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Strafbefreiende SelbstanzeigeUngleichbehandlung bei Selbstanzeigen: Das sind verfassungsrechtliche Bedenken

Abo-Inhalt28.04.2025663 Min. LesedauerVon RA Dr. Dario Arconada Valbuena, LL.M. (Taxation), FA Steuerrecht

| Nach § 35 EStG wird Gewerbesteuer auf die Einkommensteuer angerechnet. Steuerpflichtige mit gewerblichen Einkünften profitieren davon, dass sich dadurch die Steuerlast reduziert. Bei selbstständigen Steuerpflichtigen, die diese Möglichkeit nicht haben, kann dagegen der Sperrgrund des § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 AO greifen mit der Folge, dass keine Straffreiheit eintritt. Bei der strafbefreienden Selbstanzeige nach § 371 AO werden Einkünfte aus selbstständiger und gewerblicher Tätigkeit also ungleich behandelt. Der Beitrag untersucht, ob dies verfassungsrechtlich gerechtfertigt ist. |

1. Problemstellung

Nach § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 AO wirkt eine Selbstanzeige nicht strafbefreiend, wenn die nach § 370 Abs. 1 verkürzte Steuer oder der für sich oder einen anderen erlangte nicht gerechtfertigte Steuervorteil einen Betrag von 25.000 EUR je Tat übersteigt.

Gem. § 35 EStG wird die auf gewerbliche Einkünfte entfallende Gewerbesteuer (GewSt) z. T. auf die Einkommensteuer (ESt) angerechnet. Dies geschieht, um die doppelte Besteuerung von Einkünften aus Gewerbebetrieb durch die GewSt und die ESt abzumildern. Im Einzelnen wird die GewSt, die von der jeweiligen Gemeinde auf Grundlage des Gewerbeertrags erhoben wird, bis zu einem Höchstbetrag vom vierfachen GewSt-Messbetrag auf die ESt des Steuerpflichtigen angerechnet, jedoch nur bis zur Höhe der auf die gewerblichen Einkünfte entfallenden ESt (vgl. Arconada Valbuena/Rennar, DStR 24, 1910 ff.).

Steuerpflichtige mit gewerblichen Einkünften tragen daher in der ESt eine niedrigere Gesamtsteuerlast als Steuerpflichtige mit Einkünften aus selbstständiger Tätigkeit, die nicht der GewSt unterliegen (vgl. dazu die Rechenbeispiele bei Arconada Valbuena/Rennar, a. a. O., 1911). Sie müssen aber GewSt an die Kommune abführen. Diese Differenzierung in der steuerlichen Belastung spiegelt sich jedoch nicht im Wortlaut des § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 AO wider, der nicht zwischen den Einkunftsarten unterscheidet. Dies führt dazu, dass im Kontext der strafbefreienden Selbstanzeige eine Ungleichbehandlung entsteht. Diese Ungleichbehandlung widerspricht dem verfassungsrechtlichen Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 GG. Denn die Anrechnung der GewSt auf die ESt ist kein hinreichender sachlicher Grund für die Ungleichbehandlung bei der strafbefreienden Selbstanzeige. So fehlt ein direkter Zusammenhang zwischen der GewSt-Pflicht, der materiell-rechtlich geregelten Anrechnung der GewSt auf die ESt (§ 35 EStG) und der formell-rechtlichen Regelung des § 371 AO. Deshalb bleibt die Ungleichbehandlung verfassungsrechtlich problematisch.

2. Juristische Methodenlehre

Die juristischen Auslegungsmethoden sind unerlässlich, um eine verfassungskonforme Interpretation des § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 AO zu gewährleisten und den Gleichheitsgrundsatz zu wahren (st. Rechtsprechung, zuletzt BVerfG 28.11.23, 2 BvL 8/13, BGBl I 24, Nr. 47).

§ 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 AO differenziert nicht zwischen den Einkunftsarten nach § 2 Abs. 1 EStG, was dafürspricht, die Norm einheitlich anzuwenden. Die mangelnde Unterscheidung im Wortlaut lässt vermuten, dass der Gesetzgeber keine bewusste Ungleichbehandlung beabsichtigt hat.

§ 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 AO ist systematisch in der AO eingebettet, die allgemeine Vorschriften zum Steuerrecht enthält. Auch die systematische Auslegung deutet darauf hin, dass der Gesetzgeber nicht zwischen den verschiedenen Einkunftsarten differenziert hat, da das Steuerstrafrecht generell alle Steuerpflichtigen gleich behandeln soll, unabhängig davon, aus welcher Einkunftsart die Steuerhinterziehung resultiert. Jedoch könnte die Praxis der Steuererhebung zu einer faktischen Ungleichbehandlung führen (Arconada Valbuena/Rennar, a. a. O.)

Bei der Einführung des § 371 AO war es dem Gesetzgeber vorrangig, Steuerhinterziehungen effizient zu bekämpfen und dazu Steuerpflichtige zur freiwilligen Offenlegung zu motivieren.

