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EinigungsgebührPKH: Keine Mutwilligkeitsprüfung im Vergütungsfestsetzungsverfahren
| Wird für mehrere getrennt geführte Verfahren jeweils gesondert PKH bewilligt, kann die Landeskasse im Vergütungsfestsetzungsverfahren nicht mehr einwenden, dass das Vorgehen in getrennten Klagen mutwillig gewesen sei. Wird PKH für den Mehrwert eines Vergleichs bewilligt, führt dies nach dem LAG München nicht zu einer Ermäßigung der Einigungsgebühr. |
Sachverhalt
Im Streitfall war der Beschwerdeführer B dem Kläger K im Rahmen der PKH für eine Klage vor dem ArbG beigeordnet worden. An demselben Tag hatte B für die Ehefrau E des K eine weitere Klage eingereicht. Auch hierfür wurde PKH bewilligt und B beigeordnet. Beide Verfahren wurden jeweils durch einen sog. Mehrwertvergleich abgeschlossen. B beantragte daraufhin in beiden Verfahren die Festsetzung seiner Vergütung.
Entscheidungsgründe
Abruf-Nr. 234460
Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle (UdG) wies den Vergütungsfestsetzungsantrag teilweise zurück, bewilligte für beide Verfahren insgesamt nur eine einheitliche Vergütung aus dem Gesamtwert und kürzte die Einigungsgebühr aus dem Mehrwert auf einen Gebührensatz von 1,0. Die Erinnerung des Anwalts hiergegen hatte wegen des Gebots der Prozesswirtschaftlichkeit zunächst keinen Erfolg. Auf die Beschwerde dagegen hat jedoch das LAG München abgeholfen (21.2.23, 11 Ta 31/23, Abruf-Nr. 234460).
Relevanz für die Praxis
Die Entscheidung ist für Rechtsanwälte bedeutsam, da sie sich auf die Vergütungsansprüche gegenüber der Staatskasse positiv auswirkt. Im Einzelnen ist Folgendes zu beachten:
Nach § 114 S. 1 ZPO muss das Gericht im Rahmen der PKH-Bewilligung prüfen, ob das Vorgehen der bedürftigen Partei mutwillig ist:
- Soweit dies bejaht wird, wird die PKH-Bewilligung abgelehnt oder beschränkt.
- Wird im PKH-Bewilligungsverfahren PKH ohne Beschränkung bewilligt und der Anwalt beigeordnet, ist die Landeskasse im Rahmen der Vergütungsfestsetzung daran gebunden.
Dies folgt letztlich aus § 48 Abs. 1 S. 1 RVG, wonach sich der Vergütungsanspruch gegen die Staatskasse nach den Beschlüssen bestimmt, durch die die PKH bewilligt und der Rechtsanwalt beigeordnet oder bestellt worden ist. Demgegenüber besteht keine Befugnis des Richters, eine uneingeschränkte Beiordnung im Nachhinein einzuschränken. Auch der UdG hat keine Kompetenz, eine aus seiner Sicht zu Unrecht erfolgte Beiordnung dadurch zu korrigieren, dass er die Vergütung kürzt. Soweit das LAG München bislang gegenteiliger Auffassung war (vgl. 8.1.10, 10 Ta 349/08), hat es diese Auffassung aufgegeben und folgt insoweit vielmehr der Rechtsprechung des BAG (NJW 11, 1161; vgl. auch RVG prof. 23, 65).
Wenn eine bedürftige Partei von zwei möglichen Wegen denjenigen Weg beschreitet, der kostspieliger ist, ist nach dem Wortlaut des § 114 S. 1 ZPO die Bewilligung von PKH von vornherein ausgeschlossen. Auch dies ist aber eine Frage der Bewilligung. Ist für getrennte Verfahren getrennt PKH bewilligt und der Anwalt beigeordnet worden, kann diese ggf. fehlerhafte Entscheidung nicht mehr im Nachhinein korrigiert werden. Alles andere wäre rechts- und verfassungswidrig. Denn mit der Bewilligung von PKH wird gleichzeitig festgestellt, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung nicht mutwillig ist. Würde erst im Kostenfestsetzungsverfahren nach § 55 RVG berücksichtigt, dass eine bedürftige Partei einen Anspruch statt mit einer zweiten Klage kostengünstiger durch Klageerweiterung oder subjektive Klagenhäufung hätte geltend machen können, kann eine solche Erweiterung einer bereits anhängigen Klage nicht mehr vorgenommen werden. Würde dies hingegen im PKH-Bewilligungsverfahren bemängelt, wäre eine rechtzeitige Korrektur noch möglich.
