LG Köln
Sitzverlegung in Gewerbesteueroase stellt keine Hinterziehung dar
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GeständnisseGeständnisse im Strafrecht binden Zivilgerichte nicht
| Ein – auch rechtskräftiges – strafrechtliches Urteil entfaltet für einen Zivilprozess zwar keine Bindungswirkung. Eine zivilrechtliche Haftung kann sich aber aus anderen Gesichtspunkten einer strafrechtlichen Verantwortlichkeit ergeben. |
FRAGE DES STEUERBERATERS: Mein Mandant M ist Steuerberater. Aufgrund eines Geständnisses in einem Strafverfahren wurde er wegen Beihilfe zum Betrug zu zwei Jahren auf Bewährung verurteilt. Zudem wurde die Einziehung eines Betrags angeordnet. Er war in ein Betrugssystem als Steuerberater und Buchhalter eingebunden. Die Geschädigten nehmen den M nun vor dem Zivilgericht auf Schadenersatz aus unerlaubter Handlung (Beihilfe zum Betrug, § 823 Abs. 2, § 830 Abs. 2 BGB i. V. m. §§ 263, 27 StGB, und zur vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung, § 826 BGB) in Anspruch. M hat trotz des Geständnisses im Strafverfahren im zivilgerichtlichen Verfahren nun bestritten, in das Betrugssystem eingebunden gewesen zu sein. Das Geständnis habe er im Strafprozess nur abgelegt, um einer drohenden Haftstrafe zu entgehen. Er ist der Meinung, dass die Klage keinen Erfolg haben wird, da auch ein rechtskräftiges strafrechtliches Urteil für einen Zivilprozess keine Bindungswirkung entfalte. Kann er trotzdem auf Schadenersatz verurteilt werden?
ANTWORT DES STRAFVERTEIDIGERS: Ja. Zwar trifft es zu, dass die Zivilrichter nicht an das Urteil aus dem Strafverfahren gebunden sind (BGH 16.3.05, IV ZR 140/04). Dies wäre mit der das Zivilprozessrecht beherrschenden freien Beweiswürdigung nicht vereinbar (Stein/Jonas/Thole, ZPO 23. Aufl., § 286 ZPO Rn. 25). Der Zivilrichter muss sich seine Überzeugung grundsätzlich selbst bilden und ist regelmäßig auch nicht an einzelne Tatsachenfeststellungen eines Strafurteils gebunden (BGH, a. a. O.). Akten eines Strafverfahrens und ein rechtskräftiges Strafurteil können aber als Beweisurkunden herangezogen werden, auf die der Tatrichter seine Überzeugung stützen kann (BGH 2.3.73, V ZR 57/71, WM 73, 560; 6.6.88, II ZR 332/87, DB 21, 2414; 24.1.12, VI ZR 132/10).
Bei engem rechtlichen und sachlichen Zusammenhang von Zivil-und Strafverfahren darf der Zivilrichter aber rechtskräftige Strafurteile nicht völlig unberücksichtigt lassen. Er ist vielmehr gehalten, sich mit den Feststellungen auseinanderzusetzen, die für seine eigene Beweiswürdigung relevant sind (BGH 27.9.88, XI ZR 8/88). Die freie Tatsachenprüfung findet ihre Grenze nur, soweit Existenz und Inhalt eines Strafurteils Tatbestandsvoraussetzungen eines Anspruchs bilden (vgl. BGH 22.9.82, IVb ZR 576/80).
