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KostenrechtGeschäftsgebühr in Verkehrsunfallsachen

Abo-Inhalt12.03.20256 Min. Lesedauer

| Nach einem Verkehrsunfall wird ungeachtet der Frage, ob eine Auseinandersetzung zum Grund oder zur Höhe eines Ersatzanspruchs droht, ein Rechtsanwalt oder Inkassodienstleister eingeschaltet. Dass die zweckmäßig und erforderlich ist und damit „notwendig“ i. S. d. Kostenrechts, ist allgemein anerkannt. Nach der Anpassung der Regelungen zur Geschäftsgebühr in Nr. 2300 VV RVG zum 1.10.21 kann sich aber die Frage stellen, wie der Rechtsdienstleister dann vergütet wird. Das LG Stuttgart beantwortet dies dem Rechtsanwalt prinzipiell negativ. Soweit ersichtlich handelt es sich um die einzige veröffentlichte Entscheidung, die die maßgeblichen Fragen überhaupt fokussiert. |

Sachverhalt

Der Kläger war in einen Verkehrsunfall verwickelt. Ausgehend von der unstreitigen Haftung des Gegners aus dem Unfallereignis beauftragte er einen Inkassodienstleister mit der Feststellung des Schadens und dessen Geltendmachung gegenüber der gegnerischen Haftpflichtversicherung. Diese zahlte den Gesamtschaden sofort auf die erste Zahlungsaufforderung. Nur hinsichtlich der Rechtsverfolgungskosten machte sie einen Abzug und erstattete nur eine 0,5-Geschäftsgebühr nebst Auslagen nach Nr. 2300 Abs. 2 VV RVG – einfacher Fall – und wies die Forderung im Übrigen zurück. Der Kläger begehrt nun noch den Ersatz einer weitergehenden 1,3-Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 Abs. 1 VV RVG abzüglich der bereits erfolgten Zahlung.

Entscheidungsgründe

Das LG Stuttgart hält zwar die Anwendung von Nr. 2300 Abs. 2 VV RVG für richtig, sieht aber keinen einfachen Fall nach dieser Vorschrift.

Leitsatz: LG Stuttgart 11.12.24, 1 S 18/23

  • 1. Nr. 2300 Abs. 2 VV RVG findet auch auf Inkassodienstleistungen Anwendung, die die Einziehung unbestrittener deliktischer Forderungen (hier: aus Verkehrsunfall) zum Gegenstand haben.
  • 2. Ein einfacher Fall scheidet jedoch aus, wenn noch Vorarbeiten zur Ermittlung der Forderungshöhe erforderlich sind, bevor diese geltend gemacht werden kann.
  • (Abruf-Nr. 246438)

Ist Gegenstand der Tätigkeit eine Inkassodienstleistung, die eine unbestrittene Forderung betrifft, kann gemäß Nr. 2300 Abs. 2 S. 1 VV RVG eine Gebühr von mehr als 0,9 nur gefordert werden, wenn die Inkassodienstleistung besonders umfangreich oder besonders schwierig war. In einfachen Fällen kann nach S. 2 nur eine Gebühr von 0,5 gefordert werden. Ein einfacher Fall liegt in der Regel vor, wenn die Forderung auf die erste Zahlungsaufforderung hin beglichen wird. Der Gebührensatz beträgt höchstens 1,3. Gegenstand der Tätigkeit der durch die Klägerin beauftragten F. GmbH war eine Inkassodienstleistung.

Begriff der Inkassodienstleistung

Eine Inkassodienstleistung ist nach der Legaldefinition des § 2 Abs. 2 S. 1 RDG eine Rechtsdienstleistung, die die Einziehung fremder oder zum Zweck der Einziehung auf fremde Rechnung abgetretener Forderungen umfasst, wenn die Forderungseinziehung als eigenständiges Geschäft betrieben wird, einschließlich der auf die Einziehung bezogenen rechtlichen Prüfung und Beratung. Ein eigenständiges Geschäft i. S. v. Abs. 2, S. 1 liegt vor, wenn die Forderungseinziehung innerhalb einer ständigen haupt- oder nebenberuflichen Inkassotätigkeit oder außerhalb einer solchen nicht nur als Nebenleistung in Zusammenhang mit einer anderen beruflichen Tätigkeit erfolgt (BGH 30.10.12, XI ZR 324/11).

Schadensberechnung hindert Inkassodienstleistung nicht

Die Klägerin beauftragte die F. GmbH, eine registrierte Inkassodienstleisterin, Schadenersatzansprüche gegen die Beklagte durchzusetzen und einzuziehen. Dass die Höhe der Forderung dabei noch nicht feststand, sondern der durch den Unfall entstandene Schaden erst berechnet und belegt werden musste, steht der Qualifikation als Forderungseinzug nicht entgegen. Denn der Begriff der Inkassodienstleistung ist nicht in einem zu engen Sinne zu verstehen. Vor allem ist es einem Inkassodienstleister nicht verwehrt, im Rahmen des außergerichtlichen Forderungseinzugs substanzielle Rechtsberatung vorzunehmen (BGH 7.3.23, VI ZR 180/22).

Die F. GmbH betrieb die Forderungseinziehung auch als eigenständiges Geschäft. Die Inkassodienstleistung betraf zudem eine unbestrittene Forderung, da diese weder dem Grunde noch der Höhe nach infrage gestellt wurde.

Weder Unternehmer noch Verkehrsunfälle ausgenommen

Nr. 2300 Abs. 2 VV RVG ist nach dem LG Stuttgart weder nach dem Sinn und Zweck der Norm auf Verbraucher beschränkt, noch sind im Wege der teleologischen Reduktion Ansprüche aus Verkehrsunfallsachen von ihrem Anwendungsbereich auszunehmen.

