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AbstammungsrechtFrau-zu-Mann-Transsexueller ist rechtlicher Vater
| Das OLG Schleswig hat die rechtliche Elternschaft eines Frau-zu-Mann-Transsexuellen nach § 1592 Nr. 1 BGB bestätigt, wegen grundsätzlicher Bedeutung aber die Rechtsbeschwerde zum BGH zugelassen. Vater kann nach § 11 S. 1 Hs. 1 TSG auch eine dem männlichen Geschlecht angehörige Person sein, wenn diese nicht leiblicher Elternteil ist. |
Sachverhalt
Abruf-Nr. 242938
Der Antragsteller M begehrt, als Vater eines Kindes K, das von seiner Ehefrau F geboren wurde, eingetragen zu werden. K wurde mittels einer Samenspende gezeugt. Zum Zeitpunkt der Geburt hatte M eine gerichtlich bestätigte Geschlechtsänderung von weiblich zu männlich durchlaufen und war mit F verheiratet. Das Standesamt verweigerte den Eintrag. Das AG wies das Standesamt an, den M als Vater einzutragen. Das OLG hat die Beschwerde des Standesamts zurückgewiesen (OLG Schleswig 4.7.24, 2 Wx 11/24, Abruf-Nr. 242938).
Entscheidungsgründe
Vater eines Kindes ist der Mann, der zum Zeitpunkt der Geburt mit der Mutter des Kindes verheiratet ist, § 1592 Nr. 1 BGB. Da die F den K geboren hat, ist sie die Mutter, § 1591 BGB. Zum Zeitpunkt der Geburt war sie mit dem M verheiratet, der rechtlich als Mann anzuerkennen ist. Gem. § 11 S. 1, Hs. 1 TSG bleibt durch die Entscheidung, dass der M einem anderen Geschlecht zugehörig ist, das Rechtsverhältnis zwischen ihm und seinen Kindern unberührt. Der Wortlaut regelt das Rechtsverhältnis zu den leiblichen Kindern des Transsexuellen, die er bereits vor der Änderung seiner Geschlechtszugehörigkeit hatte. Da die rechtliche Eltern-Kind-Beziehung hier erst nach der Geschlechtsänderung des M entstanden ist, greift § 11 TSG nicht.
§ 5 Abs. 3 TSG spricht von leiblichen Kindern, so auch die Begründung des § 11 TSG (BT-Drs. 8/2947, 16, 23; BGH FamRZ 17, 1855 ff.). Der Gesetzgeber hatte zum Entstehungszeitpunkt des § 11 TSG nicht vor Augen, dass ein mit der Kindesmutter verheirateter Frau-zu-Mann-Transsexueller beantragt, als Vater eingetragen zu werden, § 1592 Nr. 1 BGB. Grundlage der Regelung war, dass der Transsexuelle nicht verheiratet ist oder die Ehe bei einer Geschlechtsumwandlung aufgelöst wird. Die Norm wird am 1.11.24 durch das Selbstbestimmungsgesetz (SBGG) abgelöst. Auch daraus folgt, dass der Gesetzgeber bei § 11 TSG einen Vaterschaftseintrag nur aufgrund von § 1592 BGB nicht bedacht hat (zum SBGG Oldenburger, FK 24, 69, 70 f.). Entgegen der Ansicht des KG (NJW 19, 3598) trifft die des AG Regensburg (FamRZ 22, 704) zu.
Wird das Kind von der Ehefrau des jetzt männlichen Transsexuellen geboren, erfährt es keine Nachteile dadurch, dass dem Transsexuellen das männliche Geschlecht zugeordnet wird. Es hätte viel mehr Nachteile, wenn an das vormals weibliche Geschlecht angeknüpft würde. Denn nach § 11 TSG müsste der M im Verhältnis zu K weiter als Frau behandelt werden. Sie könnte nicht gem. § 1592 Nr. 1 BGB Vater des Kindes sein. Mutter des K könnte er auch nicht werden, sodass K nur einen Elternteil hätte. Allein aus unterhalts-, erb- und auch sorgerechtlichen Aspekten ist es für K vorteilhaft, zwei Elternteile zu haben.
