Sie sind auf dem neuesten Stand
Sie haben die Ausgabe Mai 2025 abgeschlossen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
Gutachten haben Hochkonjunktur – zumindest sind die damit verbundenen Fragestellungen schon lange relevant und seit Cum-Ex nicht mehr wegzudenken. Dabei wird von Gerichten oft der schnelle „Shortcut“ gesucht, um sich mit komplexen Fragen nicht vertieft auseinanderzusetzen. Die gängigen Buzzwords sind: „Der Gutachter war nicht neutral“ – „Der Gutachter hat abstrakt geprüft, nicht den konkreten Einzelfall“ oder „Der Gutachter hat selbst auf das Risiko einer anderen Auffassung hingewiesen“. Was ursprünglich als entlastend gedacht war, kann sich als Bumerang erweisen.
Eine bemerkenswerte Volte vollführt nun das OLG Frankfurt (10.12.24, 3 Ws 231/24). Nachdem das LG Wiesbaden in einem beachtlichen Beschluss die Eröffnung des Hauptverfahrens wegen Cum-Cum-Geschäften und deren steuerlicher Behandlung abgelehnt hatte, schien zunächst Ruhe an dieser Front einzukehren. Doch aus Sicht des OLG begab sich das LG Wiesbaden auf dünnes Eis. Die vom LG angeführte Rechtsprechungsänderung, die erst nachträglich zur steuerlichen Rechtswidrigkeit geführt haben soll, sei irrelevant. Die allgemeine Regelung § 42 AO sei schon lange geltendes Recht.
Dieser Ansatz überzeugt nicht: Alles, was unter § 42 AO fallen könnte, wäre nach dem OLG geeignet, einen Vorsatz zu indizieren – selbst wenn die Fallgestaltung weder durch Verlautbarungen der Finanzbehörden behandelt noch gerichtlich entschieden ist. Die entlastenden Gutachten befand das Gericht mit den bekannten Wendungen als insuffizient – jedenfalls bedürfe es einer Hauptverhandlung. Während Gutachten zur Entlastung nur herangezogen werden können, wenn sie sich auf den konkreten Fall beziehen, reicht zur Belastung, dass vorgeblich von allgemeinen Rechtsgrundsätzen abgewichen wird. Das ist Messen mit zweierlei Maß – von gesetzlicher Bestimmtheit nicht zu reden.
Ein weiteres Element der Entscheidung führt trotz ernstem Thema zur Erheiterung. „Als die steuerlichen Risiken besprochen wurden, zog der Beschuldigte seinen Pullunder über den Kopf und äußerte, davon wolle er nichts hören.“ Dieser Vorgang lädt unweigerlich zum gedanklichen „Wer nicht hören will, muss fühlen“ ein – eine westfälische Volksweisheit, die die Entscheidung trotz Eingängigkeit nicht adelt. Der Vorgang wirft zudem eine historische Frage auf: Wann wurde im beruflichen Kontext zuletzt jemand im Pullunder gesehen? Die fortschreitende Verlängerung der Verjährung scheint auch modische Entwicklungen nicht unberührt zu lassen.
Meine Prognose: Um komplexe Entscheidungen durch Gutachten abzusichern, wird künftig zunächst ein Gutachten benötigt, um den Gutachter auszuwählen und um die Frage zu bestimmen.
Also: Frohes Schaffen! Die langen Mai-Wochenenden eignen sich perfekt, um Ausflügen in die Natur zu entgehen und sich der Schreibarbeit zu widmen.
Herzliche Grüße
Ihr
Dr. Sebastian Beckschäfer
AUSGABE: PStR 5/2025, S. 2 · ID: 50357637