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UmsatzsteuerScheinrechnungsschreiber ist umsatzsteuerpflichtig – nur welcher und wie?
| Werden entgeltlich Schein- bzw. Abdeckrechnungen über nicht erbrachte Bauleistungen eines nicht leistenden (Schein-)Subunternehmers erstellt, die nur dazu dienen, buchhalterisch den Barlohn von Schwarzarbeitern beim Rechnungskunden abzudecken, liegt eine der Mehrwertsteuer unterliegende einheitliche sonstige Leistung i. S. d. § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG vor. Das hat das FG Hessen entschieden. |
Sachverhalt
Von 2009 bis 2017 erstellten Gesellschaften (sog. Servicefirmen) Schein- bzw. Abdeckrechnungen über angeblich erbrachte Lieferungen und Leistungen, um es den Rechnungsempfängern aus der Baubranche zu ermöglichen, buchhalterisch Schwarzarbeiter zu entlohnen. Die in den Rechnungen aufgeführten (Bau-)Leistungen sind nie erbracht worden. Die Rechnungsempfänger hatten für die Schein- bzw. Abdeckrechnungen jeweils eine Provision gezahlt in der Form, dass der Nettorechnungsbetrag erhöht worden ist. Der Rechnungsbetrag ist an die Servicefirma bezahlt und der Geschäftsvorfall in der Buchhaltung des Kunden als angeblicher Subunternehmerauftrag dargestellt worden. Den Kunden ist der Rechnungsbetrag abzüglich der Provision jedoch in bar zurückgezahlt worden, um damit die Schwarzarbeiter zu entlohnen.
Als zusätzlicher „Service“ ist die Anmeldung von (Schwarz-)Arbeitern des Kunden als angebliche legale Beschäftigte der jeweiligen Servicefirma mit fiktiven Löhnen bei den öffentlichen Stellen und die Abwicklung des diesbezüglichen Zahlungsverkehrs angeboten worden, um den Anschein eines wirtschaftlich aktiven (Sub-)Unternehmens zu verstärken und die (Schwarz-)Arbeiter auf der Baustelle formal abzusichern.
Bei diesen Vorgängen ist eine Gruppe natürlicher Personen aufgetreten, die sich gegenüber den (Rechnungs-)Kunden auf diesem Gebiet betätigt und die Servicefirmen als Verfügungsberechtigte i. S. d. § 35 AO gesteuert haben.
Das LG Frankfurt/Main verurteilte u. a. die Klägerin (K) – ein Einzelunternehmen – zur Gesamtfreiheitsstrafe wegen Nichterklärung und -abführung einer von ihr persönlich geschuldeten Umsatzsteuer (USt) aus Anlass der an die Kunden erbrachten und durch die Provisionen vergüteten Dienstleistungen. Die Steuerfahndung meinte zunächst, dass die Besteuerungsgrundlagen (d. h. die Erbringung von sonstigen Leistungen in Gestalt der Erstellung von Schein- bzw. Abdeckrechnungen nebst Geldtransfer und weiteren Serviceleistungen im Rahmen des „kompletten Gesamtpakets“) einer aus kriminellen Akteuren gebildeten GbR als Unternehmerin i. S. d. § 2 Abs. 1 UStG zuzurechnen seien. Das für die GbR zuständige FA erließ entsprechende Bescheide, die im Einspruchsverfahren aufgehoben wurden. In 11/2021 gab das für K örtlich zuständige FA inhaltsgleiche USt-Bescheide für 2009 bis 2017 gegenüber K bekannt. Hiergegen wendet sich K erfolglos mit ihrer Klage.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist unbegründet (FG Hessen 7.10.24, 6 K 443/22, Abruf-Nr. 245117). Es liegen sonstige Leistungen eigener Art i. S. d. § 1 Abs. 1 Nr. 1, § 3 Abs. 9 UStG vor: Es wurden Schein- bzw. Abdeckrechnungen erstellt und übermittelt, es wurde der Zahlungsverkehr samt Rückgabe des (Grund-, d. h. Abdeck-)Rechnungsvolumens an den Kunden in bar sowie die weiteren Buchhaltungs-, Verwaltungs- und sonstigen Dienstleistungen des sog. kompletten Servicepakets abgewickelt. Diese unterliegen der USt. Die Leistungen erschöpften sich nicht in einem – verbotenen, wettbewerbsfernen und deshalb der USt mutmaßlich nicht unterliegenden – bloßen „Handel mit Scheinrechnungen“ oder der Beihilfe zur USt- und Lohnsteuerhinterziehung nebst Veruntreuung von Sozialabgaben durch die (Rechnungs-)Kunden. Eine USt-Pflicht besteht jedenfalls, wenn die für die jeweilige (Schein-)Subunternehmer-GmbH verantwortliche Tätergruppe mit ihrem Angebot gegenüber (Rechnungs-)Kunden nachhaltig am Markt in Erscheinung tritt; in diesem Fall sind die durch die Provision vergüteten Leistungen USt-rechtlich auch nicht dem formal auftretenden Rechnungsaussteller (d. h. der jeweils eingesetzten Schein-Subunternehmer-GmbH), sondern den diesen i. S. v. § 35 AO steuernden Hinterleuten bzw. ihrem Prinzipal als nach außen auftretendem Leistungserbringer zuzuordnen.
