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Provisionsrückforderungen – Teil 1Sich mittels aktueller Rechtsprechung erfolgreich gegen Provisionsrückforderungen wehren

Top-BeitragAbo-Inhalt27.06.20235585 Min. LesedauerVon Rechtsanwalt Mathias Effenberger, Anwaltskanzlei Küstner, v. Manteuffel Partnerschaft mbB, Göttingen

| Die Rückbelastung von Provisionen im Falle von Störungen der vermittelten Versicherungsverträge ist ein „Dauerbrenner“ des Versicherungsvertriebsrechts. Immer wieder werden auch Gerichte damit befasst, vor allem, wenn das Vertragsverhältnis mit dem Vertreter beendet wurde und die andauernde Stornohaftung zu einem Minussaldo auf dem fortgeschriebenen Vertreterkonto führt. In einer Beitragsserie erfahren Sie, wie Sie sich mit Hilfe der aktuellen Rechtsprechung erfolgreich gegen Provisionsrückforderungen wehren. In Teil 1 dreht sich alles um die Nachbearbeitungspflicht. |

Provisionsrückbelastung nur in engen Grenzen zulässig

Die gesetzlichen Regeln für Provisionsrückbelastungen sind streng. Denn der Anspruch auf Provision besteht auch dann, wenn feststeht, dass der Versicherer das Geschäft ganz oder teilweise nicht oder nicht so ausführt, wie es abgeschlossen worden ist (§ 87a Abs. 3 HGB). Der Anspruch entfällt nur, wenn und soweit dies auf Umständen beruht, die der Versicherer nicht zu vertreten hat.

Wann hat der Versicherer die Nichtausführung zu vertreten?

Anerkannt ist, dass der Versicherer im Regelfall nicht gehalten ist, säumige Versicherungsnehmer (VN) zu verklagen, wenn außergerichtliche Maßnahmen erfolglos geblieben sind. Die Folge ist, dass der Versicherer die Nichtausführung (Stornierung) des Vertrags schon dann nicht zu vertreten hat, wenn er notleidende Verträge im gebotenen Umfang nachbearbeitet hat.

Rechtsprechung zur Nachbearbeitung notleidender Verträge
  • BGH, Urteil vom 01.12.2010, Az. VIII ZR 310/09, Abruf-Nr. 110310
  • BAG, Urteil vom 21.01.2015, Az. 10 AZR 84/14, Abruf-Nr. 176593
  • OLG Düsseldorf, Urteil vom 25.11.2011, Az. I-16 U 234/09, Abruf-Nr. 140134
  • OLG Brandenburg, Urteil vom 07.10.2010, Az. 12 U 96/09, Abruf-Nr. 103644
  • KG Berlin, Beschluss vom 04.06.2021, Az. 2 U 5/18, Abruf-Nr. 224131
  • OLG München, Beschluss vom 13.05.2020, Az. 7 U 5484/19, Abruf-Nr. 216062
  • OLG München, Urteil vom 27.03.2019, Az. 7 U 618/18, Abruf-Nr. 208102
  • OLG München, Urteil vom 07.06.2017, Az. 7 U 1889/16, Abruf-Nr. 235116
  • OLG Karlsruhe, Urteil vom 13.09.2017, Az. 15 U 7/17, Abruf-Nr. 200839
  • OLG Düsseldorf, Urteil vom 13.01.2017, Az. I-16 U 32/16, Abruf-Nr. 192124
  • OLG Düsseldorf, Urteil vom 23.05.2014, Az. I-16 U 133/13, Abruf-Nr. 235109
  • OLG Köln, Beschluss vom 13.11.2014, Az. 19 U 99/14, Abruf-Nr. 189781

Der Versicherer kann wählen

Art und Umfang der dem Versicherer obliegenden Nachbearbeitung notleidender Verträge bestimmen sich nach den Umständen des Einzelfalls.

