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Beweiswürdigung Leistete Steuerberaterin Beihilfe? – Beweiswürdigung im Fokus

Abo-Inhalt14.04.20256 Min. LesedauerVon RA Prof. Dr. Carsten Wegner, Krause & Kollegen, Berlin

| Rechtsfehlerhaft ist eine Beweiswürdigung, die sich darauf beschränkt, die einzelnen Belastungsindizien isoliert zu erörtern und auf ihren jeweiligen Beweiswert zu prüfen, ohne eine Gesamtabwägung aller für und gegen die Täterschaft sprechenden Umstände vorzunehmen. Das hat der BGH in einem Zivilverfahren gegen eine Steuerberaterin entschieden. |

Sachverhalt

Die Kläger (K) nehmen die Beklagte (B) aus unerlaubter Handlung im Zusammenhang mit einer Kapitalanlage auf Schadenersatz in Anspruch. Das Zielobjekt der Anlage (E) war hauptsächlich im Bereich der Vermietung von elektronischen Datenspeichern (sog. Storagesysteme) tätig. Die Anleger sollten regelmäßige Mietzahlungen und am Ende der zwischen 12 und 36 Monaten liegenden Vertragslaufzeit eine Schlusszahlung erhalten, wobei eine Rendite von etwa 8 bis 12 % in Aussicht gestellt wurde. Nachdem die BaFin im Herbst 2014 die Kauf- und Überlassungsverträge als unerlaubtes Einlagengeschäft beanstandete, mussten die Verträge rückabgewickelt werden.

B war für die E als Steuerberaterin und Buchhalterin tätig. Sie heiratete einen der Geschäftsführer der E. Die Geschäftstätigkeit der E war weitgehend fiktiv. Die an die Anleger verkauften Speichermedien existierten nicht. Es handelte sich um ein sog. Schneeballsystem, bei dem die immer neue Beschaffung von Anlegerkapital die einzige nennenswerte Einnahmequelle darstellte.

Nach der Selbstanzeige eines Geschäftsführers (G) wurde auf Antrag der E das Insolvenzverfahren über ihr Vermögen eröffnet. G wurde vom LG Stuttgart rechtskräftig zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und zehn Monaten verurteilt. B und ihr Ehemann wurden als Mittäter angeklagt. Der Ehemann der B verstarb 2019 unerwartet während der Untersuchungshaft. B legte daraufhin ein Geständnis ab, woraufhin das LG Stuttgart (nur) wegen Beihilfe zum Betrug in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilte, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Zugleich ordnete es die Einziehung des Werts von Taterträgen an.

Im Zivilprozess verteidigte B sich damit, dass das vor der Strafkammer abgelegte Geständnis inhaltlich unrichtig gewesen sei. Ein „Schneeballsystem“ habe sie nicht erkannt. Vielmehr habe sie darauf vertraut, dass die Datenspeichersysteme tatsächlich vorhanden seien. Das Geständnis sei im Strafprozess allein deshalb erfolgt, um einer drohenden Haftstrafe zu entgehen. Es habe sich darin erschöpft, dass sie die Vorhalte des Strafkammervorsitzenden bestätigt habe. Das LG hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der K vor dem OLG Stuttgart blieb erfolglos. Ihre Revision führte dagegen zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an einen anderen Senat des OLG.

Entscheidungsgründe

Das OLG hat sich rechtsfehlerhaft allein mit der Frage einer positiven Kenntnis der B hinsichtlich des ins Werk gesetzten „Schneeballsystems“ befasst (BGH 7.11.24, III ZR 79/23, Abruf-Nr. 245199).

Merke | Die Gehilfenhaftung richtet sich auch im Zivilrecht nach strafrechtlichen Grundsätzen. Gem. § 27 Abs. 1 StGB wird als Gehilfe bestraft, wer vorsätzlich einem anderen zu dessen vorsätzlich begangener rechtswidriger Tat Hilfe leistet. Beihilfe ist danach die vorsätzliche Hilfeleistung zu einer Vorsatztat eines anderen. Objektiv muss die Beihilfehandlung für den Taterfolg nicht ursächlich gewesen sein; sie muss die tatbestandsmäßige Handlung lediglich gefördert, erleichtert oder den Täter in seinem Entschluss bestärkt haben. Gehilfenvorsatz liegt vor, wenn der Gehilfe zwar nicht alle Einzelheiten, aber dennoch die zentralen Merkmale der Haupttat sowie deren Förderung durch sein Verhalten kennt oder zumindest im Sinne bedingten Vorsatzes für möglich hält und in Kauf nimmt.

Das OLG hat die in der Rechtsprechung zur Beihilfe entwickelten Kriterien verkannt. Darüber hinaus hat es das gem. § 286 ZPO anzuwendende Beweismaß unzutreffend eingeschätzt und überspannte Anforderungen an die richterliche Überzeugungsbildung gestellt. Denn es hat bei der Würdigung der einzelnen Belastungsindizien rechtsfehlerhaft verlangt, dass sich daraus „zwingende“ Schlüsse ergeben müssten.

