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ElternunterhaltBGH korrigiert Berechnung des Selbstbehalts beim Elternunterhalt

Abo-Inhalt06.01.20251251 Min. LesedauerVon RAin Dr. Gudrun Möller, FAin Familienrecht, BGM Anwaltssozietät, Münster

| Die Berechnung des Mindestselbstbehalts beim Elternunterhalt darf nicht an die Einkommensgrenze von 100.000 EUR gem. § 94 Abs. 1a SGB XII geknüpft werden. Diese Grenze ist ausschließlich für den sozialhilferechtlichen Regress relevant und darf nicht auf zivilrechtliche Unterhaltspflichten übertragen werden. Das hat der BGH entschieden. |

Sachverhalt

Der Antragsteller T ist Sozialhilfeträger. Er nimmt den Antragsgegner S aus übergegangenem Recht für den Zeitraum von Juli bis Dezember 20 auf Elternunterhalt für dessen pflegebedürftige Mutter M in Anspruch. Diese lebt in einer vollstationären Pflegeeinrichtung und kann die Kosten ihrer Heimunterbringung mit ihrer Sozialversicherungsrente und den Leistungen der gesetzlichen Pflegeversicherung nicht vollständig decken. Der T erbrachte für sie im genannten Zeitraum monatliche Sozialhilfeleistungen. Der S ist verheiratet und bewohnte mit seiner nicht erwerbstätigen Ehefrau und zwei volljährigen Kindern ein den Ehegatten gehörendes Einfamilienhaus. Das Jahresbruttoeinkommen des S belief sich 2020 auf gut 133.000 EUR.

Das AG hat den Antrag zurückgewiesen. Die Beschwerde des T ist erfolglos geblieben. Das OLG hat das Bruttoeinkommen des S um Steuern und Sozialabgaben, Unterhaltspflichten für eines der volljährigen Kinder, berufsbedingte Aufwendungen, Versicherungen sowie Altersvorsorgeaufwendungen bereinigt und die unterhaltsrelevanten Nettoeinkünfte des S mit Monatsbeträgen zwischen 5.451 EUR und 6.205 EUR ermittelt. Auf dieser Grundlage hat es den S für nicht leistungsfähig gehalten. Denn der Mindestselbstbehalt beim Elternunterhalt müsse sich mit Blick auf § 94 Abs. 1a S. 1 und 2 SGB XII an dem Nettobetrag orientieren, der sich überschlägig aus einem Jahresbruttoeinkommen von 100.000 EUR nach Abzug von Steuern und Sozialabgaben errechnen lasse, sodass ein Mindestselbstbehalt von 5.000 EUR für Alleinstehende und ein Familienmindestselbstbehalt von 9.000 EUR für Verheiratete als angemessen anzusehen sei. Die dagegen eingelegte Rechtsbeschwerde des T führte zur Aufhebung und Zurückverweisung (BGH 23.10.24, XII ZB 6/24, Abruf-Nr. 245222).

Entscheidungsgründe

Die vom OLG für angemessen erachtete Ausrichtung des Mindestselbstbehalts an der Einkommensgrenze des durch das Angehörigen-Entlastungsgesetz (AEntlG ) vom 10.12.19 eingeführten § 94 Abs. 1a SGB XII beruht auf einem unterhaltsrechtlich systemfremden Bemessungsansatz, der rechtsfehlerhaft ist und in dieser Form auch nicht mit gesetzlichen Wertungen zu rechtfertigen ist.

Nach § 94 Abs. 1a S. 1 und 2 SGB XII ist der Anspruchsübergang auf Sozialhilfeträger gegenüber solchen Kindern ausgeschlossen, deren steuerrechtliches Jahresbruttoeinkommen 100.000 EUR nicht überschreitet. Der Gesetzgeber hat darauf verzichtet, die bürgerlich-rechtlichen Unterhaltspflichten der Kinder gegenüber ihren hilfebedürftig gewordenen Eltern zu ändern. Der Umfang der sozialhilferechtlichen Rückgriffsmöglichkeiten kann grundsätzlich nicht für den Umfang der zivilrechtlichen Unterhaltspflicht maßgeblich sein. Denn der Regress (und der Verzicht darauf) knüpfen gerade an das Bestehen eines Unterhaltsanspruchs gem. BGB an. Dem AEntlG ist nicht zu entnehmen, dass unterhaltspflichtigen Kindern mit einem Jahresbruttoeinkommen von 100.000 EUR Freibeträge zustehen, die den Unterhaltsanspruch der Eltern schon vor einem Verzicht auf den Rückgriff wegen mangelnder Leistungsfähigkeit ausschließen würden.

Überschreitet das unterhaltspflichtige Kind die Jahreseinkommensgrenze des § 94 Abs. 1a S. 1 SGB XII, gehen nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut die gesamten Unterhaltsansprüche des Elternteils nach § 94 Abs. 1 SGB XII auf den Sozialhilfeträger über (und nicht nur der Teil, der sich auf das über 100.000 EUR liegende Einkommen bezieht). Hätte der Gesetzgeber etwas anderes gewollt, hätte er dies anordnen können, wovon er aber abgesehen hat. Der vom OLG für angemessen angesehene Mindestselbstbehalt von 5.000 EUR für Alleinlebende bzw. von 9.000 EUR für Verheiratete würde schon allein wegen der großzügigen unterhaltsrechtlichen Maßstäbe bei der Vorwegbereinigung des Nettoeinkommens um Altersvorsorgeaufwendungen des unterhaltspflichtigen Kindes faktisch zu einer ganz erheblichen und so ersichtlich nicht intendierten Erhöhung der den Unterhaltsrückgriff ausschließenden Jahreseinkommensgrenze von 100.000 EUR führen.

Jeder Einkommensgrenze ist immanent, dass die Normadressaten, die sie (knapp) verfehlen, dadurch von einer gewissen Härte betroffen sind. Eine darüber hinausgehende Härte beim Unterhaltsrückgriff auf besonders gutverdienende Kinder hat der BGH auch in den sog. Geschwisterfällen verneint.

Für das weitere Verfahren hat der BGH klargestellt, dass die in den Leitlinien einiger OLGs über 2020 hinaus fortgeschriebenen Mindestselbstbehalte –  zuletzt 2.650 EUR für 2024 – derzeit keinen rechtlichen Bedenken begegnen. Künftig dürfte es aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden sein, wenn dem unterhaltspflichtigen Kind nach Inkrafttreten des AEntlG ein über die Hälfte hinausgehender Anteil – etwa 70 % – des seinen Mindestselbstbehalt übersteigenden bereinigten Einkommens zusätzlich belassen wird.

Relevanz für die Praxis

Der Entscheidung sind wichtige Punkte zu entnehmen:

  • Es ist erst der Elternunterhalt zu ermitteln und dann zu klären, ob ein Sozialhilferegress nach § 94 Abs. 1a S. 1 und 2 SGB XII in Betracht kommt.
  • Überschreitet das Kind die Einkommensgrenze von 100.000 EUR, gehen nach § 94 Abs. 1 SGB XII die gesamten Unterhaltsansprüche des Elternteils auf den Sozialhilfeträger über.
  • Unterhaltspflichtigen Kindern dürfen etwa 70 % ihres über den Mindestselbstbehalt hinausgehenden Einkommens belassen bleiben.
  • Der Senat stellt klar, dass die Leitlinien zu Mindestselbstbehalten weiterhin Bestand haben.

AUSGABE: FK 2/2025, S. 22 · ID: 50258535

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