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LeserfallFormbedürftigkeit und Widerrufsrecht bei Mietverträgen?
| Ein Leser berichtet von folgendem Fall: Auf einem Onlineportal hat die V-GmbH die Vermietung einer Wohnung inseriert. Nachdem A sein Interesse signalisiert hat, übersendet die V-GmbH ein Exposé mit einer Beschreibung der Wohnung und einen ausgefüllten Mietvertrag. A unterzeichnet diesen, ohne die Wohnung vorher besichtigt zu haben, und übermittelt den Mietvertrag mit einer digital erzeugten Unterschrift zurück an den Vermieter. Als A dann die Wohnung erstmalig in Augenschein nimmt, stellt er fest, dass der allgemeine Zustand und die Lage der Wohnung nicht seinen Vorstellungen entsprechen. Er wendet sich daher an den Vermieter und erklärt, er nehme von seiner Absicht Abstand, die Wohnung zu mieten. Ein Mietvertrag sei nicht zustande gekommen, da dieser nicht der gesetzlich vorgeschriebenen Schriftform entspreche; im Übrigen stehe ihm ein Widerrufsrecht zu, da es sich um einen Fernabsatzvertrag handele. Der Vermieter entgegnet, der Mietvertrag sei auch formlos wirksam zustande gekommen, ein Widerrufsrecht sei bei Mietverträgen ausgeschlossen. Seine Erklärung könne allenfalls als ordentliche Kündigung ausgelegt werden, die aber frühestens nach Ablauf der gesetzlichen Kündigungsfrist wirksam werde. Er sei bis dahin zur Zahlung der Miete verpflichtet. Nachdem A gleichwohl nicht gezahlt hat, hat der Vermieter die Forderung an einen Rechtsdienstleister abgetreten. Die Kernfrage: Besteht die Forderung? Die Antwort ist nicht so einfach und verlangt grundsätzliche Erwägungen. |
Inhaltsverzeichnis
- 1. Formbedürftigkeit von Mietverträgen
- 2. Bald genügt bei Gewerbemietverträgen Textform
- 3. Kann der geschlossene Mietvertrag widerrufen werden?
- 4. Stellung der Mietvertragsparteien
- 5. Außergeschäftsraumvertrag
- 6. Fernabsatzvertrag
- 7. Widerrufsfrist und Widerrufserklärung
- 8. Ausschluss des Widerrufs bei vorheriger Besichtigung
1. Formbedürftigkeit von Mietverträgen
Ein Mietvertrag über Wohnraum bedarf grundsätzlich nicht der Schriftform, sondern kann auch mündlich oder durch schlüssiges Verhalten wirksam geschlossen werden. Dies ergibt sich aus § 550 BGB. Nur wenn der Mietvertrag für mehr als einem Jahr geschlossen wird, ist Schriftform erforderlich. Fehlt bei längeren Laufzeiten die Schriftform, gilt der Vertrag als auf unbestimmte Zeit abgeschlossen und kann unter Einhaltung der gesetzlichen Kündigungsfristen gekündigt werden. Die fehlende Schriftform führt also nicht zur Unwirksamkeit des Vertrags, sondern nur zu einem Vertrag mit unbestimmter Laufzeit.
In o. g. Fall bedurfte der Abschluss des Wohnraummietvertrags also keiner bestimmten Form. Der Vertrag ist somit durch die übereinstimmenden Erklärungen der Parteien wirksam zustande gekommen.
Beachten Sie | § 550 BGB betrifft fast ausschließlich Gewerbemietverträge, da eine Befristung von Wohnmietverträgen nur in ganz besonderen Einzelfällen rechtlich zulässig ist und daher in der Praxis kaum eine Rolle spielt. Im Gewerbemietrecht weisen nahezu alle Gewerbemietverträge eine feste Laufzeit von mehr als einem Jahr auf und fallen damit unter das Schriftformgebot. Ein Verstoß hat nach dieser Regelung zur Folge, dass der Mietvertrag zwar an sich wirksam bleibt, die feste Laufzeit aber entfällt und stattdessen das Mietverhältnis als unbefristet gilt, sodass es jederzeit innerhalb der ordentlichen Kündigungsfristen ohne Angabe von Gründen sowohl vom Vermieter als auch vom Mieter einseitig gekündigt werden kann. Dabei erfasst das Schriftformerfordernis nicht nur den Mietvertrag selbst, sondern auch jede nachträgliche Änderung.
