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GüterrechtWie viel Motivation zum Umgang ist erlaubt?
| Es ist sittenwidrig, in einem gerichtlichen Vergleich die Fälligkeit einer ratenweise zu zahlenden ZGA-Forderung damit zu verknüpfen, Umgang mit den gemeinsamen Kindern zu gewähren. Das hat der BGH entschieden. |
Inhaltsverzeichnis
Sachverhalt
Abruf-Nr. 240069
F besitzt die peruanische Staatsangehörigkeit, M ist deutscher Staatsangehöriger. Aus der Ehe sind zwei minderjährige Kinder T und S hervorgegangen. Der letzte gemeinsame Aufenthalt der Ehegatten war in Deutschland, wo M immer noch lebt. F lebt mit den Kindern in Peru. Die Ehe wurde 2017 rechtskräftig geschieden. M und F haben vor dem AG einen Vergleich geschlossen, um sämtliche wechselseitige ZGA-Ansprüche abzugelten. In dem Vergleich verpflichtet sich M, einen Gesamtbetrag zu zahlen, den er in drei jährlichen Raten leisten darf, wobei die jährliche Rate jeweils spätestens zwei Wochen nach einem Umgang der gemeinsamen Kinder mit ihm von drei Wochen in Deutschland fällig ist. Das AG hat den Vergleich mit Beschluss familiengerichtlich gebilligt. Das OLG hat den Beschluss auf die Beschwerde der F aufgehoben, da das AG keine ausreichende Kindeswohlprüfung durchgeführt habe. Später hat F erfolglos beantragt, das güterrechtliche Verfahren fortzuführen und festzustellen, dass der Vergleich unwirksam und nichtig sei und das Verfahren nicht beendet habe. Das OLG hat die Beschwerde der F zurückgewiesen. Der BGH hat den Beschluss des OLG aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurückverwiesen (BGH 31.1.24, XII ZB 385/23, Abruf-Nr. 240069).
Entscheidungsgründe
Wenn die Wirksamkeit eines gerichtlichen Vergleichs angegriffen und damit seine das Verfahren beendende Wirkung infrage gestellt wird, ist dieser Streit dadurch auszutragen, dass das Verfahren fortgesetzt wird, in dem der Vergleich geschlossen worden ist (BGH 21.11.13, VII ZR 48/12, NJW 14, 394).
Die in dem Vergleich enthaltene Stundungsabrede ist wegen ihrer Verknüpfung mit der Umgangsregelung sittenwidrig, § 138 Abs. 1 BGB.
Nicht jede Verknüpfung zwischen Vermögensstreit und Umgang sittenwidrig
Zwar sind Elternvereinbarungen unwirksam, in denen ein Verzicht auf das Umgangsrecht mit vermögenswerten Gegenleistungen so verknüpft werden, dass das Kind zum Gegenstand eines Handeln gemacht wird. Eine derartige Vereinbarung, bei der die wirtschaftlichen Vorteile einen ständigen Anreiz dafür bieten, ohne Rücksicht auf das Kindeswohl aus finanziellen Erwägungen davon abzusehen, den Umgang auszuüben, ist als unzulässige Kommerzialisierung des Umgangsrechts anzusehen und damit sittenwidrig (BGH FamRZ 1984, 778). Es ist aber nicht jede Verknüpfung zwischen einer Umgangsvereinbarung und einer Beilegung vermögensrechtlicher Streitigkeiten als unzulässige Kommerzialisierung des Umgangsrechts einzuordnen. Es ist nicht sittenwidrig, wenn (lediglich) angestrebt wird, das Umgangsrecht konkret und kindeswohldienlich zu gestalten und dies noch dadurch gefördert wird, dass vermögensrechtliche Zugeständnisse erfolgen. Ausnahme: Ein offensichtlich nicht kindeswohldienlicher Umgang soll durch vermögenswerte Gegenleistungen – etwa durch die Zahlung eines nicht oder nicht in dieser Höhe geschuldeten ZGA – „erkauft“ werden. So liegt der Fall hier jedoch nicht. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass ein Umgang des M mit den Kindern aus Kindeswohlgründen ausgeschlossen gewesen sein könnte.
