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KostenrechtEinfache Verkehrsunfallsache als Inkassodienstleistung?

Abo-Inhalt13.08.202582 Min. Lesedauer

| Zwischen den Parteien ist auch in einer einfachen Verkehrsunfallsache ohne Streit zum Haftungsgrund oder zur Höhe bei der Einschaltung eines Rechtsanwalts oder eines Inkassodienstleisters regelmäßig unstreitig, dass die Geschädigte von dem Schädiger und dessen Haftpflichtversicherung nach § 7 StVG i. V. m. § 115 VVG und § 249 BGB Ersatz von Rechtsverfolgungskosten verlangen kann. Für die Praxis stellt sich aber die Frage, ob der Anspruch für die vorgerichtliche Vertretung nach Nr. 2300 Abs. 1 oder Abs. 2 VV RVG zu bemessen ist. Mit dieser Frage hat sich zuletzt das LG Stuttgart (11.12.24, 1 S 18/23, Abruf-Nr. 246438) auseinandergesetzt. Es kam zu dem Ergebnis, dass Nr. 2300 Abs. 2 VV RVG auch auf Inkassodienstleistungen Anwendung findet, die die Einziehung unbestrittener deliktischer Forderungen (hier: aus Verkehrsunfall) zum Gegenstand haben. |

Vorbemerkung

Für die Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG ist ein Gebührenrahmen von 0,5 bis 2,5 eröffnet. Abs. 1 bestimmt dabei, dass eine Gebühr von mehr als 1,3 nur gefordert werden kann, wenn die Tätigkeit umfangreich oder schwierig war. Ist Gegenstand der Tätigkeit eine Inkassodienstleistung, die eine unbestrittene Forderung betrifft, kann eine Gebühr von mehr als 0,9 nach Abs. 2 dagegen nur gefordert werden, wenn die Inkassodienstleistung besonders umfangreich oder besonders schwierig war. In einfachen Fällen darf sogar nur eine Gebühr von 0,5 gefordert werden. Ein einfacher Fall liegt in der Regel vor, wenn die Forderung innerhalb von zwei Wochen nach der ersten Zahlungsaufforderung beglichen wird. Der Gebührensatz beträgt höchstens 1,3.

Entscheidungsgründe

Infolge der vom LG Stuttgart vorgenommenen Einordnung hat es der Inkassodienstleisterin lediglich eine 0,9-Geschäftsgebühr gemäß Nr. 2300 Abs. 2 VV RVG zuzüglich Auslagenpauschale von 20 EUR sowie konkret nachgewiesener Auslagen zugebilligt (11.12.24, 1 S 18/23, Abruf-Nr. 246438).

Inkassodienstleistung bei deliktischer Forderung

Eine Inkassodienstleistung ist nach der Legaldefinition des § 2 Abs. 2 S. 1 RDG eine Rechtsdienstleistung, die die Einziehung fremder oder zum Zweck der Einziehung auf fremde Rechnung abgetretener Forderungen umfasst, wenn die Forderungseinziehung als eigenständiges Geschäft betrieben wird, einschließlich der auf die Einziehung bezogenen rechtlichen Prüfung und Beratung. Ein eigenständiges Geschäft i. S. v. Abs. 2 S. 1 liegt vor, wenn die Forderungseinziehung innerhalb einer ständigen haupt- oder nebenberuflichen Inkassotätigkeit oder außerhalb einer solchen nicht lediglich als Nebenleistung in Zusammenhang mit einer anderen beruflichen Tätigkeit erfolgt (vgl. BGH 30.10.12, XI ZR 324/11).

Die Inkassodienstleisterin wurde durch die Klägerin mit der Geltendmachung und Einziehung der Schadenersatzansprüche der Klägerin gegen die Beklagte beauftragt. Dass die Höhe der Forderung im Zeitpunkt der Beauftragung noch nicht feststand, sondern der durch den Unfall entstandene Schaden erst noch berechnet und belegt werden musste, steht der Qualifikation als Forderungseinzug nicht entgegen. Denn der Begriff der Inkassodienstleistung ist nicht in einem zu engen Sinne zu verstehen. Insbesondere ist es einem registrierten Inkassodienstleister nicht verwehrt, im Rahmen des außergerichtlichen Forderungseinzugs in substanzieller Weise Rechtsberatung vorzunehmen (BGH 7.3.23, VI ZR 180/22; der dortige Forderungseinzug betraf einen auf Schmerzensgeld gerichteten Schadenersatzanspruch aus § 7 StVG).