Der Versicherer kann

  • entweder eigene Maßnahmen zur Stornoabwehr ergreifen
  • oder sich darauf beschränken, dem Versicherungsvertreter durch eine Stornogefahrmitteilung Gelegenheit zu geben, den notleidend gewordenen Vertrag selbst nachzubearbeiten.

Wichtig | Ergreift der Versicherer eigene Maßnahmen, müssen diese nach Art und Umfang ausreichend sein. Das muss im Streitfall der Versicherer darlegen und beweisen (BGH, Urteil vom 28.06.2012, Az. VII ZR 130/11, Abruf-Nr. 122324; BGH, Urteil vom 01.12.2010, Az. VIII ZR 310/09, Abruf-Nr. 110310; OLG Düsseldorf, Urteil vom 25.11.2011, Az. I-16 U 234/09, Abruf-Nr. 140134; OLG Schleswig-Holstein, Urteil vom 04.03.2011, Az. 14 U 86/10, Abruf-Nr. 140136; OLG Brandenburg, Urteil vom 07.10.2010, Az. 12 U 96/09, Abruf-Nr. 103644).

Das Wahlrecht des Versicherers zwischen eigener Nachbearbeitung und Stornogefahrmitteilung an den Vertreter gilt vor und nach Beendigung des Versicherungsvertretervertrags (OLG Düsseldorf, Urteil vom 25.11.2011, Az. I-16 U 234/09, Abruf-Nr. 140134; OLG Schleswig-Holstein, Urteil vom 04.03.2011, Az. 14 U 86/10, Abruf-Nr. 140136). Anderer Ansicht sind OLG Köln (Beschluss vom 10.05.2012, Az. 19 U 3/12, Abruf-Nr. 235115) und OLG München (Urteil vom 07.06.2017, Az. 7 U 1889/16, Abruf-Nr. 235116): Für den Fall, dass der Vertreter seine Tätigkeit eingestellt hat und zu einer anderen Gesellschaft gewechselt ist – dann soll eine Stornogefahrmitteilung nicht mehr ausreichen.

Wann gilt die Pflicht zur Nachbearbeitung?

Der klassische Fall, in dem die Pflicht zur Nachbearbeitung greift, sind Zahlungsstörungen bei der Entrichtung von Versicherungsbeiträgen (OLG München, Beschluss vom 13.05.2020, Az. 7 U 5484/19, Abruf-Nr. 216062; OLG Düsseldorf, Urteil vom 13.01.2017, Az. I-16 U 32/16, Abruf-Nr. 192124).

Die Pflicht zur Nachbearbeitung gilt auch bei Nichtzahlung der Erstprämie durch den VN (OLG Brandenburg, Urteil vom 07.10.2010, Az. 12 U 96/09, Abruf-Nr. 103644; OLG Hamm, Beschluss vom 16.04.2018, Az. 18 W 7/18, Abruf-Nr. 235117; OLG Düsseldorf, Urteil vom 13.01.2017, Az. I-16 U 32/16, Abruf-Nr. 192124; OLG Düsseldorf, Urteil vom 13.11.2015, Az. I-16 U 227/14, Abruf-Nr. 235113, OLG Düsseldorf, Urteil vom 23.05.2014, Az. I-16 U 133/13, Abruf-Nr. 235109).

Wichtig | In seiner Entscheidung vom 08.07.2021 hat der BGH zudem klargestellt, dass Nachbearbeitungspflichten auch in Fällen bestehen, in denen der VN den Vertrag kündigt oder eine Beitragsfreistellung verlangt (BGH, Urteil vom 08.07.2021, Az. I ZR 248/19, Abruf-Nr. 224072).

Ausnahmen von der Pflicht zur Nachbearbeitung

Eine Nachbearbeitung kann in zwei Fällen entbehrlich sein.

