FeedbackAbschluss-Umfrage

BerufsrechtErwartung auf Lockerung des Fremdbesitzverbotes enttäuscht

Abo-Inhalt12.03.20255 Min. Lesedauer

| Anwaltskanzleien wollen expandieren und auch gerade im Zeitalter der Digitalisierung neue Angebote schaffen. Das dafür erforderliche Kapital soll gerne von Finanzinvestoren kommen, ohne dass diese sich in die eigentliche Erbringung der Rechtsdienstleistung einmischen. Die Regelungen der BRAO stehen dem aber unter dem Stichwort des Fremdbesitzverbotes entgegen. Auf Vorlage des BayAGH musste sich nun der EuGH mit der Frage befassen, ob nationale Regelungen, die die Beteiligung reiner Finanzinvestoren an Rechtsanwaltsgesellschaften untersagen, mit dem Unionsrecht vereinbar sind. Allen diesbezüglich progressiven Kräften hatte das Votum des Generalanwalts Hoffnung gemacht, der eine Europarechtswidrigkeit der deutschen Regelung erkannt hatte. Doch das Gericht ist dem nicht gefolgt. |

Sachverhalt

Die H. Rechtsanwaltsgesellschaft UG hatte 51 % ihrer Anteile an eine österreichische Beteiligungsgesellschaft übertragen. Die Satzung wurde dahin gehend gefasst, dass der Mehrheitsgesellschafter keinen Einfluss auf die Rechtsdienstleistung nehmen konnte. Gleichwohl widerrief die RAK München die Zulassung der Gesellschaft zur Rechtsanwaltschaft mit der Begründung, dass die Beteiligung eines reinen Finanzinvestors gegen § 59e BRAO in der damaligen Fassung verstoße. Danach durften nur Rechtsanwälte und Angehörige bestimmter anderer Berufe Gesellschafter einer Rechtsanwaltsgesellschaft sein. Die H. Rechtsanwaltsgesellschaft erhob daraufhin – wie von Anfang an geplant – Klage beim BayAGH, der den Fall dem EuGH zur Vorabentscheidung vorlegte.

Entscheidungsgründe

Es handelt sich um einen der wenigen Fälle, in denen der EuGH von der zuvor geäußerten Meinung des Generalanwalts abwich. In seinen Schlussanträgen vom 4.7.24 hatte dieser die Auffassung vertreten, dass die deutschen Regelungen zum Fremdbesitzverbot inkohärent seien und daher nicht den Anforderungen der Dienstleistungsrichtlinie 2006/123/EG entsprächen. Damit setzt sich der EuGH gar nicht tiefer auseinander und sieht keinen Grund, die Regelung zu beanstanden.

Leitsatz: EuGH 19.12.2024, C-295/23

Art. 15 Abs. 2 Buchstabe c und Abs. 3 der Richtlinie 2006/123/EG sowie Art. 63 AEUV sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung nicht entgegenstehen, nach der es unzulässig ist, dass Geschäftsanteile an einer Rechtsanwaltsgesellschaft auf einen reinen Finanzinvestor übertragen werden, der nicht die Absicht hat, in der Gesellschaft eine in dieser Regelung bezeichnete berufliche Tätigkeit auszuüben, und die bei Zuwiderhandlung den Widerruf der Zulassung der betreffenden Rechtsanwaltsgesellschaft zur Rechtsanwaltschaft vorsieht (Abruf-Nr. 242586).

Im Zentrum der Entscheidung stand die Vereinbarkeit des sogenannten Fremdbesitzverbots mit der Niederlassungsfreiheit gemäß Art. 49 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) sowie dem freien Kapitalverkehr nach Art. 63 AEUV.

Zunächst prüfte der EuGH die Anwendbarkeit der einschlägigen Grundfreiheiten. Nicht im Streit stand für ihn, dass § 59e BRAO sowohl die Niederlassungsfreiheit als auch den freien Kapitalverkehr berührt. Die Niederlassungsfreiheit gemäß Art. 49 AEUV schützt das Recht von Unionsbürgern und -bürgerinnen, sich in einem anderen Mitgliedstaat niederzulassen und dort selbstständig tätig zu sein. Der freie Kapitalverkehr nach Art. 63 AEUV gewährleistet den ungehinderten Fluss von Kapital innerhalb der Union. Da § 59e BRAO die Beteiligung von grenzüberschreitenden Finanzinvestoren an Rechtsanwaltsgesellschaften einschränkt, sind beide Grundfreiheiten betroffen. Über die Betroffenheit hinaus nahm der EuGH auch eine Beschränkung der Grundfreiheiten durch die Regelung in § 59e BRAO an. Sie liegt vor, wenn die beanstandete Regelung die Ausübung dieser Freiheiten behindert oder weniger attraktiv macht. Im vorliegenden Fall führt das Verbot der Beteiligung dazu, dass Investoren aus anderen Mitgliedstaaten daran gehindert werden, Anteile an deutschen Rechtsanwaltsgesellschaften zu erwerben, was eine unmittelbare Behinderung der genannten Grundfreiheiten darstellt.

