Sie sind auf dem neuesten Stand
Sie haben die Ausgabe Feb. 2025 abgeschlossen.
Elterliche SorgeGewalttaten des Vaters begründen Antrag der Mutter gem. § 1671 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BGB
| Das KG hat in einem aktuellen Fall entschieden, dass die Wertung von Art. 31 Abs. 2 Istanbul-Konvention (IK; Übereinkommen des Europarates zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt vom 11.5.11, für die Bundesrepublik am 1.2.18 in Kraft getreten; BGBl II 18, 142) im Rahmen des § 1671 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BGB zu beachten ist. |
Sachverhalt
Vater V ist gegenüber der Mutter M mehrfach gewalttätig geworden, was die drei gemeinsamen Kinder teilweise mitangesehen haben. Die Straftaten wurden teilweise nicht angezeigt, teilweise waren diese Gegenstand eines Strafverfahrens. Gegen die erstinstanzliche Verurteilung zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr und acht Monaten, die tatsächlich auf einem Geständnis von V und der Zeugenaussage der M beruhten, ging V mit der Berufung vor, über die noch nicht entschieden ist. V wendet sich erfolglos gegen den Beschluss des FamG, mit dem die kraft Sorgeerklärung bestehende gemeinsame Sorge der nicht verheirateten Eltern für die drei minderjährigen Kinder aufgehoben und auf die M allein übertragen wurde (KG 19.9.24, 16 UF 108/24, Abruf-Nr. 244955).
Entscheidungsgründe
Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. V hat trotz Fristsetzung seine Beschwerde nicht begründet. Dies führt nicht dazu, dass die Beschwerde unzulässig ist. Denn nach § 65 Abs. 1 FamFG. „soll“ die Beschwerde begründet werden, was nicht „muss“ bedeutet. Auf eine nicht näher begründete Beschwerde prüft der erkennende Senat den Ausgangsbeschluss im Wege der Amtsermittlung (§ 26 FamFG) „nur“ auf allgemeine Rechtsmäßigkeit.
Die Beschwerde ist unbegründet. Das FamG hat zutreffend die elterliche Sorge auf M übertragen. Die gem. § 1671 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BGB erforderliche sog. doppelte Kindeswohlprüfung geht zugunsten der M aus. Es ist zu prüfen, ob es dem Kindeswohl dient,
- eine bislang bestehende gemeinsame elterliche Sorge ganz oder teilweise aufzuheben und
- ob die elterliche Sorge auf den antragstellenden Elternteil zu übertragen ist.
Es entspricht dem Wohl der drei Kinder am besten, die bislang bestehende gemeinsame elterliche Sorge aufzuheben. Eine weitere gemeinsame Sorge setzt eine tragfähige soziale Beziehung der Eltern voraus. Die Eltern müssen trotz Trennung weiterhin in der Lage sein, im Interesse ihrer Kinder miteinander zu kooperieren und zu kommunizieren. Dies ist vorliegend nicht der Fall, weil M in Angst vor dem V lebt. Sie lehnt es schon ab, dass der V ihre Adresse erfährt.
Die weitere Ausübung der gemeinsamen elterlichen Sorge ist der M auch nicht zumutbar: Bei der Frage, ob die gemeinsame elterliche Sorge auf- zuheben ist, sind die Wertungen der IK zu berücksichtigen. Gem. Art. 31 Abs. 2 IK müssen die Vertragsstaaten die erforderlichen gesetzgeberischen oder sonstigen Maßnahmen treffen, um sicherzustellen, dass die Ausübung des Besuchs- oder Sorgerechts nicht die Rechte und die Sicherheit des Opfers oder der Kinder gefährdet. Dies ist auch für die Auslegung von § 1671 Abs. 1 BGB relevant. Von der M als Opfer schwerer häuslicher Gewalt kann nicht erwartet werden, dass sie mit dem Vater weiter kooperiert.
Merke | Der erste Prüfungspunkt sollte in der Praxis nicht unterschätzt werden. Es widerspricht nicht in jedem Fall dem Kindeswohl, wenn die Eltern sich nicht einigen können. Erforderlich sind konkrete nachteilige Folgen für die betroffenen Kinder. Daran kann es fehlen, wenn im Übrigen die Kommunikation der Eltern noch hinreichend intakt ist. Auch in intakten Familien können sich die Eltern nicht immer einigen. |
An der Übertragung der elterlichen Sorge für die Kinder auf M (zweiter Prüfungsschritt) bestehen keine Zweifel. M ist die Hauptbezugsperson. Die Kinder sind zwingend auf die M angewiesen, damit es ihnen wohlergeht und ihre Betreuung und Versorgung sichergestellt ist. Es ist erforderlich, dass M körperlich unversehrt und fähig ist, die Kinder betreuen zu können. Die Kinder haben seit rund 2 ½ Jahren keinen Kontakt mehr zum V. Das mit sieben Jahren älteste Kind lehnt jeglichen Kontakt zu V ab, was zu berücksichtigen ist.
Relevanz für die Praxis
Das KG hat zutreffend trotz der fehlenden Rechtskraft der erstinstanzlichen Verurteilung die Gewalttaten des V berücksichtigt. Gem. § 29 FamFG gilt in Sorgerechtsverfahren der Freibeweis. Gem. § 30 FamFG entscheidet das Gericht nach pflichtgemäßem Ermessen, ob es eine förmliche Beweiserhebung durchführt. Da M erstinstanzlich die Taten gestanden hat (sogar bestätigt durch die Aussagen der M) können diese Taten der Entscheidung zugrunde gelegt werden.
Gem. § 30 Abs. 3 FamFG „soll“ (nicht „muss“) aber eine förmliche Beweisaufnahme stattfinden, wenn das Gericht seine Entscheidung maßgeblich auf die Feststellung einer Tatsache stützen will und die Richtigkeit von einem Beteiligten ausdrücklich bestritten wird. Das Bestreiten muss ausdrücklich und hinreichend substanziiert erfolgen.
- Neumann, Art. 31 Istanbul-Konvention bei Umgangs- und Sorgerechtsverfahren, FK 23, 157
- BVerfG FamRZ 13, 433 zum Umgangsausschluss mit rechtsradikalem Vater wegen einer akuten Gefahr für körperliche Unversehrtheit und Leben der Mutter als Hauptbezugsperson der betroffenen Kinder (Aussteigerin aus der rechtsradikalen Szene)
- BGH NJW 22, 705 zur Verwertung eines rechtskräftigen Strafurteils im Wege des Urkundenbeweises.
AUSGABE: FK 2/2025, S. 29 · ID: 50242778