Gegen den M als Steuerberater und Buchhalter kommt aber ein deliktischer Schadenersatzanspruch aufgrund sog. berufstypischer Tätigkeiten in Betracht, § 823 Abs. 2, § 830 Abs. 2 BGB i. V. m. §§ 263, 27 StGB bzw. aus § 826 BGB. Die Gehilfenhaftung richtet sich auch im Zivilrecht nach strafrechtlichen Grundsätzen (BGH 11.7.24, III ZR 176/22; 25.7.05, II ZR 390/03, BGHZ 164, 50, 57). Gem. § 27 Abs. 1 StGB wird als Gehilfe bestraft, wer vorsätzlich einem anderen zu dessen vorsätzlich begangener rechtswidriger Tat Hilfe leistet. Beihilfe ist danach die vorsätzliche Hilfeleistung zu einer Vorsatztat eines anderen. Objektiv muss die Beihilfehandlung für den Taterfolg nicht ursächlich gewesen sein; sie muss die tatbestandsmäßige Handlung lediglich gefördert, erleichtert oder den Täter in seinem Entschluss bestärkt haben. Gehilfenvorsatz liegt vor, wenn der Gehilfe zwar nicht alle Einzelheiten, aber dennoch die zentralen Merkmale der Haupttat sowie deren Förderung durch sein Verhalten kennt oder zumindest i. S. bedingten Vorsatzes für möglich hält und in Kauf nimmt (BGH 26.8.21, III ZR 189/19, NJW 22, 705).
Eine berufstypische „neutrale“ Handlung des Hilfeleistenden – wie hier die Steuerberatung und Buchführung – ist als strafbare Beihilfe anzusehen, wenn dieser weiß, dass das von ihm geförderte Verhalten des Haupttäters darauf abzielt, eine Straftat zu begehen (BGH 11.7.24, III ZR 176/22, NJOZ 24, 1141 Rn. 13). In diesem Fall verliert das unterstützende Tun seinen „Alltagscharakter“ und damit seine Sozialadäquanz und erscheint als Solidarisierung mit dem Täter. Weiß der Hilfeleistende dagegen nicht, wie der von ihm geleistete Beitrag vom Haupttäter verwendet wird, sondern hält er es lediglich für möglich, dass er genutzt wird, um eine Straftat zu begehen, liegt regelmäßig noch keine strafbare Beihilfehandlung vor. Die Schwelle zu einer vorsätzlichen Beihilfe ist erst überschritten, wenn das von ihm erkannte Risiko eines strafbaren Verhaltens des Unterstützten derart hoch ist, dass er sich mit seiner Hilfeleistung die Förderung eines erkennbar tatgeneigten Täters angelegen sein lässt (BGH 26.8.21, III ZR 189/19, NJW 22, 705 Rn. 18).
Erforderlich ist eine bewertende Betrachtung im Einzelfall, wobei eine strafbare Beihilfe bereits aus objektiven Gründen zu verneinen sein kann, wenn dem Handeln des Täters – was vorliegend jedoch ausscheiden dürfte – der „deliktische Sinnbezug“ fehlt, weil das vom Gehilfen geförderte Tun des Haupttäters nicht allein darauf abzielt, eine strafbare Handlung zu begehen und Ihr Beitrag als Gehilfe auch ohne das strafbare Handeln des Täters für diesen sinnvoll bleibt (BGH 22.1.14, 5 StR 468/12, NZWiSt 14, 139 Rn. 28).
Ob Vorsatz vorliegt, ist eine Tatfrage, die das Tatgericht nach § 286 Abs. 1 ZPO unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer ggf. durchgeführten Beweisaufnahme nach freier Überzeugung entscheiden muss. Das umfassende Geständnis des M ist ein starkes Indiz für die Wahrheit der zugestandenen Tatsachen, zumal die Strafkammer ausdrücklich festgestellt hat, dass das Geständnis durch das Ergebnis der sonstigen Beweisaufnahme bestätigt und ergänzt worden und auch die innere Tatseite praktisch nicht mehr abstreitbar gewesen sei. Zudem führt eine rechtskräftige Verurteilung zu einer sekundären Darlegungslast. D. h., der Täter muss zu den Feststellungen des Strafurteils und zu den Beweggründen seines Geständnisses substanziiert vortragen (BGH 26.8.21, III ZR 189/19 NJW 22, 705). Vorliegend hat der M auch die Einziehung seines Steuerberaterhonorars akzeptiert.
AUSGABE: PStR 3/2025, S. 71 · ID: 50259728