In diesen Fallkonstellationen ist es geboten, § 11 TSG nicht anzuwenden, um das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG) und das Recht des Kindes auf Pflege und Erziehung durch beide Elternteile (Art. 6 Abs. 2 S. 1 und 2 Abs. 1 GG) zu gewährleisten. Es muss eine Ungleichbehandlung mit Kindern verhindert werden, die in eine heterosexuelle Ehe geboren werden. Das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung, was auch das Recht beinhaltet, dass die geschlechtliche Identität anerkannt wird, ist verletzt, wenn ein transsexueller Elternteil für ein nach der Entscheidung nach § 8 TSG geborenes Kind rechtlich nicht die geschlechtsbezogene Elternrolle zugewiesen bekommt, die seinem selbst empfundenen und ihm rechtlich zugewiesenen Geschlecht entspricht (BGH FamRZ 17, 1855 ff.).
Die Vorlagebeschlüsse anderer Obergerichte (OLG Celle FamRZ 21, 862 ff.; KG FamRZ 21, 854 ff.) betreffen andere Sachverhalte: Dort wurde festgestellt, dass § 1592 BGB nicht die abstammungsrechtliche Zuordnung eines zweiten Elternteils ermöglicht, wenn ein Kind in einer gleichgeschlechtlichen Ehe zweier Frauen geboren wird und daher mit Art. 6 Abs. 2 i. V. m. Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar ist. Eine (verfassungskonforme) Auslegung oder analoge Anwendung von § 1592 Nr. 1 BGB, um eine Mit-Mutterschaft zu begründen, ist nicht möglich, da der aus der abstammungsrechtlichen Systematik erkennbare gesetzliche Wertungsplan, der für die Vaterschaft als zweiter Elternstelle eine genetische Abstammung zugrunde legt, auf eine gleichgeschlechtliche Ehe oder Partnerschaft nicht übertragbar ist. Hier handelt es sich aber um eine verschiedengeschlechtliche Ehe; eine verfassungsgemäße Auslegung des § 1592 BGB ist daher schon allein durch die Wortlautauslegung möglich. Abweichende Entscheidungen betreffen andere Sachverhalte: Eine Mann-zu-Frau Transsexuelle kann nicht Mutter gem. § 1591 BGB werden (BGH NZFam 18, 80); ein Frau-zu-Mann Transsexueller, der ein Kind zur Welt bringt, kann nicht Vater werden (BGH NJW 17, 3379). Die hiesige Fallkonstellation ist obergerichtlich noch nicht geklärt. Die Entscheidung des AG verletzt kein geltendes Gesetz und ist mit den verfassungsrechtlichen Grundsätzen vereinbar.
Relevanz für die Praxis
Ob durch das SBGG alle offenen Fragen der abstammungsrechtlichen Zuordnung geklärt werden, ist zweifelhaft. Weiterhin Bestand haben wird die Geburtsmutterschaft des § 1591 BGB, die nach § 11 SBGG auch nicht zum Eintrag eines Frau-zu-Mann-Transsexuellen als Vater führen wird, wenn der Geschlechtseintrag geändert wurde. Auch eine Mann-zu-Frau-Transsexuelle wird gem. § 1592 Nr. 3 BGB nicht zur Mutter, sondern bleibt Vater. Der BGH wird ggf. entscheiden, ob es nach dem TSG möglich ist, mit dem gewählten Geschlecht als zweite Elternstelle eingetragen zu werden. Bis dahin kann eine Vaterschaft für Frau-zu-Mann-Transsexuelle nach § 1592 Nr. 1 BGB unter Hinweis auf diese Entscheidung und die des AG Regensburg begründet werden. Zu klären ist auch, ob für die Nichtanwendung des § 11 TSG auf eine Elternschaft nach § 1592 Nr. 1 BGB erforderlich ist, dass eine leibliche Elternschaft fehlt, wie das OLG Schleswig meint.
AUSGABE: FK 10/2024, S. 169 · ID: 50126021