Sie sind auf dem neuesten Stand
Sie haben die Ausgabe Feb. 2023 abgeschlossen.
ArbeitsrechtZeugnisklausel bloß als „Zugabe“ begründet keinen Vergleichsmehrwert
Abruf-Nr. 232366
| Vereinbaren die Parteien in einem Vergleich eine Zeugnisklausel, erhöht diese den Streitwert, wenn sie strittig bzw. regelungsbedürftig war. Ist die Klausel aber nur ein Punkt unter vielen in einer Art „Leistungspaket“, das den Rechtsstreit schneller beenden soll, gilt dies nach dem LAG Hamm nicht (26.10.22, 8 Ta 198/22, Abruf-Nr. 232366). Und auch bei Weiterbeschäftigungsanträgen und nachvertraglichen Wettbewerbsverboten müssen Rechtsanwälte insofern „aufpassen“. |
Sachverhalt
Im Streitfall hatte der Kläger K als Produktions- und Prozessentwickler (monatliches Bruttogehalt: 7.660 EUR) gegen seine betriebsbedingte Kündigung Klage vor dem ArbG erhoben. Dieses stellte nach § 278 Abs. 6 S. 2 ZPO Inhalt und Zustandekommen eines Prozessvergleichs fest, der aus 16 Punkten bestand. Darin geregelt wurden u. a. die Aufhebung eines nachvertraglichen Wettbewerbsverbots sowie eine Zeugnisklausel bezüglich Führung und Leistung des K. Das Gericht setzte den Streitwert auf den Vierteljahresverdienst i. H. v. 22.980 EUR und für den Vergleich auf 30.640 EUR fest. Die Zeugnisklausel begründe einen Vergleichsmehrwert in Höhe eines Bruttogehalts. Hiergegen erhob K Beschwerde, weil das Gericht sämtliche mitgeregelten Aspekte, v. a. das nachvertragliche Wettbewerbsverbot, vernachlässigt habe.
Entscheidungsgründe
In einem Prozessvergleich zur Beilegung des Rechtsstreits selbst vereinbarte Leistungen begründen regelmäßig keinen Vergleichsmehrwert. Dies gilt ebenso bei deklaratorisch zu zwischen den Parteien unstreitigen Punkten ergänzend aufgenommenen Angaben.
Betreffen jedoch die Regelungen im Verfahren nicht streitgegenständliche weitergehende Rechtsverhältnisse, die zwischen den Parteien gesondert gerichtlich oder außergerichtlich streitig oder erkennbar von Rechtsunsicherheit betroffen waren, kann dies zu einer Werterhöhung führen. Die geforderte Ungewissheit oder Rechtsunsicherheit kann dabei in dem Rechtsverhältnis bereits angelegt sein (hier: nachvertragliches Wettbewerbsverbot). Der Wertansatz für Streitigkeiten über ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot kann – dem wirtschaftlichen Interesse der klagenden Parteien folgend – nach Dauer und Höhe der daraus zu zahlenden Karenzentschädigung bemessen werden.
Relevanz für die Praxis
Gerade in arbeitsgerichtlichen Verfahren ist es oft schwierig zu beurteilen, ob ein Vergleichsmehrwert vorhanden ist. Insofern können – wie es auch das LAG getan hat – die Vorgaben des Streitwertkatalogs für die Arbeitsgerichtsbarkeit (vgl. dort I Nr. 25. 1) herangezogen werden.
Der Wert erhöht sich aber nicht um den Wert dessen, was eine oder beide Parteien durch den Vergleich erlangen oder wozu sie sich mit ihm verpflichten. Im Verfahren ging es ausdrücklich um eine betriebsbedingte Kündigung – ein Streit über relevante Leistungs- oder Führungsmängel bzw. die Zeugnisgestaltung war nicht zu erwarten. Die Klausel war daher nur ein weiterer, nicht entgeltlicher „Baustein“ des zur Beilegung des Rechtsstreits geschnürten Pakets. Dass solche Gegenleistungen zur Beendigung des Rechtsstreits nicht streitwerterhöhend wirken, meint auch das LAG Nürnberg (31.8.22, 2 Ta 45/22).
Das LAG klärte weiter, wann sich der Streitwert bezüglich eines vertraglichen Wettbewerbsverbots erhöht. Laut dem arbeitsgerichtlichen Streitwertkatalog (dort I. Nr. 25.1) setzt ein Vergleichsmehrwert voraus, dass durch ihn ein weiterer Rechtsstreit und/oder ein über die Streitgegenstände des Verfahrens hinausgehender außergerichtlicher Streit erledigt bzw. eine Ungewissheit beseitigt wird. Hier barg das nachvertragliche Wettbewerbsverbot eine Rechtsunsicherheit, da es sich europaweit und auf Tätigkeiten bezüglich nicht näher spezifizierter Bauteile erstreckte. Dies konnte mit einer Unverbindlichkeit des Wettbewerbsverbots einhergehen und Auseinandersetzungen folgen lassen. Der Wert für den Streit, ob ein Wettbewerbsverbot wirksam ist, kann nach dem Betrag der für den fraglichen Zeitraum zu zahlenden Karenzentschädigung bzw. Mindestentschädigung bemessen werden.
Merke | Der Wert hierfür kann nach dem Betrag der für den fraglichen Zeitraum zu zahlenden Karenz- bzw. Mindestentschädigung bemessen werden. Das Gericht setzte hier insoweit richtigerweise einen Betrag von 8.617,50 EUR fest (2,25 Monate x 7.660 EUR Bruttogehalt x 0,5). |
Zu Konflikten mit den Arbeitsgerichten bezüglich des Streitwerts kommt es auch oft bei Weiterbeschäftigungsanträgen. Im Regelfall ist ein Antrag auf vorläufige Weiterbeschäftigung als Hilfsantrag anzusehen, der den Streitwert nicht erhöht. Das gilt selbst dann, wenn die Parteien im Verfahren über die Bedingungen der Weiterbeschäftigung gestritten haben.
Merke | Endet das Verfahren mit einem Vergleich, in dem die Parteien bezüglich des Weiterbeschäftigungsantrags eine Vereinbarung treffen, die mit einer gerichtlichen Entscheidung vergleichbar ist (§ 45 Abs. 1 S. 2 GKG), gilt eine wichtige Ausnahme: Dieser Antrag wird mit einem Monatsgehalt bewertet und erhöht den Gesamtstreitwert (LAG Nürnberg 11.5.22, 2 Ta 12/22). Dies ist der Fall, wenn verabredet wurde, dass das Arbeitsverhältnis über den Entlassungstermin der Kündigung hinaus weiterbesteht und der vereinbarte spätere Beendigungszeitpunkt bei Vergleichsabschluss bzw. Ablauf der Widerrufsfrist noch nicht verstrichen ist. |
- Die Regelung einer Freistellung erhöht den Streitwert, RVG prof. 22, 91iww.de
„Arbeitsrecht“ - Klage gegen alten und neuen Arbeitgeber ist einheitliche Streitigkeit, RVG prof. 22, 56
AUSGABE: RVGprof 2/2023, S. 23 · ID: 48839559