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UnfallschadensregulierungErsatzbeschaffung ohne ausgewiesene MwSt: Wann geht da noch was und wann nicht?
| Der Geschädigte erleidet einen unverschuldeten Totalschaden. Sein Fahrzeug gehört in die Schublade „wird typischerweise regelbesteuert angeboten“. Er schafft es ab und kauft ein Ersatzfahrzeug. Das allerdings erwirbt er ohne ausgewiesene Mehrwertsteuer. Nun rechnet der Versicherer auf der Basis des im Schadengutachten ausgewiesenen Wiederbeschaffungswerts (WBW) ab. Dabei stellt er allerdings auf den Netto-WBW ab. |
Inhaltsverzeichnis
- 1. Fiktiv abgerechneter und konkret abgerechneter Totalschaden
- 2. Der Geschädigte (bzw. sein Anwalt) muss sagen, was er will
- 3. Die Ohrfeige und die mitgelieferte Lösung
- 4. Die Grundlage hat der BGH im Jahr 2005 gelegt
- 5. Rückgriff des BGH auf die Gesetzesbegründung
- 6. Anwendungsbeispiele
- 7. Und nie vergessen: Nicht nur machen, sondern auch erklären
Ist das richtig? Oder kann je nach Kaufpreis des Ersatzfahrzeugs verlangt werden, dass der WBW bis zu dessen Bruttobetrag erstattet wird? Die Antwort: Es kommt darauf an …
Dass bei allen nachfolgenden Abrechnungsmodalitäten der Restwert angerechnet werden muss, ist klar. Es wird daher nicht jeweils wiederholt.
1. Fiktiv abgerechneter und konkret abgerechneter Totalschaden
Als Einstieg in alle für die Beantwortung der Frage notwendigen Überlegungen muss man zuerst verinnerlichen: So wie es die Abrechnung fiktiver Reparaturkosten – nämlich ohne oder ohne nachgewiesene Reparatur – und die Abrechnung konkreter Reparaturkosten – nämlich auf der Grundlage der Rechnung für die durchgeführte Reparatur – gibt, so gibt es auch den auf fiktiver Basis und den auf konkreter Basis abgerechneten Totalschaden.
Ist eine Ersatzbeschaffung nicht erfolgt oder nicht nachgewiesen, ist die Grundlage für die Schadenabrechnung das Schadengutachten. Denn nun wird auf fiktiver Basis abgerechnet.
Hat der Geschädigte hingegen Ersatz beschafft, muss er sich entscheiden: Entweder er rechnet auf fiktiver Basis, also auf der Grundlage des Schadengutachtens ab. Oder er rechnet auf konkreter Basis der Rechnung oder des Zahlungsbelegs nebst Kaufvertrag für das gekaufte Ersatzfahrzeug ab. Dann verlangt er den Kaufpreis für das gekaufte Fahrzeug, der Höhe nach begrenzt durch den WBW aus dem Schadengutachten. Das Gutachten hat dann insoweit nur noch die Funktion der Grenzziehung nach oben.
Es ist aber nicht immer sinnvoll, auf Kaufbasis, also konkret, abzurechnen. Da hängt davon ab, ob der aufgewendete Betrag höher ist als der WBW netto, wie die Beispiele unten erweisen werden.
2. Der Geschädigte (bzw. sein Anwalt) muss sagen, was er will
Die Entscheidung zur fiktiven oder zur konkreten Abrechnung macht am Ende den Unterschied. Und diese Entscheidung muss artikuliert werden. Der Geschädigte – und zur Haftungsvermeidung seine anwaltliche Vertretung – muss sich unmissverständlich äußern, ob eine fiktive Abrechnung vorgenommen wird oder eine konkrete.
Ein nahezu klassisches Beispiel für eine zulasten des Mandanten anwaltlich vor die Wand gefahrene Abrechnung bietet das Urteil BGH, 12.10.21, VI ZR 513/19, Abruf-Nr. 226582: Der Geschädigte hat einen Reparaturschaden erlitten, schafft das Fahrzeug dennoch ab und erwirbt ein Ersatzfahrzeug mit ausgewiesener Mehrwertsteuer. Sein Anwalt fordert die Reparaturkosten brutto, denn der Geschädigte habe doch für die Wiederherstellung des Zustands im Wege der Ersatzbeschaffung MwSt aufgewendet, und zwar mehr, als es der MwSt in der Reparaturkalkulation entspricht.
3. Die Ohrfeige und die mitgelieferte Lösung
Krasser Fehler, attestiert ihm der BGH in Rn. 21: Weil nicht repariert wurde, bleibt die Abrechnung der Reparaturkosten eine fiktive. Und bei der fiktiven Abrechnung gibt es keine MwSt, § 249 Abs. 2 S. 2 BGB.
