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Sie haben die Ausgabe März 2025 abgeschlossen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
der BGH hat sich klar zu der Frage positioniert, unter welchen Voraussetzungen die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist, wenn eine Beschwerde versehentlich an ein unzuständiges Gericht adressiert wurde (BGH 23.10.24, XII ZB 576/23). Die Entscheidung beleuchtet einerseits die Sorgfaltspflichten eines Verfahrensbevollmächtigten, andererseits die Grenzen der gerichtlichen Fürsorgepflicht im Umgang mit irrlaufenden Schriftsätzen.
Dem Beschwerdeführer wurde durch das AG ein Zugewinnausgleich von über 700.000 EUR auferlegt. Die dagegen gerichtete Beschwerde wurde irrtümlich beim OLG eingelegt, anstatt fristgerecht beim zuständigen AG. Obwohl die fehlerhafte Zustellung noch vor Fristablauf erkannt wurde, gelangte der Schriftsatz aufgrund der postalischen Weiterleitung erst nach Fristende an seinen Bestimmungsort. Der Antrag auf Wiedereinsetzung wurde zurückgewiesen, ebenso wie die darauf folgende Rechtsbeschwerde.
Der BGH betont zwei zentrale Argumente:
- Ein Anwalt ist verpflichtet, die Adressierung eines fristgebundenen Schriftsatzes sorgfältig zu prüfen.
- Die Erstellung und Kontrolle einer Beschwerdeschrift sind keine delegierbaren Aufgaben, die vollständig einer Kanzleimitarbeiterin überlassen werden können – so der Exkulpationsversuch des Kollegen. Die fehlerhafte Adressierung begründet daher ein dem Beschwerdeführer zurechenbares Verschulden.
Einer übersteigerten Fürsorgepflicht der Gerichte wird eine deutliche Absage erteilt: Zwar besteht eine Pflicht des unzuständigen Gerichts, eingehende Schriftsätze im ordentlichen Geschäftsgang an das zuständige Gericht weiterzuleiten. Diese Pflicht umfasst jedoch nicht die sofortige elektronische Übermittlung oder beschleunigte Behandlung innerhalb weniger Stunden.
Die Entscheidung macht deutlich, dass die rechtzeitige und korrekte Einreichung von Schriftsätzen eine Kernpflicht des Prozessbevollmächtigten ist. Fehler bei der Adressierung können nicht dadurch kompensiert werden, eine vermeintliche Pflicht seitens des Gerichts anzunehmen, Schriftsätze beschleunigt zu bearbeiten. Eine optimierte Kanzleiorganisation und klare Kontrollprozesse sind unverzichtbar, um derartige Risiken zu vermeiden. Kleine Nachlässigkeiten und organisatorische Missgeschicke können zu weitreichenden Konsequenzen führen.
Denn letztlich gilt:
„Knapp vorbei – oder in diesem Fall zu spät – ist auch daneben.“
Ihre
Dr. Judith Krämer
AUSGABE: FK 3/2025, S. 2 · ID: 50293812