Merke | Der Staat kann also einen Anwalt nicht in mehreren Verfahren beiordnen, um ihm später zu erklären, er könne nur ein Verfahren abrechnen. Außerhalb des LAG München war dies schon immer einhellige Rechtsprechung (LAG Hamburg RVG prof. 16, 18; LAG Nürnberg NZA-RR 16, 36; LAG Hessen 15.10.12, 13 Ta 303/12). |
Anders verhält es sich im Rahmen der Kostenerstattung nach §§ 91, 103 ff. ZPO. Die Frage, ob die Kosten mehrerer Prozesse vom Gegner zu erstatten sind oder ob dies mutwillig war, weil der Kläger in einem einheitlichen Verfahren hätte vorgehen können, kann im Kostenfestsetzungsverfahren nach §§ 103 ff. ZPO geprüft werden. Hier ist die Ausgangslage eine völlig andere: Der erstattungspflichtige Gegner hat keinen Einfluss darauf, ob eine oder mehrere Klagen erhoben werden. Er kann den Einwand der Mutwilligkeit erst im Kostenfestsetzungsverfahren erheben. Daher muss ihm hier die Möglichkeit gegeben sein, den Einwand noch im Kostenfestsetzungsverfahren vorzubringen.
Beachten Sie | Nach dem BGH ist ein Kostenfestsetzungsverlangen rechtsmissbräuchlich, wenn der Antragsteller die Festsetzung von Mehrkosten beantragt, die dadurch entstanden sind, dass er einen oder mehrere gleichartige, aus einem einheitlichen Lebensvorgang erwachsene Ansprüche gegen eine oder mehrere Personen ohne sachlichen Grund in getrennten Prozessen verfolgt (NJW 13, 66). Gleiches gilt für Erstattungsverlangen in Bezug auf Mehrkosten, die darauf beruhen, dass mehrere von demselben Prozessbevollmächtigten vertretene Antragsteller in engem zeitlichem Zusammenhang mit weitgehend gleichlautenden Antragsbegründungen aus einem weitgehend identischen Lebenssachverhalt ohne sachlichen Grund in getrennten Prozessen gegen den-/dieselben Antragsgegner vorgegangen sind. Erweist sich das Kostenfestsetzungsverlangen als rechtsmissbräuchlich, muss sich der Antragsteller kostenrechtlich so behandeln lassen, als habe er ein einziges Verfahren geführt. Die Landeskasse hat dagegen die Möglichkeit, den Einwand der Mutwilligkeit bereits im Bewilligungsverfahren vorzubringen. Wird dies dort nicht beachtet, dann kann dies später nicht mehr korrigiert werden.
Mit dem KostRÄndG 2021 war bereits klargestellt worden, dass die Erstreckung der PKH auf den Mehrwert des Vergleichs nicht zu einer Ermäßigung der Einigungsgebühr führt. Die Reduzierung nach Nr. 1003 VV RVG tritt danach nur ein, „soweit sich nicht die Beiordnung auf den Abschluss eines Vertrags im Sinne der Nr. 1000 VV RVG erstreckt (§ 48 Abs. 1 und 3 RVG).“
Wird also ein Mehrwertvergleich geschlossen, für den PKH bewilligt und der Anwalt beigeordnet wird, führt dies nicht zu einer Ermäßigung der Einigungsgebühr nach Nr. 1003 VV RVG. Auch diese bisherige gegenteilige Rechtsprechung hat das LAG München bereits aufgehoben (15.2.23, 11 Ta 28/23).
Merke | Während andere Gerichte, die früher eine Ermäßigung angenommen hatten, schon mit dem KostRÄndG 2021 ihre gegenteilige Auffassung aufgegeben hatten (LAG Nürnberg NJW-Spezial 21, 637; OLG Bamberg NJW-RR 22, 1588), hatte sich die bis zum 31.12.22 zuständige 6. Kammer des LAG München vehement gegen die neue gesetzliche Regelung gewehrt. Seitdem mit dem 1.1.23 nun die 11. Kammer für Beschwerden nach § 55 RVG zuständig ist, ist die gegenteilige Rechtsprechung der bis dahin zuständigen 6. Kammer überholt (s. auch RVG prof. 23, 65). |
AUSGABE: RVGprof 5/2023, S. 80 · ID: 49318086