Nichtigkeit, wenn gerichtliche Kontrolle umgangen wird
Dennoch ist die Verknüpfung von Vermögensbelangen der Eltern und dem Umgang mit dem Kind aus dem Blickwinkel des Kindeswohls immer bedenklich. Denn sie bringt die Gefahr mit sich, dass es maßgeblich von den wirtschaftlichen Interessen der Eltern bestimmt wird, wie der Umgang gewährt und ausgestaltet wird. Das Kind wird zum Objekt eines Handels gemacht und besonderen Loyalitätskonflikten ausgesetzt. Vor diesem Hintergrund sind die Regelungen über die Fälligkeit der Ratenzahlungen auf den ZGA des Vergleichs sittenwidrig, weil sie dazu bestimmt sind, die Regelung zum jährlichen Umgang der gemeinsamen Kinder mit dem M unter Ausschluss einer gerichtlichen Kontrolle am Maßstab des Kindeswohls erzwingbar zu machen.
Eine Umgangsregelung muss nicht gerichtlich genehmigt sein, um wirksam zu sein. Weil der Umgang aber nicht disponibel ist, ist eine Elternvereinbarung darüber, den Umgang auszugestalten, als solche nicht vollziehbar und vollstreckbar. Sie wird auch nicht dadurch zu einem Vollstreckungstitel, dass sie in ein gerichtliches Protokoll aufgenommen wird. Das Gericht darf die Umgangsvereinbarung erst gem. § 156 Abs. 2 FamFG billigen, wenn es sachdienlich ermittelt und im Anschluss an die Protokollierung – wenn auch eingeschränkt – das Kindeswohl geprüft hat (BGH 10.7.19, XII ZB 507/18, FK 19, 205). Erst durch die gerichtliche Billigung erfährt die Umgangsvereinbarung ihre konkretisierende konstitutive Wirkung (BGH 11.5.05, XII ZB 120/04, FamRZ 05, 1471, 1473).
- Die Eltern können das Erfordernis der gerichtlichen Billigung als notwendige Voraussetzung dafür, dass die Umgangsvereinbarung vollziehbar ist, nicht dadurch umgehen, dass sie eine Vertragsstrafe für den Fall vereinbaren, dass gegen die Regelung verstoßen wird.
- Eine solche Vertragsstrafenabrede in einer Umgangsvereinbarung ist sittenwidrig und nichtig. Denn sie soll die Umgangsregelung ohne gerichtliche Kontrolle des Kindeswohls erzwingbar machen. Damit disponieren die Eltern mittelbar frei über das Umgangsrecht. Auch eine Vertragsstrafenvereinbarung, um einen gerichtlich gebilligten Umgangsvergleich durchzusetzen, wird – zumindest in reinen Inlandsfällen – wegen einer Umgehung der §§ 86 ff. FamFG regelmäßig unwirksam sein.
Eckpunkte des BMJ für eine Reform des Kindschaftsrechts
Die „Eckpunkte des Bundesministeriums der Justiz für eine Reform des Kindschaftsrechts: Modernisierung von Sorgerecht, Umgangsrecht und Adoptionsrecht“ (i. d. F. v. 25.1.24, bmj.de) stellen – unabhängig davon, dass diese keine Rechtssatzqualität besitzen – die Sittenwidrigkeit nicht infrage. Nach diesen Reformvorschlägen soll es zwar Eltern künftig gestattet sein, vollstreckbare Urkunden über eine Umgangsvereinbarung zu errichten, wenn das Jugendamt diese zuvor beraten hat (vgl. Eckpunktepapier, S. 7). Es soll aber dabei bleiben, dass „eine Vollziehung von Umgangsvereinbarungen nur in einem staatlich regulierten und am Kindeswohl ausgerichteten Vollstreckungsverfahren erfolgen darf und die Vereinbarung einer Gegenleistung oder einer Vertragsstrafe bei Vereinbarungen zu Sorge und Umgang unzulässig“ sein soll (Eckpunktepapier, S. 5).
Die Klauseln des Vergleichs, die die Fälligkeit der jeweiligen ZGA-Raten an den stattgefundenen Umgang knüpfen, sind unwirksam. Diese Bestimmungen ähneln einer Vertragsstrafenvereinbarung. Sie machen die Fälligkeit des in drei jährlichen Raten zu zahlenden Vergleichsbetrags davon abhängig, dass F dem M in dem betreffenden Jahr den vereinbarten dreiwöchigen Umgang mit den Kindern gewährt. Entscheidend ist, dass die Verknüpfung damit bezweckt, wirtschaftlichen Druck auf die F auszuüben, die Umgangsvereinbarung einzuhalten. Damit hat die Klausel einen vertragsstrafenähnlichen Charakter. Zudem hat keine am Maßstab des Kindeswohls ausgerichtete gerichtliche Kontrolle der Umgangsregelungen stattgefunden. Die durch Beschluss nachträglich ausgesprochene auf § 156 Abs. 2 FamFG gestützte familiengerichtliche Billigung ist – unabhängig davon, dass er in einer Familienstreitsache und damit in der falschen Verfahrensart ergangen war – in der Beschwerdeinstanz in der Sache vor allem deshalb zu Recht aufgehoben worden, weil das AG nicht ermittelt hat, was ihm auch nur eine eingeschränkte Kindeswohlprüfung ermöglicht hätte. Insbesondere hat das AG die Kinder nicht angehört und deshalb auch ihren Willen nicht ermitteln können.
