erbracht hat. Die daraufhin eingeschaltete Steufa wertete die als Betriebsausgaben der GmbH verbuchten Provisionszahlungen als verdeckte Gewinnausschüttungen (vGA), die im Rahmen der Steuererklärungen für die ESt der B und die GewSt der GmbH 2015 bis 2017 jeweils (zu Unrecht, vgl. § 8 Abs. 3 S. 2 KStG) nicht angegeben worden seien, und leitete daraufhin ein Steuerstrafverfahren ein. Auf der Grundlage dieses Befunds erließ das AG Durchsuchungsbeschlüsse u. a. für die Wohnung und die Geschäftsräume der B und Vermögensarreste, die vollzogen wurden.
Im Rahmen der Auswertung der sichergestellten Unterlagen fand die Steufa die Urkunde des Vertrags über eine atypisch stille Gesellschaft, der eine tragfähige Rechtsgrundlage für die zweifelhaften Provisionszahlungen bildete. Diesen hatte B vor dem Vollzug der Beschlüsse nicht der BP vorgelegt. Das Ermittlungsverfahren gegen sie wurde in der Folge eingestellt. Ihr Verteidiger beantragte daraufhin beim AG erfolglos, die Entschädigungspflicht nach dem StrEG betreffend die Durchsuchung und den Vermögensarrest festzustellen. B sei bei der Außenprüfung nach § 200 Abs. 1 AO verpflichtet gewesen mitzuwirken. Aufgrund ihrer Partnerschaft mit J hätte ihr klar sein müssen, dass die erheblichen Zahlungen an ihn näher geprüft würden und dass die unzureichende Erklärung der Zahlungen den Verdacht von vGA und damit von Steuerhinterziehungen nach sich ziehen würde. Durch das Unterlassen der Vorlage des Vertrags über die atypisch stille Gesellschaft habe sie zu ihrer eigenen Strafverfolgung grob fahrlässig beigetragen. Die Entschädigungspflicht sei damit nach § 5 Abs. 2 S. 1 StrEG ausgeschlossen.
Entscheidungsgründe
Das LG Nürnberg-Fürth sah die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde als begründet an (13.3.25, 12 Qs 62/24, Abruf-Nr. 247305). Der geltend gemachte Entschädigungsanspruch ergebe sich aus § 2 Abs. 1, 2 Nr. 4 StrEG.
Fraglich war, ob ein Entschädigungs-anspruch dem Grunde nach bestand Merke | Die Entscheidung betrifft allein die Frage, ob aufgrund der genannten Strafverfolgungsmaßnahmen ein Entschädigungsanspruch dem Grunde nach bestand. Diese sog. Grundentscheidung (vgl. §§ 8, 9 StrEG) ist für das anschließende Betragsverfahren bindend, das grundsätzlich innerhalb einer Frist von sechs Monaten ab Rechtskraft der Grundentscheidung initiiert werden muss, vgl. § 10 Abs. 1 S. 1, § 12 StrEG. |
Entgegen der Auffassung des AG ist die Entschädigung nicht gem. § 5 Abs. 2 S. 1 StrEG ausgeschlossen. Das wäre der Fall, wenn und soweit B die Strafverfolgungsmaßnahme vorsätzlich oder grob fahrlässig verursacht hätte. Die Vorschrift enthält einen Ausnahmetatbestand. Bei der Beurteilung der Frage, ob B Anlass zu der Strafverfolgungsmaßnahme gegeben hat, ist deshalb ein strenger Maßstab anzulegen. Der Entschädigungsanspruch entfällt, wenn B die Eingriffsmaßnahme durch die Tat oder durch ihr sonstiges Verhalten herausgefordert hat. Sie muss in ungewöhnlichem Maße die Sorgfalt außer Acht gelassen haben, die ein verständiger Mensch in gleicher Lage anwenden würde, um sich vor Schaden durch die Strafverfolgungsmaßnahme zu schützen. Dabei ist darauf abzustellen, wie sich der Sachverhalt in dem Zeitpunkt darstellte, in dem die Maßnahme angeordnet oder aufrechterhalten worden ist.
Vorliegend spricht alles dafür, dass B den Vertrag über die atypisch stille Gesellschaft im Rahmen ihrer Mitwirkungspflicht nach § 200 Abs. 1 S. 1, 2 AO gegenüber dem Betriebsprüfer hätte vorlegen müssen. Nach dieser Norm sind im Rahmen der Außenprüfung die für die Besteuerung bedeutsamen Unterlagen vorzulegen, wozu insbesondere die (hier gem. § 147 Abs. 1 Nr. 5 AO) aufbewahrungspflichtigen Unterlagen gehörten. Dazu wird man den genannten Vertrag zwanglos zählen können. Allerdings indiziert ein Verstoß gegen die Mitwirkungspflicht nicht schon dessen Qualifikation als „grob“. Er kann ebenso auf einem schlichten, einfach fahrlässigen Versehen beruhen. Maßgeblich für die Beurteilung sind alle Umstände des Einzelfalls.
