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WerkvertragsrechtUnvollständige Planungsgrundlage und Sonderkündigungsrecht: Neues zur Blackbox im BGB

Abo-Inhalt26.04.20234278 Min. LesedauerVon Katja Gaiser, ö.b.u.v. Sachverständige für Honorare für Architektenleistungen, Baiersbronn

| Mit dem BGB 2018 ist die „Zielfindungsphase“ als den Grundleistungen der HOAI vorgelagerte Leistung eingeführt worden. Die Praxis lehrt, dass der „neue“ § 650p BGB und dessen Folgen (u. a. Sonderkündigungsrecht) weder auf Bauherrn- noch auf Planerseite richtig angekommen sind. Das hat auch den Deutschen Baugerichtstag auf den Plan gerufen. Die Baurechtsexperten werden sich in ihrer Tagung vom 12.-13.05.2023 mit einer Reform befassen. Bis es so weit ist, sollten Sie sich mit den §§ 650p und 650r BGB doch vertraut machen. Der Beitrag liefert Ihnen das Rüstzeug. |

Die „Zielfindungsphase“ in § 650p BGB

Ist die Zielfindungsphase zu durchlaufen, müssen Sie dem Auftraggeber eine Planungsgrundlage und eine Kosteneinschätzung vorlegen. Auf deren Basis muss er dann entscheiden, ob er das Projekt (mit Ihnen) fortführt. Verbraucher müssen Sie zudem über deren Rechte in Textform aufklären.

Auftraggeber kann nach Vorlage der vollständigen Unterlagen kündigen

Nach Übergabe der Planungsgrundlage und der Kosteneinschätzung kann der Auftraggeber den Vertrag nach § 650r BGB ohne Grund kündigen. Dafür hat er zwei Wochen Zeit.

Das Ganze hat einen Fallstrick: Das Sonderkündigungsrecht des Auftraggebers besteht nämlich fort, wenn Sie

  • die Unterlagen nicht vollständig übergeben,
  • die Kosteneinschätzung nicht erstellt haben (BGH, Urteil vom 17.11.2022, Az. VII ZR 862/21 → PBP 03/2023, Seite 14 → Abruf-Nr. 48965696) oder
  • Verbraucher nicht über das Sonderkündigungsrecht aufgeklärt haben.

Die Zwei-Wochen-Frist beginnt erst bei vollständiger Vorlage. Der BGH hat in seinem Urteil vom 17.11.2022 lediglich entschieden, dass es sich um eine freie Kündigung handeln kann, wenn Ihnen vor der vollständigen Übergabe der Unterlagen gekündigt wird. Die freie Kündigung ist dann begrenzt auf die Zielfindungsphase. Zum Fristverlauf bei unvollständiger Vorlage liegt noch keine Rechtsprechung vor.

Praxistipp | Gehen Sie kein Risiko ein. Übergeben Sie die Unterlagen nur vollständig und dokumentieren Sie die Übergabe.

Auch Planungsbüros haben ein Sonderkündigungsrecht

Erteilt Ihnen Ihr Auftraggeber nur teilweise die Zustimmung zu den Unterlagen, ist dies als Gegenangebot zu werten. Das müssen Sie nicht annehmen.

Trifft der Auftraggeber binnen der zwei Wochen überhaupt keine Entscheidung, sollten Sie ihm Ihrerseits eine angemessene Frist setzen, wenn Sie nicht mehr sicher sind, ob der Auftrag für Sie interessant sein könnte. Läuft diese Frist ab und die Entscheidung fehlt immer noch, dann können Sie kündigen. Die angemessene Frist richtet sich danach, wer im konkreten Fall Ihr Auftraggeber ist. Für gewerbliche oder öffentliche Auftraggebende dürfte ein Monat ausreichen, Verbrauchern sollten Sie etwas länger Zeit geben.

Darum arbeitet der Baugerichtstag an einer Reform

Seit das Architekten- und Ingenieurrecht 2018 in Kraft getreten ist, ist insbesondere unklar, was unter

  • „Planungsgrundlage“ und
  • „Kosteneinschätzung“

zu verstehen ist, und wann folglich die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Sonderkündigungsrechts nach § 650r BGB gegeben sind.

Schon im Jahr 2018 hatte der 7. Baugerichtstag in einer seiner Thesen zum neuen Architekten- und Ingenieurrecht im BGB 2018 gefordert, eine fehlende Belehrung des Verbrauchers nach § 650r Abs. 1 BGB nachholen zu können und bei fehlender Belehrung das Sonderkündigungsrecht nach § 650r BGB zeitlich zu begrenzen (s. Thesenheft 9. DBGT, Seite 37 → Abruf-Nr. 234873).

Im bevorstehenden 9. Baugerichtstag steht jetzt die „Evaluierung des neuen Architekten- und Ingenieurrechts“ auf der Agenda. Gleich sieben von 14 Thesen befassen sich mit der Zielfindungsphase nach § 650p Abs. 2 BGB und dem Sonderkündigungsrecht des Bestellers nach § 650r BGB. Allein das zeigt, wie bedeutsam und klärungswürdig diese Themen sind.

Was bedeutet das für Sie

Wenn die Zielfindungsphase zu durchlaufen ist, sollten Sie

  • 1. verbindlich vereinbaren, was Planungsgrundlage und Kosteneinschätzung beinhalten sollen;
  • 2. die Unterlagen nur vollständig übergeben und deren Übergabe dokumentieren. Ab dann läuft nämlich die Zwei-Wochen-Frist;
  • 3. prüfen, ob Sie unter diesen Bedingungen weiter machen oder kündigen wollen, wenn der Auftraggeber innerhalb von zwei Wochen nur teilweise zustimmt oder sich gar nicht äußert. Hat er gar keine Entscheidung getroffen, können Sie erst nach Ablauf einer angemessenen Frist kündigen;
  • 4. vor Kündigung eine Rechtsberatung zu Rate ziehen.

Die Grafik veranschaulicht die Zusammenhänge

Die nachfolgende Grafik veranschaulicht die Zusammenhänge zwischen §650b und § 650r BGB

Weiterführende Hinweise
49308788.eps (© IWW Institut)
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© IWW Institut
  • Beitrag „Abrechnung gekündigter BGB-2018-Zielfindungsverträge: Erstes BGH-Urteil weist den Weg“, PBP 3/2023, Seite 14 → Abruf-Nr. 48965696
  • Sonderausgabe „Das neue Architekten- und Ingenieurrecht im BGB – Praxiserfahrungen und Anwendungstipps“ → Abruf-Nr. 45564131

AUSGABE: PBP 5/2023, S. 20 · ID: 49308788

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