2. Bald genügt bei Gewerbemietverträgen Textform
Durch das am 29.10.24 im Bundesgesetzblatt veröffentlichte Vierte Bürokratieentlastungsgesetz (BEG IV, BGBl. I 2024, Nr. 323) wird sich künftig eine Änderung ergeben. Nach Inkrafttreten des BEG IV am 1.1.25 reicht für Gewerbemietverhältnisse, die für längere Zeit als ein Jahr geschlossen werden, die Textform aus. Für bereits bestehende Mietverhältnisse gilt eine Übergangsfrist von einem Jahr, das heißt, diese sind noch für ein Jahr nach den bisherigen Vorschriften zu beurteilen. Wird ein Mietvertrag früher geändert, gelten die neuen Vorschriften bereits ab dem Zeitpunkt der Änderung.
3. Kann der geschlossene Mietvertrag widerrufen werden?
Ist der Mietvertrag also wirksam zustande gekommen, stellt sich die weitere Frage, ob der Mieter seine zum Abschluss des Mietvertrags abgegebene Willenserklärung nun widerrufen kann.
Nach den Vorgaben des EU-Rechts hat der nationale Gesetzgeber in §§ 312 ff., 495, 650i, 355 BGB für Verbraucher das Recht eingeräumt, sich von einem geschlossenen Vertrag durch Widerruf zu lösen. Das Widerrufsrecht setzt beim Außergeschäftsraumvertrag (§ 312b BGB) und Fernabsatzvertrag (§ 312c BGB) zunächst voraus, dass ein Verbrauchervertrag nach § 310 Abs. 3 BGB abgeschlossen wurde (§ 312 Abs. 1 S. 1 BGB), also ein Vertrag zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher (§§ 13,14 BGB). Soweit dieser Verbrauchervertrag eine entgeltliche Leistung des Unternehmers zum Gegenstand hat und außerhalb von Geschäftsräumen (§ 312b BGB) oder im Wege des Fernabsatzes (§ 312c BGB) abgeschlossen wurde, kann der Verbraucher den Vertragsschluss nach § 355 BGB grundsätzlich widerrufen. § 312 Abs. 2 und § 312g Abs. 2 BGB schließen das Widerrufsrecht jedoch für bestimmte Vertragskonstellationen aus.
Checkliste / Widerruf beim Außergeschäftsraum- oder Fernabsatzvertrag |
Rechtsfolge: Nach § 312g BGB steht dem Verbraucher bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen und bei Fernabsatzverträgen ein Widerrufsrecht gemäß § 355 BGB zu.
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4. Stellung der Mietvertragsparteien
Zunächst gilt ein Widerrufsrecht also nur zwischen einem Mieter als Verbraucher und einem Vermieter als Unternehmer. Insbesondere bei Wohnraummietverträgen wird man davon ausgehen können, dass jeder Mieter Verbraucher ist.
Relevant ist insofern nur die Frage, wann ein Vermieter von Wohnraum als Unternehmer anzusehen ist. Der Unternehmerbegriff ist in § 14 BGB geregelt. Danach ist Unternehmer jeder, der bei Abschluss eines Vertrages gewerblich oder selbstständig beruflich tätig ist. Problematisch kann die Unternehmereigenschaft bei einem privaten Vermieter sein, der zwecks Anlage und Verwaltung seines Vermögens am Marktgeschehen teilnimmt. Dabei ist die Abgrenzung von privatem zu einer berufsmäßig betriebenen Vermögensverwaltung oft schwierig. Das ausschlaggebende Kriterium ist der Umfang der mit der Vermögensverwaltung verbundenen Geschäfte. Erfordern diese einen planmäßigen Geschäftsbereich, wie etwa die Unterhaltung eines Büros oder einer Organisation, liegt eine gewerbliche Betätigung vor (BGH 23.10.01, XI ZR 63/01). Im o. g. Fall ist die GmbH als Vermieter unzweifelhaft Unternehmer.