Hier ist es für B günstig gewesen, den Vertrag vorzulegen, weil so der Verdacht von vGAs im Keim hätte erstickt werden können. Dass dies unterblieben ist, spricht dafür, dass der B seine Relevanz für die Besteuerung nicht bewusst gewesen ist. Das passt dazu, dass B nach Herkunft und Ausbildung (ausgebildete Sozialpädagogin, früher bei der Stadtmission tätig, die in das Immobiliengeschäft zufällig über J hineingeraten ist) mit Steuerfragen nicht erkennbar oder auch nur naheliegenderweise bewandert gewesen ist. Der Akte lassen sich auch keine Hinweise dahin entnehmen, dass der Außenprüfer die Frage etwaiger vGAs gegenüber B überhaupt angesprochen und ihr so das Nachdenken und eine Reaktion ermöglicht hat. Damit ist B im Kern der Vorwurf zu machen, nicht von sich aus die steuerliche Relevanz der Urkundenvorlage erkannt zu haben. Das führt – auch im Lichte der Wertung des § 5 Abs. 2 S. 2, 1. Alt StrEG (keine grobe Fahrlässigkeit bei schlichter Nichtaussage) – dazu, dass grobe Fahrlässigkeit i. S. d. Entschädigungsausschlusses nicht bejaht werden kann. Die in der genannten Vorschrift formulierte Wertung gilt gleichermaßen, wenn sich B darauf beschränkt, entlastendes Beweismaterial nicht vorzulegen.
Relevanz für die Praxis
Das LG hat den Ausschlussgrund nach § 5 Abs. 2 S. 1, 2. Alt StrEG vorliegend zu Recht verneint. Es ließen sich keine tragfähigen Anknüpfungspunkte anführen, um die Nichtvorlage der Vertragsurkunde über die atypisch stille Gesellschaft als mutwillige Verursachung der Strafverfolgungsmaßnahme durch B zu qualifizieren. Das wäre aber erforderlich gewesen, um eine Entschädigung bereits dem Grunde nach im Rahmen der haftungsbegründenden Kausalität abzulehnen.
Allein der Umstand, dass Mitwirkungspflichten bei der Außenprüfung verletzt wurden, sagt für sich gesehen noch nichts über den konkret zu machenden Verschuldensvorwurf aus. Daran änderte im Speziellen auch der entlastende Inhalt des Dokuments nichts, weil hier, wie von der StrK richtig herausgearbeitet, die Frage etwaiger vGAs vom Betriebsprüfer nicht nachvollziehbar thematisiert worden war. Letztlich blieben daher im Streitfall die Details offen, weshalb der Vertrag zunächst nicht an den Betriebsprüfer gelangte. Weil insofern auch unverfänglichere, d. h. nicht „grob“ fahrlässig verschuldete Gründe denkbar waren (insbesondere wurde keine „gröblich“ ungeordnete Buchführung dokumentiert), hing der Vorwurf grober Fahrlässigkeit nicht nur nach den individuellen Fähigkeiten der B, sondern auch bei dem im Verfahren nach dem StrEG anzulegenden objektiv-abstrakten Maßstab „in der Luft“ (dazu z. B. MüKo/Kunz/Grommes, StPO, 2. Aufl., § 5 StrEG Rn. 58). Das Gesetz stellt aber gerade keine Vermutung grob fahrlässiger Verursachung auf.
Merke | Da sich die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen nach zivilrechtlichen Grundsätzen richtet (insbesondere gilt der Zweifelssatz „in dubio pro reo“ nicht), liegt die Beweislast für „grobe“ Fahrlässigkeit im Ausgangspunkt bei dem sich auf den Ausschlusstatbestand berufenden Justizfiskus (MüKo/Kunz/Grommes, StPO, a. a. O., § 5 StrEG Rn. 87). Dabei darf – als insoweit „nachwirkender“ Ausfluss der Selbstbelastungsfreiheit (vgl. § 136 Abs. 1 S. 2 StPO, § 393 Abs. 1 S. 2 AO, § 10 Abs. 1 S. 3, 4 BpO) – aus einem vollständigen Schweigen zur Sache gem. § 5 Abs. 2 S. 2, 1. Alt. StrEG kein Entschädigungsausschluss abgeleitet werden. Das betrifft etwa den Einwand, der Antragsteller habe sich nicht durch den Nachweis von nur „einfach“ fahrlässigem Verhalten selbst entlastet oder zumindest Gründe für die Nichtvorlage entlastender Beweismittel (im Rahmen sekundärer Darlegungslast) geltend gemacht. Aus einem Teilschweigen kann demgegenüber, wie im Strafverfahren auch, durchaus auf Umstände geschlossen werden, die in Ansehung der Umstände des Einzelfalls den Vorwurf grober Fahrlässigkeit begründen oder nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 StrEG ganz oder teilweise dazu führen können, dass die Entschädigung versagt wird (zum Ganzen MüKo/Kunz/Grommes, StPO, a. a. O., § 5 StrEG Rn. 88 ff.). |
AUSGABE: PStR 6/2025, S. 125 · ID: 50365239