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AusfallschadenHaftungszusage erteilt: Wann der Geschädigte spätestens den Reparaturauftrag auslösen muss
| Autowerkstätten, die sehr gut ausgelastet sind, müssen sich nicht auf Risikogeschäfte einlassen. Folglich sinkt ihre Bereitschaft zu Unfallreparaturen, bei denen sie später dem Geld hinterherlaufen müssen, weil die Zahlungsbereitschaft der Versicherer fehlt. UE erläutert, wann der Geschädigte spätestens den Reparaturauftrag auslösen muss und wann er warten darf. |

Inhaltsverzeichnis
Werkstätten sind gut ausgelastet und scheuen Risikogeschäft
Die Autowerkstätten sind aus verschiedenen Gründen bestens ausgelastet. Parallel zu den sinkenden Verkaufszahlen von Neu- und Gebrauchtwagen altert der Fahrzeugbestand. Die Autos werden einfach länger genutzt. Dadurch fallen mehr Werkstattarbeiten an. Hinzu kommt der inzwischen unübersehbar gewordene Fachkräftemangel, der auch und insbesondere die Karosseriewerkstätten und die Lackierer trifft. Denn da gibt es keine teilweise Kompensation mit dem geringeren Wartungsbedarf der Elektrofahrzeuge.
In nicht so ausgelasteten Zeiten waren die Werkstätten durchaus bereit, den Reparaturumsatz aus dem Unfallgeschäft zu machen und darauf zu vertrauen, dass der Versicherer, der dem Kunden den Schadenersatz schuldet, schon irgendwann und irgendwie das Geld bereitstellen wird, mit dem der Kunde dann bezahlen wird. Oder dass die Abtretung der Forderung schon irgendwann und irgendwie zur Direktzahlung an die Werkstatt führen werde.
Wichtig | Doch jetzt sinkt die Bereitschaft, das Problem des Kunden – nämlich auf das Geld zu warten – zum eigenen Problem zu machen.
Versicherer machen es sich oft sehr leicht. Fehlende liquide Mittel des Geschädigten seien doch nie ein Problem, liest man. Denn der Geschädigte könne der Werkstatt doch „eine Abtretung geben“. Ist es nur naiv oder ist es dreist, es für selbstverständlich zu halten, Werkstätten gäben sich mit Abtretungen zufrieden, bei denen die Werthaltigkeit der abgetretenen Forderung noch unklar ist?
Versicherer und die mangelnde Zahlungsbereitschaft
Reagiert der Versicherer kurz nach dem Unfall mit klaren Erklärungen zu seiner Zahlungsbereitschaft, entstehen selten Probleme. Will er aber – manchmal nachvollziehbar – erst die polizeiliche Ermittlungsakte einsehen, ist das oft der Beginn einer langen Wartezeit. Und die Absicht, frühestens nach Einsicht in die Ermittlungsakte zu zahlen, zeigt überdeutlich: Es ist völlig offen, ob der Versicherer überhaupt zahlen wird.
In der jüngeren Vergangenheit und auch noch immer (der zwischendurch geläuterte Versicherer, der plötzlich sehr zügig reagierte, ist – so hört UE aus vielen Gegenden des Landes – wieder auf dem Weg zurück in seinen Sumpf des Arbeitsvorrats) entstanden und entstehen unendliche Wartezeiten. Denn Versicherer haben die Akten-Neueingänge über Wochen und Monate gar nicht angefasst. Ist bei einem nicht ausreichend liquiden Geschädigten der Schaden dann repariert, wächst die Summe der offenen Posten in der Werkstatt in Bereiche, die bereits zu Bankgesprächen geführt haben.
Wichtig | Es hat schon Gründe, warum die Versicherer den Versicherungsschutz nur gewähren, wenn sie das Geld für die Risikotragung im Vorhinein bekommen. Es ist abenteuerlich, bei dem Geschäftsmodell zu erwarten, dass andere dem Geld hinterherlaufen.
Welche Pflichten der Geschädigte hat
Nach dieser Bestandsanalyse stellt sich nun die Frage, wie der Geschädigte mit dieser Situation zwischen den Stühlen zurechtkommen kann. Schadenrecht ist eine Sache zwischen dem Geschädigten und der Schädigerseite. Die Interessen der Werkstatt spielen darin unmittelbar keine Rolle.
Deshalb soll hier umfassend beleuchtet werden, welche Pflichten der Geschädigte im Verhältnis zum Versicherer hat im Hinblick auf die Frage, wann er die Reparatur des unfallbedingt nicht mehr nutzbaren Fahrzeugs in Auftrag geben muss. Denn jedes längere Warten auf den Reparaturauftrag führt in den Vorwurf des Verstoßes gegen die Schadenminderungspflicht im Hinblick auf den entstehenden Ausfallschaden und das Standgeld.
