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Vaterschaftsanfechtung Beerdigungskosten für Scheinvater rechtfertigen allein keinen Neubeginn der Anfechtungsfrist

Abo-Inhalt03.03.20251205 Min. LesedauerVon RAin Dr. Gudrun Möller, FAin Familienrecht, BGM Anwaltssozietät, Münster

| Ein Neubeginn der Anfechtungsfrist nach § 1600b Abs. 6 BGB setzt voraus, dass es unzumutbar ist, die Vaterschaftszuordnung aufrechtzuerhalten. Diese liegt jedenfalls bei Volljährigkeit des Kindes nicht per se beim Tod des Scheinvaters vor. Es müssen weitere Umstände hinzukommen. Solche sind nicht deswegen zu bejahen, weil das Kind durch behördliche Anordnung herangezogen wird, die Beerdigungskosten des Scheinvaters zu zahlen. Das hat das OLG Nürnberg entschieden. |

Sachverhalt

Die 1996 geborene Antragstellerin T hat beantragt festzustellen, dass sie nicht das Kind des 2023 verstorbenen M ist. Gleichzeitig begehrt sie für das Verfahren VKH. Sie trägt vor, dass ihre Mutter mit dem M verheiratet war. Aus der Ehe entstammen drei Kinder, außerdem sei sie selbst während bestehender Ehe geboren worden. M gelte als ihr Vater. Nach der Scheidung der Ehe habe ihre Mutter ihren leiblichen Vater, den V geheiratet. Es sei innerhalb der Familie nie streitig gewesen, dass V ihr Vater sei. Sie habe nun Kenntnis von Umständen erhalten, aufgrund derer die Folgen der Vaterschaft für sie unzumutbar geworden seien. Sie sei aufgefordert worden, zusammen mit ihren drei Geschwistern aus der ersten Ehe ihrer Mutter für die Beerdigungskosten ihres Scheinvaters aufzukommen. Sie leide unter der Vorstellung, dass ihr eigenes Kind formell als Abkömmling des M gelte und nicht als Abkömmling des tatsächlichen Großvaters V. Der Tod des Scheinvaters gelte als Grund für die Unzumutbarkeit gem. § 1600b Abs. 6 BGB. Das AG hat mit Beschluss den Antrag abgelehnt. Dagegen wendet sich die T erfolglos mit ihrer sofortigen Beschwerde (OLG Nürnberg 19.9.24, 9 WF 753/24, Abruf-Nr. 245208).

Entscheidungsgründe

Die beabsichtigte Rechtsverfolgung der T hat keine hinreichende Aussicht auf Erfolg, weil die in § 1600b BGB geregelten Anfechtungsfristen bereits verstrichen sind und auch mit dem Tod des Scheinvaters der T die Frist gem. § 1600b Abs. 6 BGB nicht neu begonnen hat, § 76 Abs. 2 FamFG, § 127 Abs. 2 S. 2, § 114 ZPO. Grundsätzlich kann die Vaterschaft binnen zwei Jahren gerichtlich angefochten werden. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Berechtigte von den Umständen erfährt, die gegen die Vaterschaft sprechen. Anfechtungsberechtigt ist gem. § 1600 Abs. 1 Nr. 4 BGB auch das Kind, hier also die T. Sie hat selbst vorgetragen, dass innerhalb der Familie bekannt war, dass der verstorbene M nicht ihr leiblicher Vater war. Die Zweijahresfrist des § 1600b BGB ist damit abgelaufen.

Ein Neubeginn der Frist gem. § 1600b Abs. 6 BGB setzt ein, wenn das Kind Kenntnis von Umständen erlangt, aufgrund derer die Folgen der Vaterschaft für das Kind unzumutbar werden. Der Gesetzgeber hat aufgrund der verschiedenen Möglichkeiten bewusst auf Hinweise verzichtet, in welchen Fällen Unzumutbarkeit gegeben ist. Er verweist als Anhaltspunkt auf die Fälle des § 1596 Abs. 1 a. F. BGB. Jedenfalls ist aufgrund des Ausnahmecharakters der Norm eine restriktive Handhabung geboten (BeckOGK/Reuß, BGB, § 1600b Rn. 57).