Merke | Eine teleologische Reduktion der Vorschrift auf Verbraucher scheidet schon aus, weil der Gesetzgeber gesehen hat, dass sich Inkassoforderungen in rund 16 % aller Fälle gegen Unternehmen richten (BT-Drucksache 19/20348, S. 75).

Auch für eine teleologische Reduktion der Vorschrift dahin gehend, Ansprüche aus Verkehrsunfallsachen oder allgemein deliktische Ansprüche auszunehmen, besteht keine Veranlassung. Es war das erklärte Ziel des Gesetzgebers, für die Schuldner einen Anreiz zu setzen, offene Forderungen zeitnah zu begleichen. Dies liege im Interesse aller Beteiligten, da der Wirtschaft das ihr zustehende Geld zufließe, Rechtsanwälten und Inkassodienstleistern weniger Aufwand entstehe und Schuldner von geringeren Kosten profitierten (BT-Drucksache, a. a. O., S. 23). Die Differenzierung zwischen unbestrittenen und bestrittenen Forderungen beruhe hierbei auf der Annahme, dass sich der Umfang der rechtlichen Prüfung und damit der Aufwand der Rechtsanwälte oder Inkassodienstleister in der Regel wesentlich danach unterscheide, ob eine unbestrittene Forderung beigetrieben werden solle oder infolge des Bestreitens des Schuldners auch die Berechtigung der Forderung und die Erfolgsaussichten ihrer Durchsetzung zu prüfen seien (BT-Drucksache, a. a. O., S. 62). Anhaltspunkte dafür, dass dieser Ansatz für das gewöhnliche Forderungsinkasso, nicht aber für die Einziehung deliktischer Schadenersatzansprüche aus Verkehrsunfällen – jedenfalls, wenn diese im Rahmen einer Inkassotätigkeit erfolgt – gelten sollte, sind weder durch die Beklagte vorgetragen noch sonst ersichtlich.

Auch Rechtsanwälte müssen so abrechnen

Soweit die Klägerin eine Ungleichbehandlung zwischen Inkassodienstleistern und Rechtsanwälten befürchtet, beruht dies auf einen Rechtsirrtum. Denn vom Anwendungsbereich der Nr. 2300 Abs. 2 VV RVG sind auch Rechtsanwälte erfasst, die eine Inkassodienstleistung erbringen (Müller-Rabe, in: Gerold/Schmitt, RVG, 26. Aufl., § 1 Rn. 38). Dementsprechend nimmt auch die Gesetzesbegründung stets gleichermaßen auf Inkassodienstleister und Rechtsanwälte Bezug. Tatsächlich richtet sich Nr. 2300 VV RVG sogar primär an Rechtsanwälte. Nur für diese gilt das RVG auf der Vergütungsebene kraft Gesetzes überhaupt. Für Inkassodienstleister gilt es als Grundlage der Vergütung nur, wenn es mit dem Auftraggeber vertraglich vereinbart wurde. Nur im Erstattungsverhältnis gilt eine Begrenzung des Erstattungsanspruchs gegen den Schuldner auf die Kosten nach dem RVG nach § 13e RDG.

Relevanz für die Praxis

Entgegen der Ansicht der Versicherung handelte es sich aber nicht um einen einfachen Fall i. S. v. Nr. 2300 Abs. 2 S. 2 VV RVG. Zwar liegt ein einfacher Fall danach in der Regel vor, wenn die Forderung auf erste Zahlungsaufforderung hin beglichen wird. Tatsächlich beglich die Versicherung die durch die Inkassodienstleisterin geltend gemachte Forderung auf erste Zahlungsaufforderung hin. Das Vorliegen eines Regelfalls kann indes auch in einer solchen Konstellation zu verneinen sein, wenn eine wertende Gesamtbetrachtung ergibt, dass der Gegenstand der Inkassotätigkeit über einen einfachen Fall hinausging. So liegt es nach dem LG Stuttgart in der geschilderten Fallkonstellation.

Bei der Beurteilung der Fälle im Rahmen des Abs. 2 ist nach dem Gesetzgeber als Vergleichsmaßstab die durchschnittliche Inkassotätigkeit heranzuziehen (BT-Drucksache, a. a. O., S. 63). Bei der überwiegenden Anzahl der Inkassoaufträge dürfte die Höhe der einzuziehenden Forderung bei Beauftragung des Inkassodienstleisters bereits feststehen. Soweit das Inkassounternehmen aber neben der bloßen Einziehung der Forderung auch mit Ermittlungen zur Schadenshöhe beauftragt wird, rechtfertigt diese nicht standardmäßig zu erbringende Vorarbeit eine Abweichung von dem gesetzlichen Regelbeispiel.

Anhaltspunkte dafür, dass die Inkassodienstleistung hier besonders umfangreich oder besonders schwierig war – mit der Folge, dass eine über 0,9 hinausgehende Gebühr (bis 1,3) anzusetzen wäre –, sind weder durch die Klägerin vorgetragen worden noch sonst ersichtlich. Dass nach dem BGH in der Vergangenheit bei durchschnittlichen Verkehrsunfällen die Regelgebühr des Nr. 2300 VV RVG a. F. zum Tragen kam, erachtet das LG Stuttgart für unerheblich. Denn der neu eingefügte Abs. 2 verfolgt gerade das Ziel, die gesetzliche Vergütung für Inkassodienstleistungen bei unbestrittenen Forderungen zu reduzieren – und zwar unabhängig davon, ob diese durch einen Rechtsanwalt oder einen Inkassodienstleister erbracht wurden.

AUSGABE: FMP 3/2025, S. 49 · ID: 50314175

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