Ziel der strafbefreienden Selbstanzeige ist es, das Steueraufkommen zu sichern und Steuerpflichtige zur Korrektur von Steuerverfehlungen zu motivieren, um so das Vertrauen in das Steuersystem zu stärken. Die Ausnahme des § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 AO soll sicherstellen, dass für den Täter Straffreiheit bei Taten, die einen Betrag von 25.000 EUR je Tat übersteigen, nicht eintritt. Diese Zielsetzung gilt dabei unabhängig von der Einkunftsart nach § 2 Abs. 1 EStG. Eine teleologische Auslegung rechtfertigt es nicht, zwischen Einkünften aus selbstständiger und gewerblicher Tätigkeit zu differenzieren, da der Zweck der Norm, Steuerpflichtige zur Korrektur von Steuerverfehlungen zu motivieren, gleich bleibt.

Eine Ungleichbehandlung nach § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 AO von Einkünften aus selbstständiger und gewerblicher Tätigkeit bei einer strafbefreienden Selbstanzeige wäre nur zulässig, wenn sie durch sachliche Gründe gerechtfertigt wäre. Die verfassungskonforme Auslegung verlangt, dass die Norm im Zweifel einheitlich ausgelegt wird, unabhängig davon, ob es sich um Einkünfte aus selbstständiger und gewerblicher Tätigkeit handelt, um eine mögliche Diskriminierung bestimmter Einkünfte zu vermeiden.

3. Verfassungsrechtliche Anforderungen gem. BVerfG

Das BVerfG betont, dass Differenzierungen einer strengen Verhältnismäßigkeitsprüfung unterzogen werden müssen, insbesondere im Steuerrecht (st. Rechtsprechung, zuletzt BVerfG 28.11.23, 2 BvL 8/13, BGBl I 24, Nr. 47). Dies gilt umso mehr, wenn die Unterscheidungskriterien vom Einzelnen kaum beeinflussbar sind. Fehlen sachliche Rechtfertigungen, könnte Art. 3 GG verletzt und damit § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 AO verfassungswidrig sein.

a) Gleichheitsgrundsatz nach Art. 3 GG

Der Gleichheitsgrundsatz verlangt, dass wesensgleiche Sachverhalte gleichbehandelt werden müssen. Eine unterschiedliche steuerliche Behandlung von Einkünften (dies gilt für alle Einkünfte nach § 2 Abs. 1 EStG) aus selbstständiger und gewerblicher Tätigkeit ist nur verfassungsrechtlich zulässig, wenn sie durch hinreichend gewichtige Gründe gerechtfertigt ist. Dies könnte z. B. bei einem höheren Missbrauchsrisiko bei selbstständigen Tätigkeiten der Fall sein, was empirisch nachgewiesen werden müsste. Solche Gründe sind jedoch im Steuerrecht oft schwierig nachzuweisen und für die Differenzierung vorliegend auch nicht erkennbar.

b) Rechtsprechung des BVerfG

In seiner Rechtsprechung hat das BVerfG stets betont, dass jede steuerliche Differenzierung einer sachlichen Rechtfertigung bedarf (st. Rechtsprechung, zuletzt BVerfG, a. a. O.). Art. 3 Abs. 1 GG ist jedenfalls verletzt, wenn sich ein vernünftiger, sich aus der Natur der Sache ergebender oder sonst wie sachlich einleuchtender Grund für eine gesetzliche Differenzierung oder Gleichbehandlung nicht finden lässt (vgl. z. B. BVerfG 5.10.93, 1 BvL 34/81, BVerfGE 89, 132; 18.7.05, 2 BvF 2/01, BVerfGE 113, 167, unter C.IV.2. [Rn. 126]).

4. Notwendigkeit einer Reform

Um die aufgeworfenen verfassungsrechtlichen Bedenken auszuräumen, wäre es notwendig, § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 AO dahin gehend materiell-rechtlich zu überprüfen, ob die Straffreiheit einer Selbstanzeige im Hinblick auf die Anrechnung der Gewerbesteuer zu versagen ist.

Eine Reform könnte auch darin bestehen, die Auswirkungen der Anrechnung nach § 35 EStG auf die Selbstanzeige explizit zu berücksichtigen, um sicherzustellen, dass selbstständige und gewerbliche Einkünfte im Rahmen der strafbefreienden Selbstanzeige gleichbehandelt werden. Dies könnte entweder durch eine vollständige Gleichstellung der verschiedenen Einkunftsarten oder durch die Einführung klarerer Kriterien zur Differenzierung geschehen.

Die derzeitige Differenzierung ist jedoch im Rahmen des § 371 AO nicht gerechtfertigt, da die strafbefreiende Selbstanzeige eine einheitliche Regelung für alle Steuerpflichtigen darstellt.

Eine Reform könnte nicht nur die Ungleichbehandlung beseitigen, sondern auch das Vertrauen in das Steuersystem stärken und die Anwendung des § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 AO verfassungsfest gestalten.

AUSGABE: PStR 6/2025, S. 139 · ID: 50199300

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