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ZR-Fachgespräch„Leitsymptome der obstruktiven Schlafapnoe sollten abgefragt werden!“
| Die Schlafmedizin beschäftigt sich mit schlafbezogenen Atmungsstörungen, deren häufigste die obstruktive Schlafapnoe (OSA) ist. Der zahnärztlichen Praxis kommt bei der Erkennung einer OSA eine bedeutende Rolle zu. Dies nicht nur, weil die Therapieoption „Unterkieferprotrusionsschiene“ (UPS) in ihr Fachgebiet fällt, sondern insbesondere, weil Patienten hier häufig regelmäßig vorstellig werden und Zahnärztinnen und Zahnärzte deshalb bei entsprechender Anamnese und klinischen Auffälligkeiten anhand geeigneter Fragebögen ein OSA-Screening durchführen können. Dass dann der Patient in die fachärztliche schlafmedizinische Expertise übergeben werden sollte und warum verschiedene Therapieoptionen heute miteinander sinnvoll kombiniert werden, um die Akzeptanz der Behandlung zu erhöhen, erläutert Dr. med. dent. Emil Krumholz im ZR-Fachgespräch mit Dr. med. dent. Ulrike Oßwald-Dame. |
Redaktion: Herr Dr. Krumholz, womöglich ist die Zahnarztpraxis die erste, die Patienten auf eine mögliche Schlafstörung ansprechen bzw. aufmerksam machen kann. Gleichzeitig ist in vielen Anamnesefragebögen keine Frage zu Schlafstörungen enthalten. Wie werden Praxen hier ihrer Verantwortung gerecht und welche Screening-Technik sollte routinemäßig in die zahnärztliche Befundung mit aufgenommen werden?
Krumholz: Tatsächlich stehen wir hier als Zahnärzte in der Pflicht. Als Arztgruppe, die ihre Patienten in der Regel bis zu zweimal jährlich sieht, fällt eine erhebliche Verantwortung auf uns, nicht nur bei der Therapie, sondern vor allem bei der Erkennung und der Prävention von Schlafstörungen.
Die Prävalenz schlafbezogener Atmungsstörungen wird nämlich – je nach Studie – zwischen 8 und 26 Prozent der Gesamtbevölkerung angegeben. Eine groß angelegte Studie in Lausanne „HypnoLaus“ kommt sogar auf erschreckend höhere Zahlen (mittelgradige obstruktive Schlafapnoe bei Männern 49,7 und bei Frauen 23,4 Prozent [1]). Natürlich sind solche Zahlen immer mit Vorsicht zu betrachten, denn nicht jeder Patient, bei dem ein erhöhter AHI-Index (Apnoe-Hypopnoe-Index) gemessen worden ist, muss per se krank sein! Hier müssen weitere klinische Aspekte berücksichtigt werden, die hilfreich sind bei der Entdeckung der weit verbreiteten Volkskrankheit OSA.
Als Einstieg in den Ablauf einer allgemein zahnärztlich tätigen Praxis bietet sich die Aufnahme von Fragen in die Anamnese an, die nach sogenannten primären Leitsymptomen der OSA forschen. Der Zahnarzt sollte also zunächst nach der Schlafqualität fragen bzw. danach, wie erholsam der Schlaf ist. Ebenfalls sollte nach Schnarchen, auffälliger Tagesmüdigkeit und schließlich nach erhöhtem Blutdruck gefragt werden. Eine positive Antwort auf mindestens zwei dieser Fragen sollte den Zahnarzt und die Zahnärztin hellhörig werden lassen.
Der nächste Schritt wäre die klinische Untersuchung. In diesem Kontext sollte bekannt sein, dass nicht nur schlafbezogene Atmungsstörungen, sondern auch andere Schlafstörungen wie Insomnien, Parasomnien und schlafbezogene Bewegungsstörungen (z. B. Restless Leg Syndrom) mit orofazialem Schmerz, Schlafbruxismus, Störung der oralen Befeuchtung und der Reflux-Erkrankung zusammenhängen können. Deshalb sollten die Befunde der oralen Hart- (Attritionen, Erosionen, keilförmige Defekte oder Substanzverluste am Zahnersatz) und Weichgewebe (Wangen-, Zungenimpressionen, parodontale Schäden) auch als Symptome und Zeichen, die mit einer OSA zusammenhängen, infrage gestellt werden. Mit diesen einfachen Mitteln leisten wir einen wichtigen Beitrag zur Primärversorgung bei einer sehr großen unbehandelten Patientengruppe.