5. Außergeschäftsraumvertrag
Ein Widerrufsrecht setzt weiter das Vorliegen eines Außergeschäftsraumvertrags oder einen Fernabsatzvertrag voraus. Außerhalb von Geschäftsräumen geschlossene Verträge sind nach § 312b BGB Verträge, die bei gleichzeitiger körperlicher Anwesenheit des Verbrauchers und des Unternehmers an einem Ort geschlossen werden, der kein Geschäftsraum des Unternehmers ist. Im Fall unseres Lesers wurde der Vertrag ausschließlich online, also ohne gleichzeitige körperliche Anwesenheit der Vertragsparteien abgeschlossen. Somit scheidet ein Außergeschäftsraumvertrag von vornherein aus.
6. Fernabsatzvertrag
In Betracht kommt aber ein Fernabsatzvertrag (§ 312c BGB). Ein solcher liegt vor, wenn für Vertragsverhandlungen und den Vertragsschluss ausschließlich Fernkommunikationsmittel verwendet wurden. Unter Fernkommunikationsmittel sind sämtliche Kommunikationsmittel zu verstehen, die nicht an die gleichzeitige Anwesenheit der Personen in einem Raum anknüpfen, z. B. Brief, Telefon, Fax, E-Mail o. Ä.
Weitere Voraussetzung ist, dass ein organisiertes Vertriebs- und Dienstleistungssystem unterhalten wird. Die Anforderungen an eine entsprechende Organisation sind nicht sehr hoch. Es wird als ausreichend angesehen, wenn eine Webseite im Internet unterhalten wird und Bestellmöglichkeiten per Telefon, Fax oder E-Mail vorgesehen sind (OLG Düsseldorf 13.6.14, I-7 U 37/13). Auch diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall offensichtlich erfüllt.
Wird ein entsprechender Vertrag als Fernabsatzvertrag geschlossen, steht dem Mieter ein Widerrufsrecht zu. Die Regelungen über die Rechtsfolgen des Widerrufs sind in §§ 355 ff. BGB geregelt.
7. Widerrufsfrist und Widerrufserklärung
Grundsätzlich kann der Mieter den Vertragsabschluss durch einseitige Erklärung widerrufen. Hat der Vermieter den Mieter auf ein bestehendes Widerrufsrecht rechtlich wirksam hingewiesen, beträgt die Widerrufsfrist nach § 355 Abs. 2 BGB 14 Tage nach Vertragsschluss. Wurde eine Belehrung über das Widerrufsrecht unterlassen oder war diese fehlerhaft, kann der Mieter gemäß § 356 Abs. 3 BGB noch 12 Monate und 14 Tage nach dem Vertragsabschluss von seinem Widerrufsrecht Gebrauch machen.
Da der Vermieter den Mieter im o. g. Fall bei Abschluss des Vertrags nicht über sein Widerrufsrecht belehrt hatte, kann der Mieter sein Widerrufsrecht noch bis zu 12 Monaten und 14 Tagen nach Vertragsschluss fristgerecht ausüben.
8. Ausschluss des Widerrufs bei vorheriger Besichtigung
In § 312 Abs. 2 und § 312 g Abs. 2 BGB hat der Gesetzgeber nun konkrete Konstellationen normiert, in denen das Widerrufsrecht ausgeschlossen ist. So besteht nach § 312 Abs. 4 S. 2 BGB für den Mieter kein Widerrufsrecht, wenn vor Abschluss eines neuen Wohnraummietvertrags die Wohnung durch alle Mietvertragsparteien besichtigt wurde. Die Besichtigung setzt voraus, dass es dem Mieter möglich war, sämtliche Räume in Augenschein zu nehmen. Das gilt nicht nur für die Wohnräume, sondern auch für alle Nebenräume und gegebenenfalls den Keller. Ein Ausschluss ist bereits gegeben, wenn ein Raum abgeschlossen ist oder die Besichtigung einzelner Räume nicht ermöglicht wird. Im vorliegenden Fall hat der Mieter den Mietvertrag geschlossen, ohne die Wohnung vorher zu besichtigen. Das Widerrufsrecht wird also nicht ausgeschlossen, sondern besteht hier fort.
Der Mieter hat also den Mietvertrag wirksam nach § 312g BGB widerrufen. Der Mietvertrag ist durch den Widerruf erloschen und löst somit keine Zahlungsverpflichtung aus. Für Vermieter ist also Vorsicht geboten.
Checkliste / Widerruf eines Mietvertrags vermeiden |
Zur Vermeidung eines Widerrufsrechts des Mieters können Vorkehrungen getroffen werden. Dabei gilt:
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AUSGABE: FMP 1/2025, S. 7 · ID: 50238206