Merke | Nach § 286 ZPO muss der Tatrichter ohne Bindung an Beweisregeln und nur seinem Gewissen unterworfen entscheiden, ob er an sich mögliche Zweifel überwinden und sich von einem bestimmten Sachverhalt als wahr überzeugen kann. Die Überzeugung des Tatgerichts von einem bestimmten Sachverhalt erfordert keine absolute, das Gegenteil denknotwendig ausschließende Gewissheit. Es genügt vielmehr ein nach der Lebenserfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit, das vernünftige Zweifel nicht aufkommen lässt. Das Gesetz setzt eine von allen Zweifeln freie Überzeugung nicht voraus. Das Gericht darf keine unerfüllbaren Beweisanforderungen stellen und keine unumstößliche Gewissheit bei der Prüfung verlangen, ob eine Behauptung wahr und erwiesen ist.

Relevanz für die Praxis

Steuerberater erbringen als Dienstleister sog. berufstypische Tätigkeiten, wodurch unternehmerische Tätigkeiten – seien sie legal, seien sie illegal – objektiv gefördert werden.

Merke | Nach der Rechtsprechung des BGH können auch „neutrale“ Handlungen eine strafbare Beihilfe darstellen (BGH 1.8.00, 5 StR 624/99, BGHSt 46, 107). Dies bedarf einer bewertenden Betrachtung im Einzelfall, wobei eine strafbare Beihilfe bereits aus objektiven Gründen zu verneinen sein kann, wenn dem Handeln des Täters der „deliktische Sinnbezug“ fehlt, weil das vom Gehilfen geförderte Tun des Haupttäters nicht allein auf die Begehung einer strafbaren Handlung abzielt und der Beitrag des Gehilfen auch ohne das strafbare Handeln des Täters für diesen sinnvoll bleibt (vgl. BGH 12.12.13, 3 StR 146/13, wistra 14, 176).

In subjektiver Hinsicht sind zwei Fallgruppen zu unterscheiden:

Merke | Liegen mehrere Beweisanzeichen vor, genügt es nicht, diese jeweils nur einzeln abzuhandeln. Denn der Beweiswert einzelner Indizien ergibt sich regelmäßig erst aus dem Zusammenhang mit anderen Hilfstatsachen, weshalb der Inbezugsetzung der Indizien zueinander im Rahmen der gebotenen Gesamtwürdigung besonderes Gewicht zukommt. Auch wenn einzelne Hilfstatsachen jeweils für sich genommen nicht ausreichen, den Schluss auf die von einer Partei behauptete Haupttatsache zu begründen, können doch mehrere von ihnen in ihrer Gesamtheit und gegebenenfalls in Verbindung mit dem übrigen Prozessstoff eine tragfähige Grundlage für die Überzeugungsbildung des Tatrichters sein, die Haupttatsache sei gegeben.
Eine Indiztatsache reicht für den Nachweis der Haupttatsache nur nicht aus, wenn das Indiz für sich allein und im Zusammenhang mit weiteren Indizien sowie dem sonstigen Sachverhalt nicht den ausreichend sicheren Schluss auf die Haupttatsache zulässt (stRspr; vgl. nur BGH 17.12.92, III ZR 114/91, NJW 93, 935; 7.6.23, 5 StR 80/23, NStZ 23, 729).
  • Zielt das Handeln des Haupttäters ausschließlich darauf ab, eine strafbare Handlung zu begehen, und weiß dies der Hilfeleistende, ist sein Tatbeitrag als Beihilfehandlung zu werten. In diesem Fall verliert sein Tun stets den „Alltagscharakter“; es ist als Solidarisierung mit dem Täter zu deuten und dann auch nicht mehr als sozialadäquat anzusehen.
  • Weiß der Hilfeleistende dagegen nicht, wie der von ihm geleistete Beitrag vom Haupttäter verwendet wird, hält er es lediglich für möglich, dass sein Tun genutzt wird, um eine Straftat zu begehen, ist sein Handeln regelmäßig noch nicht als strafbare Beihilfehandlung zu beurteilen.
  • Etwas anderes gilt, wenn der Helfer wusste, dass die unterstützte Person sehr wahrscheinlich eine Straftat begehen würde, und er sie dennoch bewusst dabei förderte.
  • Für den „normalen“ Berufsalltag führt dies dazu, dass Berufsträger (Steuerberater, Wirtschaftsprüfer, Anwälte etc.) vor strafrechtlicher Verfolgung – bzw. jedenfalls einer Sanktionierung – geschützt sind.
  • Wird vor Gericht gestritten, ist es regelmäßig ein Indizienprozess. Ein ordnungsgemäßes Urteil setzt voraus, dass das Gericht eine Gesamtschau der Beweisergebnisse vornimmt.

Ein im Strafverfahren nach 42 Hauptverhandlungsterminen abgelegtes umfassendes Geständnis ist ein starkes Indiz für die Wahrheit der zugestandenen Tatsachen. Dies gilt erst recht dann, wenn die Strafkammer ausdrücklich festgestellt hat, dass das Geständnis durch das Ergebnis der sonstigen Beweisaufnahme bestätigt und ergänzt worden ist.

AUSGABE: PStR 5/2025, S. 107 · ID: 50333721

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