Keine Abweichung aufgrund des Auslandsbezugs des Sachverhalts
Die Wirksamkeit des Vergleichs ist auch nicht im Hinblick auf den Auslandsbezug abweichend zu beurteilen. Ob ein Rechtsgeschäft gegen die guten Sitten verstößt, richtet sich nicht nur nach dem objektiven Gehalt des Geschäfts, sondern auch nach den Umständen, die dazu geführt haben, ihn vorzunehmen, und die von den Parteien verfolgten Absichten und Beweggründe.
Merke | Im Schrifttum werden vertragsstrafenbewehrte Umgangsvergleiche in Fällen mit Auslandsberührung ausnahmsweise für zulässig angesehen, wenn ihnen das billigenswerte Motiv des umgangsberechtigten Elternteils zugrunde liegt, nicht auf eine ineffektive grenzüberschreitende Vollstreckung angewiesen sein zu müssen, um sein Umgangsrecht durchzusetzen (Rauscher, NZFam 15, 95). Vertragsstrafenvereinbarungen werden in Auslandsfällen vor diesem Hintergrund insbesondere als möglich angesehen, wenn sie dazu dienen, einen gerichtlich gebilligten Umgangsvergleich durchzusetzen und im Ergebnis entsprechend den §§ 86 ff. FamFG ausgestaltet sind (vgl. Hammer, in: Bayer/Koch Scheidungsfolgenvereinbarungen, S. 75, 88). |
Jedenfalls müssen Vertragsstrafen oder vertragsähnliche Klauseln auch in Fällen mit Auslandsberührung Kindeswohleinreden gewährleisten, um nicht sittenwidrig zu sein (vgl. Rauscher, a. a. O.). Eine wirksame familiengerichtliche Kontrolle der Umgangsvereinbarung, ob diese kindeswohldienlich ist, hat hier nicht stattgefunden. Selbst bei einer nachgelagerten gerichtlichen Kontrolle der Umgangsregelung am Maßstab des Kindeswohls – sei es vor einem deutschen, sei es vor einem peruanischen Gericht – könnte F nach dem Vergleich die wirtschaftlichen Sanktionen nicht von sich abwenden, die damit verbunden sind, wenn der Umgang nicht gewährt wird.
Wenn sich in einem nachfolgenden umgangsrechtlichen Verfahren ergeben hätte, dass der Umgang nicht kindeswohldienlich wäre, würde der Vergleich F nicht ermöglichen, die Fälligkeit der jeweiligen Jahresrate herbeizuführen, wenn der Umgang ausfiele. Nach dem Wortlaut des Vergleichs und unter Berücksichtigung seines Ziels, wirtschaftlichen Druck auf F auszuüben, um den von den Beteiligten vereinbarten Umgang auch zu gewähren, knüpft die Fälligkeit der jährlichen Rate allein an die dreiwöchige Anwesenheit beider Kinder in Deutschland und an das Stattfinden des Umgangs mit M an.
F ist auch im Wege ergänzender Vertragsauslegung nicht befugt, die Stundungswirkungen zu beenden, wenn sie in einem Umgangsverfahren erfolgreich geltend machen sollte, dass der Umgang der Kinder mit M in Deutschland nicht kindeswohldienlich wäre.