Darüber hinausgehend können spezielle Fragebögen, wie der Anamnesebogen ESS (Epworth Sleepiness Scale) der Deutschen Gesellschaft Zahnärztliche Schlafmedizin [DGZS] e.V., der STOP-Bang-Fragebogen und der ISI (Insomnie-Schweregrad-Index) eingesetzt werden. Bei einem vorliegenden Verdacht sollte der Patient mit diesen zahnärztlichen Befunden einer schlafmedizinischen Erstuntersuchung (meist Polygraphie) bei einem schlafmedizinisch tätigen Facharzt vorstellig werden!
Routinemäßig sollte in der Praxis auch bei unseren jüngsten Patienten nicht nur zahnärztlich genauer hingeschaut werden. Defizite oder Fehlentwicklungen im skelettalen Gesichtswachstum, adenoid bedingte Obstruktion der Atemwege und damit oft einhergehende Verhaltensauffälligkeiten sind nicht selten mit einem gestörten Schlaf der Kinder verbunden. Auch hier stehen wir Zahnärzte in einer besonderen Verantwortung im interdisziplinären Kontext (Kinder-HNO, KFO, MKG etc.). Eine rechtzeitige Intervention hat einen direkten Einfluss auf die Prävention möglicher Entwicklung oder Fortsetzung einer schlafbezogenen Atmungsstörung im Erwachsenenalter.
Redaktion: Muss Schlafbruxismus im Zusammenhang mit einer Schlafapnoe zwingend polysomnographisch abgeklärt werden oder eignen sich dazu auch portable EMG-Geräte?
Krumholz: Beim Schlafbruxismus kommt es im Gegensatz zum Wachbruxismus (hier werden in hoch konzentrierten Phasen oder Stresssituationen die Zähne tonisch zusammengepresst) zu unbewussten phasischen Bewegungen mit oder ohne Zahnkontakt, wobei es – neben dem Pressen der Zähne – auch zum hörbaren Knirschen kommen kann.
Man unterscheidet zwischen primärem und sekundärem Schlafbruxismus, der als Begleiterkrankung mit einer Schlafapnoe einhergehen kann. Die Grundlagenforschung steckt hier zwar noch in den Kinderschuhen, aber es gibt immer mehr Hinweise darauf, dass die muskuläre Anspannung beim Bruxismus eine physiologische Reaktion des Körpers darstellt, um die Atemwege bei einem Apnoe-Ereignis wieder zu öffnen. Routinemäßig wird der Bruxismus in nur seltenen Fällen bei der Polysomnographie (PSG) mitregistriert. Die Aufzeichnung der Kontraktionsmuster hat allerdings einen Mehrwert bei der Hilfe zur Detektion von Beeinträchtigung der gesunden Schlafarchitektur.
Für die klinische Abklärung von Schlafbruxismus im Alltag sind Fragebögen wie der Oral Behavior Checklist (OBC) im Rahmen einer Funktionsuntersuchung nach DC/TMD in der Regel ausreichend. Der Einsatz von EMG-Geräten für sich allein bringt hier keinen weiteren Vorteil. Lediglich das Morphen der daraus gewonnenen Daten in Echtzeit mit einer PSG kann, wie oben beschrieben, für den Schlafmediziner hilfreiche Informationen zu weiteren Schlafstörungen liefern.
Redaktion: Wir sehen den zunehmenden Einsatz der Wearable-Sleep-Technologie – kann diese halten, was sie verspricht?
Krumholz: Grundsätzlich sind die sogenannten Wearables in der Medizin – zumindest in Europa – noch nicht als Medizinprodukte zugelassen und somit auch für die Diagnostik nicht. Dennoch gibt es eine weite Auswahl an Geräten und Applikationen, die durchaus empfohlen werden können. Dabei denke ich speziell an zwei Möglichkeiten: Zunächst sollte, wenn ein solches Gerät verdächtige Werte misst, der behandelnde Arzt/Zahnarzt in die Bewertung einbezogen werden. Zusammen mit den oben beschriebenen Maßnahmen, sollten weiterführende Schritte, wie eine Polygraphie, in Betracht gezogen werden.
Eine weitere und viel wichtigere Indikation ist das sogenannte Verlaufs-Screening beispielsweise während der Titrationsphase der UPS. Hier können – neben den Angaben des Bettpartners und des subjektiven Berichtes des Betroffenen – auch die gemessenen Parameter durch das Wearable (z. B. O2-Sättigung/Schnarchen) in die Entscheidung des weiteren Vorgehens einfließen. So können u. U. zu frühe und somit unnötige Polygraphie-Untersuchungen vermieden werden.