Kenntnis des Vertreters von der Stornogefahr

Eine Nachbearbeitung ist ausnahmsweise entbehrlich, wenn der Vertreter die Stornogefahr bereits kennt. Dies gilt insbesondere dann, wenn

  • der Schriftverkehr mit dem VN bzgl. Stornierung über den Vertreter läuft oder
  • es um die Nichtzahlung der Prämie bei einem eigenen oder dem Versicherungsvertrag eines Familienangehörigen oder Mitarbeiters des Vertreters geht (OLG Düsseldorf, Urteil vom 27.05.2016, Az. I-16 U 187/14, Abruf-Nr. 187636; OLG Düsseldorf, Urteil vom 23.05.2014, Az. I-16 U 133/13, Abruf-Nr. 235109; OLG Köln, Beschluss vom 13.11.2014, Az. 19 U 99/14, Abruf-Nr. 189781).

Aussichtslosigkeit einer Nachbearbeitung

Nachbearbeitungsmaßnahmen sind des Weiteren entbehrlich, wenn eine ordnungsgemäße Nachbearbeitung von vornherein nicht erfolgversprechend und der in Rede stehende Vertrag auch bei einem pflichtgemäßen Tätigwerden des Versicherers nicht zu retten gewesen wäre: Dies ist der Fall, wenn der VN

  • zahlungsunfähig ist oder sein versichertes Interesse wegfällt, z. B. weil er das versicherte Gewerbe aufgegeben hat (OLG Zweibrücken, Urteil vom 24.05.2011, Az. 8 U 158/08, Abruf-Nr. 140137; OLG Brandenburg, Urteil vom 07.10.2010, Az. 12 U 96/09, Abruf-Nr. 103644; OLG Düsseldorf, Urteil vom 13.01.2017, Az. I-16 U 32/16, Abruf-Nr. 192124 mit weiteren Beispielen; zu einem Fall nachträglich eintretender Aussichtslosigkeit weiterer Nachbearbeitung: KG Berlin, Beschluss vom 04.06.2021, Az. 2 U 5/18, Abruf-Nr. 224131);
  • ausdrücklich die Bitte äußert, keinen weiteren Kontakt aufzunehmen (OLG Düsseldorf, Urteil vom 27.05.2016, Az. I-16 U 187/14, Abruf-Nr. 235110).

Solche besonderen Umstände, die die Aussichtslosigkeit einer Nachbearbeitung indizieren, sind vom Versicherer konkret darzulegen und zu beweisen. Nur pauschale, in vielen Fällen gleichlautende Behauptungen genügen nicht (vgl. OLG München, Beschluss vom 13.05.2020, Az. 7 U 5484/19, Abruf-Nr. 216062; OLG München, Beschluss vom 28.06.2016, Az. 23 U 4803/15, Abruf-Nr. 187634; OLG Düsseldorf, Urteil vom 13.01.2017, Az. I-16 U 32/16, Abruf-Nr. 192124).

Rückzahlungsanspruch ohne Nachbearbeitung

Unabhängig von vorherigen Nachbearbeitungsbemühungen und deren Erfolgsaussichten soll ein Provisionsrückzahlungsanspruch des Versicherers entstehen, wenn ein VN eine Beitragsreduzierung beantragt und der Versicherer diesem Wunsch entsprochen hat (OLG Zweibrücken, Urteil vom 24.05.2011, Az. 8 U 158/08, Abruf-Nr. 140137; OLG Brandenburg, Urteil vom 07.10.2010, Az. 12 U 96/09, Abruf-Nr. 103644).

Für die Praxis geklärt ist nun auch, dass Nachbearbeitungspflichten nicht bestehen, wenn der VN sein gesetzliches Widerrufsrecht (§ 8 Abs. 1 VVG) fristgerecht ausübt (BGH, Urteil vom 08.07.2021, Az. I ZR 248/19, Abruf-Nr. 224072, zuvor bereits OLG Zweibrücken, Urteil vom 24.05.2011, Az. 8 U 158/08, Abruf-Nr. 140137; OLG Brandenburg, Urteil vom 07.10.2010, Az. 12 U 96/09, Abruf-Nr. 103644): Der Versicherungsvertrag wird mit der Belastung des gesetzlichen Widerrufsrechts vermittelt. Diese verwirklicht sich durch den Widerruf.