Wann Geschädigter den Reparaturauftrag sofort erteilen muss
Für eine Gruppe von Geschädigten ist die Antwort einfach: Der Geschädigte,
- der so liquide ist, dass ihm die Bezahlung der Werkstattrechnung gar keine finanziellen Probleme bereitet, und
- der nach vorübergehendem Abfluss dieses Geldes nicht die sprichwörtliche „Schnitte Brot weniger essen muss“,
muss nach der Rechtsprechung des BGH den Reparaturauftrag sofort erteilen und dann notfalls auf die Erstattung der Kosten durch den Versicherer warten.
Vor allen weiteren Überlegungen steht: Wenn der Geschädigte wegen seiner finanziellen Verhältnisse den Reparaturauftrag nicht sofort erteilt und sich deshalb der Ausfallschaden und die Standkosten erweitern, muss er den Schädiger entsprechend warnen (§ 254 Abs. 2 BGB). Ohne eine solche Warnung muss der Versicherer die Mehrkosten in der Regel nicht erstatten.
BGH: Schädiger muss Schadenbeseitigung finanzieren
Die Kernaussage zu den Pflichten des finanziell normal gestellten Geschädigten findet sich in einer Entscheidung des BGH aus dem Jahr 2020: „Grundsätzlich ist es Sache des Schädigers, die Schadensbeseitigung zu finanzieren. Der Geschädigte hat Anspruch auf sofortigen Ersatz und ist unter Umständen berechtigt, grundsätzlich aber nicht verpflichtet, den Schaden zunächst aus eigenen Mitteln zu beseitigen oder gar Kredit zur Schadensbehebung aufzunehmen. Dieser Rechtsgrundsatz würde unterlaufen, sähe man den Geschädigten schadensrechtlich grundsätzlich als verpflichtet an, die Schadensbeseitigung zeitnah nach dem schädigenden Unfall vorzunehmen und damit ganz oder teilweise aus eigenen oder fremden Mitteln vorzufinanzieren.“ (BGH, Urteil vom 18.02.2020, Az. VI ZR 115/19, dort Rz. 17, Abruf-Nr. 215406)
Wichtig | Das bedeutet: Der Geschädigte muss nicht in Vorleistung treten, denn er ist „… nicht verpflichtet, den Schaden zunächst aus eigenen Mitteln zu beseitigen.“ Würde er aber ohne die Sicherheit, dass der Versicherer ganz kurzfristig und ungekürzt zahlt, den Reparaturauftrag auslösen, stünde er alsbald vor der Werkstattrechnung. Mag die Werkstatt auch einige Geduld haben, irgendwann kommt es zum Schwur. In diese Situation muss sich der Geschädigte nicht bringen. Und dabei geht es nicht darum, dass der Geschädigte das sprichwörtliche „arme Schwein“ sein muss. Selbst wer ein solides Einkommen hat, aber am Monatsende nichts übrig, ist geschützt.
BGH stellt klar: Vorleistungspflicht ist die Ausnahme
Bei manchen Gerichten hat sich – warum auch immer – festgesetzt: Die Regel sei, dass der Geschädigte aus eigenen Mitteln vorleisten und deshalb den Reparaturauftrag sofort auslösen müsse. Nur ausnahmsweise dürfe er auf das Geld des Versicherers oder mindestens auf dessen Haftungszusage warten. Doch in der Rechtsprechung des BGH ist es genau umgekehrt. Die oben wörtlich zitierte Passage endet wie folgt: „Das Bestehen einer derartigen Obliegenheit kommt nur dann in Betracht, wenn dem Geschädigten im Einzelfall ausnahmsweise ein Zuwarten mit der Schadensbeseitigung als Verstoß gegen Treu und Glauben vorgeworfen werden kann.“
Gerichte müssen auf korrektes Regel-/Ausnahmeverhältnis hingewiesen werden Praxistipp | Der BGH spricht von „ … im Einzelfall ausnahmsweise …“. Die Vorleistungspflicht ist also lt. BGH wirklich die Ausnahme. Auf die Kombination dieser beiden Textpassagen müssen die Gerichte, die vom umgekehrten Regel-/Ausnahmeverhältnis ausgehen, immer wieder hingewiesen werden. |
Geschädigter darf auf Haftungszusage warten
Bei den Gerichten, die eine Vorfinanzierungspflicht des Geschädigten zutreffend verneinen, liest man in den Urteilen sehr oft: Auf die Haftungszusage darf der Geschädigte warten. Exemplarisch sagt das AG Düsseldorf: „Zu Lasten der Klägerin fällt auch nicht aus, dass sie den Reparaturauftrag erst erteilt hat, als sie die Regulierungszusage der Beklagten erhalten hat.“ (AG Düsseldorf, Urteil vom 30.12.2021, Az. 28 C 114/21, Abruf-Nr. 233336). Weil der Geschädigte nach Eintreffen der Regulierungszusage den Reparaturauftrag erteilt hat, musste das AG nicht darüber entscheiden, ob der Geschädigte noch länger hätte warten dürfen.