Es ist im Übrigen nur eine Frage der Zeit, bis Wearables zu vollwertigen Medizinprodukten reifen werden. So ermöglicht Apple mit seiner Apple Watch und neuester Software das Tracken von Schlafapnoe und erhielt dafür bereits im September 2024 eine Zulassung von der amerikanischen Medizinproduktbehörde (FDA). Eine Zulassung in Europa steht noch aus.
Redaktion: Was sollten Kolleginnen und Kollegen ihren Patienten auf die Frage nach der Effektivität von Vibrationsalarmen antworten?
Krumholz: Der Einsatz sogenannter Sleep Position Trainer (SPT) ist eine sinnvolle Ergänzung im Portfolio der Therapiemöglichkeiten der OSA. Anwendungsgebiet ist hier vor allem die POSA (Positional Obstructive SleepApnea).
Die POSA beschreibt eine Art der OSA, bei der in Rückenlage im Schlaf doppelt so viel oder mehr Atemaussetzer registriert werden als in Nichtrückenlage. Bei diesen Patienten ist es also vorteilhaft, die Rückenlage im Schlaf zu vermeiden. Während man früher dafür Tennisbälle in den Rücken der Pyjama eingenäht hat, kommen heute immer mehr Gyrometer-gesteuerte SPT zum Einsatz, die durch eine sanfte Vibration den Patienten aus der Rückenlage im Schlaf lösen.
Wichtig zu wissen: eine SPT-Therapie kann oft als Kombinationstherapie beispielsweise mit einer UPS erfolgen. So konnte die Gruppe um Marijke Dieltjens aus Antwerpen eindrücklich demonstrieren, dass die Wirksamkeit der UPS-Therapie in diesen Sonderfällen erheblich gesteigert werden kann [2].
Redaktion: Lange galt das Positivdruckverfahren als Therapiestandard einer Schlafapnoe, es wird immer noch am häufigsten angewendet. Wann empfehlen Sie alternativ eine UPS, immerhin erhöht sich ja damit das zahnmedizinische Risikoprofil?!
Krumholz: Die Behauptung, der Therapiestandard einer Schlafapnoe sei das Positivdruckverfahren (CPAP), wird heute kritisch betrachtet und gilt in vielen Regionen dieser Welt als bereits überholt!
Die Vielfalt unterschiedlichster Therapieangebote bei der Behandlung der OSA, von der klassischen PAP-Therapie über die UPS- und Lage-Therapie bis hin zu medikamentösen und chirurgischen Verfahren haben dazu geführt, dass einzelne Verfahren nicht nur miteinander konkurrieren, sondern immer öfter auch in Kombination verwendet werden. Dabei hat man meist nur die dadurch gewonnene höhere Therapie-Effizienz im Blick, aber nicht ein mindestens genauso relevantes Thema wie die Adhärenz. Und gerade letztere beinhaltet neben der Therapiepersistenz die Therapieakzeptanz, also den Willen des Patienten, eine bestimmte Therapie anzunehmen. Denn was nützt es, wenn eine Therapie über ein wirksames Potenzial verfügt, aber vom Patienten nicht angewandt wird?
Gerade im Hinblick auf die größer werdenden Indikationsbreiten unterschiedlichster Therapieverfahren verschwimmen die klaren Grenzen zwischen Erst- und Zweitlinientherapien zunehmend mit dem Vorteil, dass nun der aufgeklärte Patient in die Therapieentscheidung eingebunden werden kann. Hier spielen auch oft psychosoziale Komponenten eine nicht unerhebliche Rolle, wie es beispielsweise die sehr niedrige CPAP-Adhärenz bei jungen Patienten eindrucksvoll demonstriert. In diesem Kontext muss auch die Frage der Empfehlung einer UPS-Therapie sorgfältig abgewogen werden. Ein wichtiges Instrument dafür ist die Erstellung eines individuellen Risiko-Nutzen-Profils für den einzelnen Patienten. So wird beispielsweise die Entscheidung zur Empfehlung einer UPS-Therapie bei einem habituellen Schnarcher sicherlich anders ausfallen als bei einem OSA-kranken Patienten, der bisher mit anderen Verfahren nicht erfolgreich therapiert werden konnte.
Die Studienlage zu Nebenwirkungspotenzialen einer UPS (Zahnwanderungen, seitlich offener Biss, Öffnung von Zahnzwischenräumen) ist recht übersichtlich. Die Forschungsgruppe um die Kieferorthopädin Fernanda Almeida [3] konnte bei der Kohorte, die über einen durchschnittlichen Zeitraum von ca. 12,6 Jahre beobachtet wurde, diese dentalen Veränderungen der Bisslage feststellen. Dabei korrelierte das Ausmaß der Nebenwirkungen mit der Tragezeit der UPS. Skelettale oder Veränderungen im Kiefergelenk konnten hingegen nicht nachgewiesen werden!