MERKE | Wenn nachträgliche Umstände die Umgangsregelung als kindeswohlwidrig erscheinen ließen, könnte auch eine Vertragsanpassung nach den Grundsätzen der Störung der Geschäftsgrundlage nicht die Sittenwidrigkeit entfallen lassen. Beruht der Vorwurf der Sittenwidrigkeit darauf, dass die Beteiligten die Umgangsregelung und ihre Durchsetzung von einer gerichtlichen Kontrolle unabhängig machen wollen, entfällt dieser Vorwurf nicht dadurch, dass derartige Kontrollmechanismen über das Institut der richterlichen Vertragsanpassung aktiviert werden könnten. |
Die Entscheidung des Corte Superior de Justicia de Lima vom 11.7.23 rechtfertigt auch keine andere Beurteilung: In dem Verfahren ging es um die nach peruanischem Recht erforderliche gerichtliche Genehmigung für die Reise von Kindern und Jugendlichen in das Ausland, wenn die Eltern uneinig sind. Dem M ist die Reise genehmigt worden. Darauf kommt es aber nicht an. Denn dieses Verfahren konnte die Umgangsvereinbarung und die mit dem stattgefundenen Umgang verknüpfte Fälligkeit der Ratenzahlungen auf die güterrechtlichen Forderungen nicht beeinflussen.
Soweit die Umgangsregelung und die mit ihr verknüpfte Ratenzahlungsvereinbarung nichtig sind (§ 138 BGB), ist zu prüfen, ob die Teilnichtigkeit auch die weiteren Bestimmungen des Vergleichs erfasst und dessen verfahrensbeendende Wirkung infrage stellt, § 139 BGB. Insbesondere muss nach den für die ergänzende Vertragsauslegung geltenden Grundsätzen ermittelt werden, ob die Beteiligten die güterrechtlichen Forderungen der F auch mit einer Zahlung abgefunden hätten, wenn ihnen bewusst gewesen wäre, dass die Fälligkeit dieser Forderung bzw. der Raten nicht an einen Umgang mit den Kindern geknüpft werden konnte, der einer gerichtlichen Kontrolle entzogen ist.
Relevanz für die Praxis
Häufig kommt es vor, dass mit der Trennung und Scheidung der Eltern auch eine sehr weite Entfernung der Wohnorte der Elternteile entsteht. Im Fall, über den der BGH zu entscheiden hatte, leben die Eltern nach der Trennung sogar auf verschiedenen Kontinenten. In diesem Fall ist eine gut durchdachte Umgangsvereinbarung erforderlich. In dem Bemühen, den Elternteil, der das Aufenthaltsbestimmungsrecht inne hat oder bei dem das Kind lebt, zu motivieren, dass der Umgang tatsächlich stattfindet, werden zuweilen Vereinbarungen getroffen, die Umgangsregelungen und wirtschaftliche Scheidungsfolgen miteinander verknüpfen. Der BGH hat mit Blick auf solche Konstellationen herausgearbeitet, dass die Verknüpfung von Vermögensbelangen der Eltern und dem persönlichen Umgang mit dem Kind aus dem Blickwinkel des Kindeswohls bedenklich ist, weil die Gefahr besteht, dass das Kind auf diese Weise zum Objekt eines Handels gemacht und besonderen Loyalitätskonflikten ausgesetzt wird. Gleichwohl gilt:
Merke | Im Hinblick auf die Vollstreckbarkeit von Umgangsvereinbarungen ist Folgendes zu beachten:
Keine Änderung der Sichtweise des BGH durch das Eckpunktepapier Es ist auch in Zukunft nicht damit zu rechnen, dass der BGH durch gesetzgeberische Maßnahmen seine Ansicht ändern könnte. Denn auch das „Eckpunktepapier“ des BMJ sieht vor, dass die Vereinbarung einer Gegenleistung oder einer Vertragsstrafe bei Vereinbarungen zu Sorge und Umgang „unzulässig“ sein soll (Eckpunktepapier, S. 5). |
- Eine sittenwidrige Verknüpfung liegt aber nicht vor, wenn das Recht und die Pflicht des Elternteils zum persönlichen Umgang mit dem Kind nicht infrage gestellt wird. Das ist der Fall, wenn der Umgang nur konkret und kindeswohldienlich ausgestaltet werden soll. Dies darf durch vermögensrechtliche Zugeständnisse gefördert werden.Umgang darf durch vermögensrechtliche Zugeständnisse gefördert werden
- Soll jedoch die Verknüpfung von Vermögensbelangen der Eltern und dem persönlichen Umgang mit dem Kind – wie eine Vertragsstrafe – dazu dienen, eine Umgangsregelung erzwingbar zu machen und einer gerichtlichen Kontrolle am Maßstab des Kindeswohls zu entziehen, ist sie sittenwidrig.Ausnahme: Umgang soll erzwingbar sein, wie bei einer Vertragsstrafe
AUSGABE: FK 7/2024, S. 116 · ID: 50033091