Nr. 2300 Abs. 2 VV RVG gilt auch für Unternehmer und Verkehrssachen

Die Inkassodienstleisterin betrieb die Forderungseinziehung auch als eigenständiges Geschäft im Hinblick auf eine unbestrittene Forderung. Das LG sieht Nr. 2300 Abs. 2 VV RVG weder nach dem Sinn und Zweck der Norm auf Verbraucher beschränkt noch seien im Wege der teleologischen Reduktion Ansprüche aus Verkehrsunfallsachen von ihrem Anwendungsbereich auszunehmen:

  • Eine teleologische Reduktion der Vorschrift auf Verbraucher scheide schon deshalb aus, weil der Gesetzgeber gesehen hat, dass sich Inkassoforderungen in rund 16 % gegen Unternehmen richten (BT-Drucksache 19/20348, S. 75), ohne die Vorschrift auf den Forderungseinzug gegen Verbraucher zu beschränken.
  • Auch für eine teleologische Reduktion der Vorschrift dahin gehend, Ansprüche aus Verkehrsunfallsachen oder allgemein deliktische Ansprüche auszunehmen, bestehe keine Veranlassung. Es war das erklärte Ziel des Gesetzgebers, für die Schuldner einen Anreiz zu setzen, offene Forderungen zeitnah zu begleichen. Dies liege im Interesse aller Beteiligter, da der Wirtschaft das ihr zustehende Geld zufließe, Rechtsanwältinnen, Rechtsanwälten und Inkassodienstleistern weniger Aufwand entstehe und die Schuldner von geringeren Kosten profitierten (BT-Drucksache, a. a. O., S. 23).

Die Differenzierung zwischen unbestrittenen und bestrittenen Forderungen beruhe hierbei auf der Annahme, dass sich der Umfang der rechtlichen Prüfung und damit des Aufwands der Rechtsanwälte oder der Inkassodienstleister in der Regel wesentlich danach unterscheide, ob eine unbestrittene Forderung beigetrieben werden solle oder infolge des Bestreitens des Schuldners auch die Berechtigung der Forderung und die Erfolgsaussichten ihrer Durchsetzung zu prüfen seien (BT-Drucksache, a. a. O., S. 62). Anhaltspunkte dafür, dass dieser Ansatz für das gewöhnliche Forderungsinkasso, nicht aber für die Einziehung deliktischer Schadenersatzansprüche aus Verkehrsunfällen – jedenfalls wenn diese im Rahmen einer Inkassotätigkeit erfolgt – gelten sollte, sind weder durch die Beklagte vorgetragen noch sonst ersichtlich.

Rechtsanwälte und Inkassodienstleister betroffen

Das LG sieht auch keine Ungleichbehandlung zwischen Inkassodienstleistern und Rechtsanwälten. Vom Anwendungsbereich der Nr. 2300 Abs. 2 VV RVG sind auch Rechtsanwälte erfasst, die eine Inkassodienstleistung erbringen (zur Abgrenzung zwischen Anwalts- und Inkassotätigkeit vgl. Müller-Rabe, in: Gerold/Schmitt, RVG, 26. Aufl., § 1 Rn. 38). Dementsprechend nimmt auch die Gesetzesbegründung stets gleichermaßen auf Inkassodienstleister und Rechtsanwälte Bezug.

Kein einfacher Fall

Entgegen der Auffassung der Schädigerin und ihrer Haftpflichtversicherung handelte es sich vorliegend nicht um einen einfachen Fall i. S. v. Nr. 2300 Abs. 2 S. 2 VV RVG:

  • Zwar liegt ein einfacher Fall gemäß Nr. 2300 Abs. 2 S. 2 VV RVG in der Regel vor, wenn die Forderung auf die erste Zahlungsaufforderung hin beglichen wird.
  • Tatsächlich beglich die Beklagte die durch die Inkassodienstleisterin geltend gemachte Forderung auf die erste Zahlungsaufforderung hin.
  • Das Vorliegen eines Regelfalls kann indes auch in einer solchen Konstellation zu verneinen sein, wenn eine wertende Gesamtbetrachtung ergibt, dass der Gegenstand der Inkassotätigkeit über einen einfachen Fall hinausging. So lag es hier.

Bei der Beurteilung der Fälle im Rahmen des Abs. 2 ist nach der Vorstellung des Gesetzgebers als Vergleichsmaßstab die durchschnittliche Inkassotätigkeit heranzuziehen (BT-Drucksache, a. a. O., S. 63). Bei der überwiegenden Anzahl der Inkassoaufträge dürfte die Höhe der einzuziehenden Forderung bei Beauftragung des Inkassodienstleisters bereits feststehen.

Beachten Sie | Soweit das Inkassounternehmen neben der bloßen Einziehung der Forderung auch mit Ermittlungen zur Schadenshöhe beauftragt wird, rechtfertigt diese nicht standardmäßig zu erbringende Vorarbeit eine Abweichung von dem gesetzlichen Regelbeispiel.

Anhaltspunkte dafür, dass die Inkassodienstleistung im vorliegenden Fall besonders umfangreich oder besonders schwierig war – mit der Folge, dass eine über 0,9 hinausgehende Gebühr (bis 1,3) anzusetzen wäre –, sind hingegen weder durch die Klägerin vorgetragen worden noch waren sie sonst ersichtlich.

Beachten Sie | Dass nach der Rechtsprechung des BGH in der Vergangenheit bei durchschnittlichen Verkehrsunfällen die Regelgebühr der Nr. 2300 VV RVG a. F. zum Tragen kam, ist unerheblich. Denn der neu eingefügte Abs. 2 verfolgt gerade das Ziel, die gesetzliche Vergütung für Inkassodienstleistungen bei unbestrittenen Forderungen – und zwar unabhängig davon, ob diese durch einen Rechtsanwalt oder einen Inkassodienstleister erbracht wurden – zu reduzieren.

AUSGABE: FMP 8/2025, S. 142 · ID: 50457249

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