Relevanz für die Praxis
Al Capone lässt grüßen: Wenn die Ermittler die kriminellen Strukturen nicht aufbereiten können, schlägt das Strafrecht steuerlich zu. Die „kriminelle GbR“ wird nicht damit gerechnet haben, dass man ihre Einkünfte (Umsatz-)steuerlich erfasst. Steuern sind aber ethisch neutral: Sie greifen, was sie kriegen können.
Merke | Eine steuerbare Leistung gegen Entgelt (sog. Leistungsaustausch) i. S. v. Art. 2 Abs. 1 a und c) der MwStSystRL (Art. 2 Nr. 1 der 6. EG-Richtlinie) und § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG liegt vor, wenn Leistung und Gegenleistung innerlich verknüpft sind, weil der Leistende seine Leistung gerade um der Gegenleistung willen erbringt. Dabei reicht es, dass die Gegenleistung erwartet wird bzw. zumindest erwartbar ist (BFH 26.10.00, V R 10/00, BFH/NV 01, 400). Es muss ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der erbrachten Leistung und der erhaltenen Gegenleistung erkennbar sein. Der Leistungsempfänger muss einen Gegenstand oder sonstigen Vorteil erhalten, aufgrund dessen er als Empfänger einer Lieferung oder Dienstleistung in Gestalt eines Handelns, Duldens oder Unterlassens des Unternehmers angesehen werden kann (EuGH 21.3.02, C-174/00, Slg. 02, I-3293). Diese innere Verknüpfung kann entweder rechtlicher oder faktischer Natur sein. Ein rechtlich durchsetzbarer Anspruch des Empfängers auf die Leistung ist insoweit keine unbedingte Voraussetzung, um einen umsatzsteuerlichen Leistungsaustausch anzunehmen (EuGH 17.9.02, C-498/99, Slg. 02, I-7173). |
Das FG weicht von der BGH-Rechtsprechung ab (vgl. 12.1.22, 1 StR 436/21, wistra 22, 299): Der Empfänger der Schein- bzw. Abdeckrechnung verbuchte und bezahlte den Rechnungsbetrag. Er bekam diesen – abzüglich einer Provision – in bar zurück, um Schwarzlöhne auszuzahlen. Der BGH hält diesen Umsatz für nicht steuerbar. Für den „Handel mit Abdeckrechnungen“ samt Nebenleistungen gebe es keinen Wettbewerb. Für Abdeckrechnungen sei kein legaler Verwendungszweck vorstellbar. Die abweichende Entscheidung vom 7.6.21 (1 StR 314/20, wistra 21, 494) beruhe – so der BGH am 12.1.22 – darauf, dass nicht nur Abdeckrechnungen erstellt, sondern die Provisionen auch für Lohnbuchhaltungsleistungen des sog. kompletten Servicepakts) gezahlt worden seien.
Merke | Es bleibt abzuwarten, wie der BGH (in Strafsachen) auf die Kritik an seiner Rechtsprechung aus dem Bereich der Fachgerichte reagiert. Für die Vielzahl der insoweit geführten Verfahren werden die praktischen Auswirkungen allerdings eher gering sein. Denn das Hauptaugenmerk wird üblicherweise auf diejenige unternehmerische Struktur gelegt, die Schwarzarbeit aktiv betreibt, und nicht auf deren Unterstützer. |
Die Finanzbehörden haben mit dieser Entscheidung ein interessantes Gestaltungsmittel in die Hand bekommen, weshalb man folgende Fragen dogmatisch durchdeklinieren sollte: Wem sind die § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG durch die Provisionszahlungen abgegoltenen Leistungen bei Abwägung aller Umstände nicht als Unternehmer i. S. d. § 2 Abs. 1 UStG zuzurechnen?
Merke | Unternehmer i. S. v. § 2 Abs. 1 S. 1 UStG ist, wer eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit selbstständig ausübt. Diese Tätigkeiten werden nicht selbstständig ausgeübt, soweit eine natürliche Person in ein Unternehmen so eingegliedert ist, dass sie den Weisungen des Unternehmers folgen muss, § 2 Abs. 2 Nr. 1 UStG. Die Zurechnung der unternehmerischen Tätigkeit zu einem unternehmerfähigen Subjekt richtet sich danach, wer Berechtigter und Verpflichteter aus den, den Leistungen zugrunde liegenden (Rechts-) Geschäften ist (BFH 13.3.87, V R 33/79, BStBl II 87, 524). Maßgeblich ist das Auftreten nach außen (BFH 28.11.90, V R 31/85, BStBl II 91, 381), das anhand der Gesamtumstände zu beurteilen ist (BFH 16.3.00, V R 44/99, BStBl II 00, 361). Ob die natürliche Person i. d. S. selbstständig oder unselbstständig tätig ist, ist auf das Gesamtbild der Verhältnisse abzustellen. Die für und gegen die Unternehmereigenschaft sprechenden Merkmale, denen im Einzelfall unterschiedliches Gewicht zukommen kann, sind hierbei gegeneinander abzuwägen (BFH 19.2.08, XI B 205/07, BFH/NV 08, 1210): Merkmale für Nichtselbst-ständigkeit Merkmale für Selbstständigkeit |
Das FA wird prüfen müssen: Wer hatte den geschäftlichen Erstkontakt mit Neukunden? Wer führte die Verhandlungen über die Modalitäten der Leistungserbringung und die zu zahlenden Provisionen? Wer erstellte nach den Vorgaben des Kunden Schein- bzw. Abdeckrechnungen? Gab es Weisungen? Wer steuerte das Geschehen und den sich anschließenden Zahlungsverkehr?
AUSGABE: PStR 3/2025, S. 59 · ID: 50274524