Was gegen die Haftungszusage als Startschuss spricht
Wem die Haftungszusage des Versicherers ausreicht, weil damit schon einmal klar ist, dass ein großer Teil der Reparaturkostenerstattung fließen wird, wird weiterhin nach deren Eintreffen den Reparaturauftrag erteilen. Wer jedoch schon in Schwierigkeiten gerät, wenn die Werkstatt wegen der gekürzten Beträge nicht den in der Regel unausweichlichen Rechtsstreit des Geschädigten mit dem Versicherer abwarten möchte, muss sich überlegen, ob es nicht mehr Sicherheit braucht als eine Haftungszusage.
AG Hamburg-Altona arbeitet Schwäche der Haftungszusage heraus
Die Schwäche der Haftungszusage hat jüngst das AG Hamburg-Altona sehr klar herausgearbeitet. Im dort entschiedenen Fall fehlten nach der Zahlung des Versicherers noch 1.250 Euro. Und das ist ein Betrag, den ein Normalverdiener selten aus dem Ärmel schüttelt.
Das AG sagt: Auch der geltend gemachte Nutzungsausfall ist zu ersetzen. Soweit der Versicherer diesen hinsichtlich seiner Dauer rügt, ist auch dies unberechtigt. Denn der Geschädigte war ohne vorbehaltlose Zusage der Kostenübernahme nicht gehalten, die Reparatur vorzufinanzieren. Die Übernahme der Kosten war explizit auf die „unfallbedingten“ Reparaturkosten beschränkt, die der Versicherer mit seinem „Prüfbericht“ definiert hatte. Der Geschädigte hatte damit keine ausreichende Sicherheit, die vollen gutachterlich veranschlagten Reparaturkosten ersetzt zu erhalten. Dass der Geschädigte hier lediglich die Differenz von rund 1.250 Euro hätte vorfinanzieren müssen, rechtfertigt keine Ausnahme von dem dargestellten Grundsatz, dass der Schädiger den Schaden zu beseitigen hat, nicht der Geschädigte selbst. Der Versicherer wusste nach dem Warnhinweis in dem Schreiben um die drohenden Zusatzkosten bei zögerlicher Regulierung (AG Hamburg-Altona, Urteil vom 09.12.2025, Az. 315b C 210/23, Abruf-Nr. 245991, eingesandt von Rechtsanwalt Ulfert Jährig, Hamburg).
Wichtig | Der Geschädigte durfte also über die Haftungszusage hinaus die Zahlung des ungekürzten Vorschusses des Versicherers abwarten.
AG Augsburg: Kein Reparaturauftrag vor Zahlung des Versicherers
Das AG Augsburg hat das genauso gesehen. Im Sachverhalt seines Urteils ist zu lesen, dass die Geschädigte vor der Zahlung des Versicherers den Reparaturauftrag nicht erteilen konnte. In den Urteilsgründen sagt das Gericht: „Die Klägerin hat durch ihr Verhalten nicht gegen eine Schadensminderungspflicht verstoßen. Sie hat die zeitlichen Verzögerungen, die zu einem Nutzungsausfall von 78 Tagen geführt haben, nicht zu vertreten.“ (AG Augsburg, Urteil vom 17.10.2024, Az. 18 C 1893/24, Abruf-Nr. 244376).
Fazit | Die Gerichte beobachten Tag für Tag, dass es trotz der früheren Haftungszusage des Versicherers am Ende einen Rechtsstreit um dennoch gekürzten Schadenersatz im Hinblick auf die Reparaturkosten gibt. Vor diesem Hintergrund wird es sicher bald noch mehr Urteile zu dem Thema geben. |
- Textbaustein 626: Die Haftungszusage genügt nicht, der ungekürzte Vorschuss darf abgewartet werden (H) → Abruf-Nr. 50290313
- Rechtsanwaltstextbaustein RA074: Die Haftungszusage genügt nicht, der ungekürzte Vorschuss darf abgewartet werden (H) → Abruf-Nr. 50290318
AUSGABE: UE 2/2025, S. 8 · ID: 50289936