Nach § 1596 BGB a. F. war die Anfechtung unbefristet möglich, wenn sie wegen ehrlosen oder unsittlichen Lebenswandels des Mannes, einer schweren Verfehlung dessen gegen das Kind oder wegen einer schweren Erbkrankheit des Mannes sittlich gerechtfertigt war. Die entstandene Situation wird man auch bei Scheidung oder Eheaufhebung und bei dauerhafter Trennung der Ehegatten oder nicht ehelichen Lebensgefährten für unzumutbar halten können, wenn mit der Auflösung der sozialen Familie der Grund für das bisherige Absehen von einer Anfechtung – Rücksichtnahme auf den Familienfrieden – entfällt. Maßstab ist die persönliche Unzumutbarkeit einer Aufrechterhaltung der Vaterschaftszuordnung (BeckOK BGB/Hahn BGB § 1600b Rn. 12).

Es kann auch unzumutbar sein, die Vaterschaftszuordnung aufrechtzuerhalten, wenn der Scheinvater stirbt. Allerdings müssen jedenfalls bei Volljährigkeit des betroffenen Kindes weitere Umstände hinzutreten, die die Abstammungssituation als nicht mehr hinnehmbar erscheinen lassen.

Hier hat seit der Trennung der Eltern der T keiner der Anfechtungsberechtigten es für notwendig erachtet, die Vaterschaft den tatsächlichen Gegebenheiten entsprechend zu klären. Auch nach der Scheidung der Ehe, aus der die T stammt, ist von keinem der Berechtigten ein Anfechtungsverfahren betrieben worden. Die Anfechtung ist auch nicht aus Rücksicht auf den Familienfrieden unterlassen worden, nachdem die Mutter der T bereits seit vielen Jahren vom rechtlichen Vater der T geschieden war und nach dem eigenen Vortrag der T bereits seit geraumer Zeit zwischen ihr und dem M kein Kontakt mehr bestand. Die T hat auch nach der Geburt ihres Kindes 2020 keinen Anlass gesehen, die Vaterschaft zu klären. Darüber hinaus hätte die zweijährige Anfechtungsfrist mit dem Zeitpunkt der Geburt des Kindes erneut zu laufen begonnen und wäre im März 2022 wieder abgelaufen. Anlass für die T, die Vaterschaft zu klären war ganz offensichtlich einzig der Umstand, dass sie einen Teil der Beerdigungskosten von knapp 1.000 EUR tragen soll. Allein aus dieser moderaten finanziellen Belastung kann die T jedoch nicht die Unzumutbarkeit der Folgen der Vaterschaft für sich beanspruchen, nachdem sowohl sie als auch ihre Mutter mehr als 20 Jahre lang bei unveränderten Umständen die rechtliche Abstammungssituation akzeptiert haben.

Relevanz für die Praxis

Ein Kind kann unabhängig von seinem Alter, d. h., ggf. auch solange es lebt, bei Unzumutbarkeit die Vaterschaft des nur rechtlichen Vaters nach § 1600b Abs. 6 BGB anfechten (Grüneberg/Siede, BGB, 83. Aufl., § 1600b Rn. 30). Die Norm gilt auch für das minderjährige Kind. Dessen gesetzlicher Vertreter kann, selbst wenn er die Zweijahresfrist von Abs. 1 S. 1 hat verstreichen lassen, bei Unzumutbarkeit durchsetzen, dass die Vaterschaft nicht besteht. Er ist aber an die Anfechtungsfrist gebunden (OLG Brandenburg FamRZ 09, 59). Dasselbe gilt für das volljährige Kind, wenn sein gesetzlicher Vertreter bzw. das Kind nach Eintritt der Volljährigkeit (gem. Abs. 3) die allgemeine Anfechtungsfrist hat verstreichen lassen (Grüneberg/Siede, a. a. O.).

AUSGABE: FK 4/2025, S. 65 · ID: 50256544

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