Im klinischen Alltag sehen wir jedoch auch Patienten, die trotz regelmäßigen Tragens der Apparatur keinerlei Nebenwirkungen zeigen. Zukünftige Studien müssen deshalb auch andere Faktoren untersuchen, wie bspw. die dentale Ausgangsverzahnung, skelettale Aspekte (Dolicho- vs. Brachiofazialer Typ), Alter und Geschlecht, funktionale Aspekte (Zungen/Lippen) und last, but not least den eingesetzten UPS-Typ. Gerade deshalb ist die ausführliche und einfühlsame Aufklärung des Patienten für den Erfolg und die möglichen Nebenwirkungen der Therapie unumgänglich. Denkbar wären beispielsweise die Nutzung der UPS an nur fünf Tagen in der Woche oder nur am Wochenende oder im Urlaub, wenn man in der Zwischenzeit eine andere Therapie nutzen kann. Damit reduziert man die Tragezeit und das mögliche Nebenwirkungspotenzial. Aber auch die engmaschige Unterstützung des Zahnarztes bei der Nachsorge hat einen positiven Effekt auf die Entwicklung möglicher Nebenwirkungen. So kann durch die regelmäßige Anwendung eines adjustierten Frontzahn-Jigs und spezieller Kiefergymnastik diesen unerwünschten Effekten entgegengewirkt werden.
- [1] Heinzer R, Vat S, Marques-Vidal P, Marti-Soler H, Andries D, Tobback N et al. Prevalence of sleep-disordered breathing in the general population: the HypnoLaus study. Lancet Respir Med. 2015 Apr;3(4):310-8. doi.org/10.1016/S2213-2600(15)00043-0.
- [2] Dieltjens M et al. A promising concept of combination therapy for positional obstructive sleep apnea. Sleep Breath. 2015 May;19(2):637–44. doi.org/10.1007/s11325-014-1068-8.
- [3] de Almeida FR, Lowe AA, Tsuiki S, Otsuka R, Wong M, Fastlicht S, Ryan F. Long-term compliance and side effects of oral appliances used for the treatment of snoring and obstructive sleep apnea syndrome. J Clin Sleep Med. 2005 Apr 15;1(2):143–52. doi.org/10.5664/jcsm.8978.
- AHI-Index (Apnoe-Hypopnoe-Index): Er spiegelt die Gesamtzahl der während des Schlafs aufgetretenen Apnoe- und Hypopnoe-Episoden, geteilt durch die Schlafdauer in Stunden. Als Maß für schlafbezogene Atemstörungen und Einteilung des Schweregrads einer OSA bedeutet ein AHI von ≥ 5 und < 15 pro Stunde eine milde, von ≥ 15 und ≤ 30 pro Stunde eine moderate und > 30 pro Stunde eine schwere OSA. iww.de/s12207.
- ISI (Insomnie-Schweregrad-Index): Er besteht aus sieben Fragen, die den Schweregrad der Schlafstörungen während der letzten zwei Wochen jeweils auf einer fünfstufigen Skala bewerten. Der so ermittelte Gesamtwert gibt den Schweregrad der Schlaflosigkeit an. Die validierte deutsche Version erhalten Sie z. B. unter iww.de/s12208.
- Erläuterungen zum ESS (Epworth Sleepiness Scale) und STOP-Bang-Fragebogen erhalten Sie im Beitrag „Zahnärztliche Verantwortung: Diagnose obstruktive Schlafapnoe“ im ZR 02/2025, Seite 12 f.
- OBC (Oral Behavior Checklist): Das ist ein Bogen mit 21 Fragen zu oralen Angewohnheiten des Patienten, mit dem die physiologischen Funktionen wie Kauen und nicht physiologischen Funktionen des Kausystems wie z. B. Bruxismus oder Zungenschieben während des Tages oder der Nacht vom Patienten bewertet werden. Die Checkliste ist ein valides Instrument zur Beurteilung des Risikos der parafunktionellen oralen Aktivität. OBC zum Download unter iww.de/s12226.
- DC/TMD (Diagnostic Criteria for Temporomandibular Disorders): Dabei handelt es sich um einen im Jahr 2014 auf wissenschaftlicher Basis entwickelten zahnmedizinischen Leitfaden zur Diagnose der craniomandibulären Dysfunktion. Die DC/TMD besteht aus zwei als Achsen bezeichneten Komponenten: Achse 1 ist die klinische Untersuchung (mit zwölf gängigen schmerzbezogenen und intraartikulären Diagnosen), Achse 2 enthält psychosoziale Parameter. iww.de/s12209.
AUSGABE: ZR 2/2025, S. 7 · ID: 50271621