Die verpasste Lösung liefert der BGH in der vorhergehenden Rn. 20 gleich mit: „Auch wenn er seinen Fahrzeugschaden zunächst fiktiv abgerechnet hat, kann er später – im Rahmen der rechtlichen Voraussetzungen für eine solche Schadensabrechnung und der Verjährung – grundsätzlich zur konkreten Schadensabrechnung übergehen und Ersatz der tatsächlich angefallenen Kosten verlangen.“
Also hätte der Anwalt des Geschädigten ab Kauf des Ersatzfahrzeugs erklären müssen: Nun rechnen wir nicht mehr die fiktiven Reparaturkosten ab. Wir steigen um auf die Abrechnung des konkret aufgewendeten Kaufpreises, der Höhe nach begrenzt durch die im Gutachten ausgewiesenen Bruttoreparaturkosten. Er hat aber immer auf Abrechnung der Reparaturkosten beharrt. Und deshalb den Rechtsstreit verloren.
4. Die Grundlage hat der BGH im Jahr 2005 gelegt
Die Grundlage für die Differenzierung zwischen der Abrechnung eines Totalschadens auf fiktiver Basis und der auf konkreter Basis hat der BGH bereits vor langer Zeit gelegt, nämlich in BGH 1.3.05, VI ZR 91/04, Abruf-Nr. 051974. Nota bene: Bei der Lektüre des Leitsatzes dürfen die Worte „im Wege konkreter Schadensabrechnung“ nicht übersehen werden:
„Erwirbt der Geschädigte ein Ersatzfahrzeug zu einem Preis, der dem in einem Sachverständigengutachten ausgewiesenen (Brutto-)Wiederbeschaffungswert des unfallbeschädigten Kraftfahrzeugs entspricht oder diesen übersteigt, kann er im Wege konkreter Schadensabrechnung die Kosten der Ersatzbeschaffung bis zur Höhe des (Brutto-)Wiederbeschaffungswerts des unfallbeschädigten Kraftfahrzeuges – unter Abzug des Restwerts – ersetzt verlangen. Auf die Frage, ob und in welcher Höhe in dem im Gutachten ausgewiesenen (Brutto-)Wiederbeschaffungswert Umsatzsteuer enthalten ist, kommt es in diesem Zusammenhang nicht an.“
Und warum kommt es auf die Frage, ob im aufgewendeten Kaufpreis MwSt enthalten ist, nicht an? Weil der Geschädigte erklärt hat, konkret auf Kaufpreisbasis abzurechnen. Sinngemäß: Ich verlange die Erstattung des Kaufpreises, den ich aufgewendet habe, allerdings begrenzt auf den Brutto-WBW aus dem Schadengutachten.
Siehe Seite 6 unten im Urteil: „Hiervon unterscheidet sich der vorliegende Fall, in dem der Kläger ein Ersatzfahrzeug beschafft hat und seinen Schaden konkret auf Basis dieser Ersatzbeschaffung abrechnet.“ Hätte er hingegen auf der Abrechnung auf der Grundlage des Schadengutachtens beharrt, hätte er die fiktive Abrechnung gewählt. Und dann hätte er nur den WBW netto bekommen.
5. Rückgriff des BGH auf die Gesetzesbegründung
Die Basis für diese Andersbehandlung erläutert der BGH wie folgt: „Lediglich bei der fiktiven Schadensabrechnung nach einer Beschädigung von Sachen soll sich nach der Absicht des Gesetzgebers deren Umfang mindern, indem die fiktive Umsatzsteuer als zu ersetzender Schadensposten entfällt.“
Also: Bei fiktiver Abrechnung, aber eben auch nur bei fiktiver Abrechnung, ist § 249 Abs. 2 S. 2 BGB anwendbar. Seiner Anwendung entgeht man, indem man in einer solchen Konstellation die konkrete Abrechnung wählt.
6. Anwendungsbeispiele
Das bedeutet in der praktischen Anwendung für Fälle, in denen die Ersatzbeschaffung ohne ausgewiesene Mehrwertsteuer erfolgte:
- Kaufpreis höher als Brutto-WBW: konkrete Abrechnung des Kaufpreises, begrenzt auf die Höhe des Brutto-WBW.
- Kaufpreis niedriger als Brutto-WBW, aber höher als Netto-WBW: konkrete Abrechnung des Kaufpreises. Dann gibt es zwar nicht den Brutto-WBW, aber jedenfalls mehr, als den Netto-WBW.
- Kaufpreis niedriger als Netto-WBW: fiktive Abrechnung auf Gutachtenbasis. Dann gibt es zwar nur den Netto-WBW, aber immer noch mehr als den aufgewendeten Kaufpreis.
7. Und nie vergessen: Nicht nur machen, sondern auch erklären
Niemals darf man die Lehre aus der Entscheidung BGH 12.10.21, VI ZR 513/19, Abruf-Nr. 226582 vergessen: Man muss klar und deutlich sagen, ob der Totalschaden im Wege konkreter oder im Wege fiktiver Schadenabrechnung abgewickelt werden soll. Und man darf sich da auch umentscheiden, wenn man zunächst für die Liquidität vorläufig fiktiv abrechnet und nach der Ersatzbeschaffung auf konkret umsteigt.
- Inzahlunggabe ohne Reparatur und Kauf eines Ersatzfahrzeugs mit MwSt: LG Ulm VA 24, 63 (mit Musterformulierung)
AUSGABE: VA 1/2025, S. 5 · ID: 50261747