Das wirft die Frage auf, ob die Beschränkung – als Ausnahme von der Regel – durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist. Dazu müssen sie

  • 1. einem zwingenden Allgemeininteresse dienen,
  • 2. geeignet sein, das angestrebte Ziel zu erreichen, und
  • 3. nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist.

Im vorliegenden Fall wurde von der Berufsaufsicht als zwingender Grund des Allgemeininteresses die Wahrung der Unabhängigkeit der Rechtsanwälte angeführt. Der EuGH erkennt, dass die Unabhängigkeit der Rechtsanwälte ein wesentliches Element für die ordnungsgemäße Rechtspflege und den Schutz der Rechte der Mandanten darstellt. Rechtsanwälte müssen in der Lage sein, ihre Mandanten frei von äußeren Einflüssen zu beraten und zu vertreten, insbesondere frei von Einflüssen durch Personen, die ausschließlich finanzielle Interessen verfolgen.

Auf dieser Grundlage stellt der EuGH fest, dass das Verbot der Beteiligung reiner Finanzinvestoren geeignet ist, die Unabhängigkeit der Rechtsanwälte zu schützen. Es werde so von vorneherein verhindert, dass Investoren mit ausschließlich finanziellen Interessen Einfluss auf die Tätigkeit von Rechtsanwälten nehmen können. Anderes berge die Gefahr von Interessenkonflikten und der Beeinträchtigung der unabhängigen Berufsausübung, sodass das Beteiligungsverbot diese Gefahr verringere.

Gleichermaßen wirksame, aber weniger beschränkende Maßnahmen sind für den EuGH nicht ersichtlich. Die Binnenverfassung einer Rechtsanwaltskanzlei, wie etwa Satzungsbestimmungen zur Sicherung der Unabhängigkeit, könnten nicht denselben Schutz bieten wie ein generelles Verbot der Beteiligung von Finanzinvestoren. Die bloße Möglichkeit, dass ein Finanzinvestor seine Investition zurückziehe, begründe einen mittelbaren Druck auf die Rechtsanwälte, was ihre Unabhängigkeit bereits gefährde.

Der EuGH hat auch keine Bedenken, das gesetzliche Beteiligungsverbot als verhältnismäßig anzusehen. Das notwendige Verhältnis zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht des verfolgten Ziels sei angemessen.

Er ist der Auffassung, dass das Verbot der Beteiligung reiner Finanzinvestoren zwar eine Beschränkung der Grundfreiheiten darstellt, diese jedoch durch das hohe Gewicht des Ziels der Wahrung der anwaltlichen Unabhängigkeit gerechtfertigt ist. Den Mitgliedstaaten komme bei der Ausgestaltung der Regelungen zum Schutz der Unabhängigkeit der Rechtsanwälte ein weiter Ermessensspielraum zu, der mit der deutschen Regelung nicht überschritten sei.

Relevanz für die Praxis

Das Urteil bestätigt also die Zulässigkeit des deutschen Fremdbesitzverbots und stärkt so – vermeintlich – die Bedeutung der anwaltlichen Unabhängigkeit. Auch wenn DAV und BRAK die Entscheidung begrüßen, erscheint zweifelhaft, ob sie die Rolle der Anwaltschaft im Verhältnis zu Inkassodienstleistern, Legal-Tech-Anbietern und Prozessfinanzierern tatsächlich stärkt und nicht benachteiligt.

Die Beschränkung der Entwicklungsmöglichkeiten kann ihrerseits zu Sachzwängen führen, die die Unabhängigkeit gefährdet und vor allem die wirtschaftliche Basis der Erbringung von Rechtsdienstleistungen negativ berührt.

Es ist bedauerlich, dass die von dem Generalanwalt aufgeworfene Frage der Kohärenz der deutschen Regelung vom EuGH nicht aufgegriffen und beantwortet wurde. So sind teilweise Beteiligungen an Rechtsanwaltsgesellschaften erlaubt, teilweise nicht, ohne dass die jeweiligen Begründungen einer ganzheitlichen Betrachtung standhalten.

Die Hoffnung, dass der Gesetzgeber gegen den Widerstand von DAV und BRAK hier nun weitere Lockerungen vorsieht, dürfte wohl vergeblich sein, auch wenn die Evaluierung des Gesetzes zur Förderung verbrauchergerechter Angebote im Rechtsdienstleistungsmarkt noch andauert. Progressive Rechtsanwälte werden also weiter auf das Modell setzen, als registrierte Inkassodienstleister Modelle einer digitalisierten Rechtsdienstleistung aufzusetzen, die erhebliche Investitionen voraussetzen.

AUSGABE: FMP 3/2025, S. 52 · ID: 50314176

Favorit
Teilen
Drucken
Zitieren

Beitrag teilen

Hinweis: Abo oder Tagespass benötigt

Link
E-Mail
X
LinkedIn
Xing
Loading...
Loading...
Loading...
Heft-Reader
2025

Bildrechte