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PersonenschadenSchmerzensgeld nach Tod eines nahen Angehörigen sowie Haftung des Versicherers trotz Schwarzfahrt
| Umstritten ist und Thema beim Verkehrsgerichtstag 2025 war das Verhältnis des Anspruchs auf Hinterbliebenengeld nach § 844 Abs. 3 BGB zum Schmerzensgeldanspruch des Hinterbliebenen. Ein rechtskräftiges Urteil vom LG Hamburg zu einem extrem spektakulären Sachverhalt (Dieb stiehlt Taxi und rast bei der Flucht vor der Polizei mit 140 km/h durch die Hamburger Innenstadt. Dabei verursacht er einen tödlichen Unfall durch Zusammenprall mit einem anderen Taxi) hilft bei der Abgrenzung. |
1. Die Empfehlungen des VGT, hier insbesondere Ziffer 2
Die Empfehlungen des VGT 2025 lauten:
Empfehlungen VGT 2025: Arbeitskreis III „Hinterbliebenengeld und Schockschaden |
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2. Das Ziel des § 844 Abs. 3 BGB
§ 844 Abs. 3 BGB erfasst seelische Erschütterungen wie Trauer, Kummer, Leid und seelischen Schmerz, die bei Angehörigen nach allgemeiner Erfahrung durch die Konfrontation mit dem Tod oder der gravierenden Verletzung einer nahestehenden Person zu erwarten sind. Die sind auch bei einer begleitenden Störung der physiologischen Abläufe keine Gesundheitsverletzung, wenn der psychischen Beeinträchtigung nach der medizinischen Bewertung nicht selbst ein Krankheitswert zukommt. Dafür ist in der Praxis ein Betrag von 10.000 EUR als Orientierungshilfe etabliert.
3. Pathologisch relevante Reaktionen sind davon nicht umfasst
Einigkeit besteht in der Literatur und Rechtsprechung, wie auch Ziffer 2 der Empfehlung des VGT zeigt, dass es einen darüber hinausgehenden Schmerzensgeldanspruch geben kann. Voraussetzung ist, dass durch die Trauerreaktionen und das damit verbundene seelische Leid übersteigend pathologisch fassbare Beeinträchtigungen des Angehörigen entstehen. Diese müssen deutlich über die gesundheitlichen Beeinträchtigungen hinausgehen, denen Familienangehörige bei dem Miterleben oder der Benachrichtigung von einem solchen Ereignis erfahrungsgemäß ausgesetzt sind.
So war es im Hamburger Fall im Hinblick auf die Mutter eines der getöteten Insassen des anderen Taxis. Nach den Feststellungen des Gerichts liegt die Voraussetzung von Reaktionen mit Krankheitswert vor. Die Verbindung zwischen alleinerziehender Mutter und Sohn war extrem eng.
4. Hinterbliebenengeld wurde in Schmerzensgeld eingerechnet
Das LG Hamburg hat ein Schmerzensgeld von 40.000 EUR ausgeurteilt. Das ist ein für einen Schockschaden extrem hoher Betrag. Er berücksichtigt u. a. auch das Regulierungsverhalten des Versicherers: „Auch eine zusätzliche Beeinträchtigung der Klägerin durch die Dauer des Verfahrens zur Geltendmachung ihrer Ansprüche wird berücksichtigt, weil die Beklagte zu 3. trotz rechtskräftiger Verurteilung des Beklagten zu 1. zu einer Schmerzensgeldzahlung und fachärztlich attestierter Anpassungsstörung mit psychiatrischem und psychotherapeutischem Behandlungsbedarf nicht einmal mit einer Abschlagszahlung in eine Regulierung eingetreten ist.“
Das Schmerzensgeld wurde jedoch nicht auf die üblichen 10.000 EUR aus § 844 Abs. 3 BGB aufgesattelt, der Betrag ist in den 40.000 EUR aufgegangen.
5. Wie kommt der Versicherer in die Haftung?
Der Anspruch gegen den Täter ist weitgehend wertlos, weil er zu lebenslanger Haft verurteilt wurde. Also kommt es entscheidend darauf an, wie vor dem Hintergrund des gestohlenen Tatfahrzeugs dessen Kfz-Hafthaftpflichtversicherer in die Haftung genommen werden kann.
Das Schwurgericht ging von einem Tötungsvorsatz während der Fluchtfahrt aus. Damit ist der Ausschlusstatbestand des § 103 VVG gegeben. Bezogen auf den Fahrer ist der Versicherer also nicht nur im Innenverhältnis leistungsfrei. Er muss von vornherein nicht für den Schaden eintreten.
Jedoch haftete im konkreten Fall der Halter und damit wegen der Durchgriffshaftung auch der Versicherer, weil der Diebstahl durch Leichtsinn ermöglicht wurde. Der Täter fand das Fahrzeug offen und mit in der Mittelkonsole liegendem Fahrzeugschlüssel vor. Zu den zumutbaren Sicherungsmaßnahmen zählt es jedoch nach der BGH-Rechtsprechung insbesondere, keine Fahrzeugschlüssel – jedenfalls nicht ohne eine hinreichende Sicherung – im Fahrzeug aufzubewahren. Anderenfalls wird eine Entwendung jedenfalls erheblich erleichtert und weitere Sicherungseinrichtungen sind zwecklos.
Diese Umstände kannte der Versicherer spätestens seit dem Strafverfahren. Das hätte ihn zu einem Eintritt in die Regulierung veranlassen müssen (LG Hamburg 28.11.24, 233 O 330/20, Abruf-Nr. 246513) eingesandt von RA Gregor Mayhöfer, Friedrichsfehn).
AUSGABE: VA 3/2025, S. 43 · ID: 50314311