Das OLG München bejaht auch in Fällen betrieblicher Altersversorgung die Pflicht zur Nachbearbeitung. Dies soll sich aber nur auf die Rettung des ursprünglichen Versicherungsvertrags beziehen (etwa bei Mutterschutz, Elternzeit, Krankheit), nicht aber auf die praktisch wichtigen Fälle der Beitragsfreistellung bei Ausscheiden des Arbeitnehmers bzw. Arbeitgeberwechsel (OLG München, Urteil vom 07.06.2017, Az. 7 U 1889/16, Abruf-Nr. 235116).

Nachbearbeitung bei geringen Prämien/Provisionen

Zwar kann bei geringwertigen Verträgen mit geringfügigen Prämienbeträgen eine Nachbearbeitung für den Versicherer unwirtschaftlich sein. Das befreit ihn aber grundsätzlich nicht von der Pflicht zur Nachbearbeitung, so jedenfalls ein Teil der Rechtsprechung.

Rechtsprechung zur Nachbearbeitung bei geringen Prämien
  • BAG, Urteil vom 21.01.2015, Az. 10 AZR 84/14, Abruf-Nr. 176593
  • OLG Brandenburg, Urteil vom 07.10.2010, Az. 12 U 96/09, Abruf-Nr. 103644
  • OLG Köln, Beschluss vom 10.05.2012, Az. 19 U 3/12, Abruf-Nr. 235115
  • OLG Düsseldorf, Urteil vom 13.01.2017, Az. I-16 U 32/16, Abruf-Nr. 192124 unter Hinweis auf den Abschluss häufig mehrerer Versicherungsverträge
  • Anders noch OLG Düsseldorf, Urteil vom 13.11.2015, Az. I-16 U 227/14, Abruf-Nr. 235113 und OLG Düsseldorf, Urteil vom 23.05.2014, Az. I-16 U 133/13, Abruf-Nr. 235109 für Provisionsansprüche bis 100 Euro
  • Anderer Ansicht: KG Berlin, Beschluss vom 04.06.2021, Az. 2 U 5/18, Abruf-Nr. 224131 und OLG Zweibrücken, Urteil vom 11.06.2015, Az. 4 U 15/13, Abruf-Nr. 235112

Der Versicherer soll den Vertreter auch nach Ende des Vertretervertrags darüber unterrichten und ihm Gelegenheit zur Nachbearbeitung geben müssen. Zudem sei der Versicherer nicht davon entbunden, zu den Umständen der Stornierung auch bei geringfügigen Provisionsbelastungen vorzutragen, wenn diese Beträge Teil der geltend gemachten Forderung sind (OLG Brandenburg, Urteil vom 07.10.2010, Az. 12 U 96/09, Abruf-Nr. 103644; OLG Köln, Urteil vom 13.05.2016, Az. 19 U 156/15, Abruf-Nr. 235111).

Sonderfall: Nachbearbeitung Haupt- und Untervertreter

Die obigen Grundsätze zur Nachbearbeitung gelten auch zwischen Hauptvertreter und echtem Untervertreter (BGH, Urteil vom 08.07.2021, Az. I ZR 248/19, Abruf-Nr. 224072; OLG Brandenburg; Urteil vom 10.01.2013, Az. 5 U 54/11, Abruf-Nr. 140138; OLG Köln, Urteil vom 09.09.2005, Az. 19 U 174/04, Abruf-Nr. 053217; OLG Karlsruhe, Urteil vom 13.09.2017, Az. 15 U 7/17, Abruf-Nr. 200839):

In den Fällen der Nichtausführung des Vertrags kommt es nach § 87a Abs. 3 HGB darauf an, ob der Hauptvertreter, auf den der Versicherer die Nachbearbeitung wohl regelmäßig delegieren wird, die Umstände zu vertreten hat, auf denen die Nichtausführung beruht. Die Pflicht zur Nachbearbeitung besteht auch im mehrstufigen Vertretungsverhältnis.

AUSGABE: VVP 7/2023, S. 7 · ID: 49437050

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