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Liebe Kolleginnen und Kollegen,
erneut wurde obergerichtlich die Notwendigkeit einer rechtsstaatlichen und kindgerechten Verfahrensführung im Familienrecht hervorgehoben. Die Entscheidung des OLG Frankfurt a. M. (6.1.25, 6 UF 239/24) findet deutliche Worte zum staatlichen Wächteramt im Rahmen eines Sorgerechtsentzugs. Das elterliche Sorgerecht steht nicht zur Disposition der Beteiligten und das Familiengericht darf auch bei Zustimmung der Eltern zu einem Sorgerechtsentzug die gesetzlichen Prüfungspflichten nicht umgehen.
Die Kindesmutter, die unter gesetzlicher Betreuung steht, hatte zunächst einer Inobhutnahme des Kindes durch das Jugendamt (JA) zugestimmt. Später widerrief sie ihre Zustimmung und wehrte sich gegen die vollständige Sorgerechtsentziehung. Das Familiengericht entzog ihr dennoch das Sorgerecht und übertrug es dem JA, gestützt auf die Zustimmung aller Beteiligten.
Ein besonders gravierender Mangel lag in der unterbliebenen persönlichen Wahrnehmung des betroffenen Kindes durch das erstinstanzliche Gericht. Gem. § 159 Abs. 2 S. 2 und 3 FamFG ist das Gericht verpflichtet, sich auch von Neugeborenen einen unmittelbaren Eindruck zu verschaffen. Diese Anforderung dient nicht nur dazu, den Amtsermittlungsgrundsatz zu wahren, sondern auch die Subjektstellung des Kindes in einem Verfahren zu stärken, das dessen grundrechtlich geschützte familiäre Bindungen berührt. Dass das Familiengericht diesen elementaren Verfahrensschritt unterlassen hat, zeigt erhebliche Defizite in der Verfahrensgestaltung auf.
Darüber hinaus kritisierte das OLG die fehlende Begründung der erstinstanzlichen Entscheidung. Die richterliche Entscheidungskompetenz ist gerade in der hochsensiblen Materie des Sorgerechtsentzugs nicht schrankenlos, sondern an die gesetzlich normierten Voraussetzungen der §§ 1666, 1666a BGB gebunden. Ein rechtsstaatlich tragfähiger Beschluss muss erkennen lassen, dass das Gericht sich mit den Voraussetzungen einer Kindeswohlgefährdung auseinandergesetzt hat. Die bloße Zustimmung der Eltern kann und darf eine solche Prüfung nicht ersetzen.
Aufgrund des unvollständigen Ermittlungsumfangs der ersten Instanz wurde das Verfahren dorthin zurückverwiesen. Die Entscheidung appelliert an die Sorgfalt der gerichtlichen Aufklärung in Sorgerechtsverfahren, um einerseits den Schutz des Kindeswohls zu gewährleisten und andererseits das Elternrecht als Bestandteil der grundrechtlich geschützten Familie nicht unverhältnismäßig einzuschränken. Die Entscheidung darf als mahnende Erinnerung an rechtsstaatliche Grundsätze verstanden werden.
Es gilt: „Wer das Kind schützen will, muss es auch sehen.“
Ihre
Dr. Judith Krämer
AUSGABE: FK 4/2025, S. 2 · ID: 50325425