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Subjektbezogener SchadenbegriffVersicherer weist Anwendung des subjektbezogenen Schadenbegriffs vorgerichtlich zurück: Zu Recht?

Abo-Inhalt11.12.20241452 Min. Lesedauer

| In vielen Anwaltskanzleien sind die Spielregeln, die der BGH für die Anwendung des subjektbezogenen Schadenbegriffs in der Ausprägungsform des Werkstattrisikos aufgestellt hat, in den Rechtsstreitigkeiten vor Gericht vorbildlich umgesetzt: Soweit der Kläger die offenen Rechnungen noch nicht selbst gezahlt hat, wird Zahlung an den jeweiligen Rechnungssteller verlangt, Zug um Zug gegen die Vorteilsausgleichsabtretung. Doch in der vorgerichtlichen Abwicklung gibt es immer wieder Schwierigkeiten. Aber konsequenter Weise ist auch hier bereits der vom BGH aufgezeigte Weg zu gehen. |

Nachweise für Prüfung des Werkstattrisikos – was tun?

UE erreichen immer wieder Zuschriften von Anwälten, die sich auf zweifelhafte Schreiben von Versicherern beziehen. Exemplarisch sei hier ein Schreiben zitiert, das eine Anwaltskanzlei erreichte:

Schreiben an Anwaltskanzlei

Um prüfen zu können, ob und in wie weit das Werkstattrisiko hier greift, benötigen wir weitere Unterlagen. Senden Sie uns bitte einen Nachweis zu, aus dem hervorgeht, dass die Reparaturkosten bereits komplett an die Werkstatt gezahlt wurden, bevor unsere Zahlung an Sie erfolgte. Sollte die Reparaturrechnung nicht bereits vor unserer Zahlung an Sie von Ihrem Mandanten gezahlt worden sein, greift das Werkstattrisiko nicht. Wir verweisen dazu auf die aktuelle Rechtsprechung.

Auf den ersten Blick scheint das unsinnig zu sein, denn der BGH macht ja die Anwendung des Werkstattrisikos ganz ausdrücklich nicht davon abhängig, dass der Geschädigte bereits selbst bezahlt hat. Seine alte Unterscheidung zwischen der Indizwirkung der bezahlten und der fehlenden Indizwirkung der nicht bezahlten Rechnung hat er aufgegeben (BGH, Urteil vom 12.03.2024, Az. VI ZR 280/22, Abruf-Nr. 240862, Rz. 16, für Erstattung der SV-Kosten. Exemplarisch BGH, Urteil vom 16.01.2024, Az. VI ZR 38/22, Leitsatz a, Abruf-Nr. 239196 für Erstattung der Reparaturkosten).

Doch auf den zweiten Blick: Es sieht so aus, als habe die Kanzlei in diesem vorgerichtlichen Stadium nicht die Zahlung an die Werkstatt (oder den Sachverständigen, den Abschleppunternehmer etc.) verlangt, sondern auf das Kanzleikonto. Denn der Versicherer hebt im Schreiben an die Kanzlei auf die „… Zahlung an Sie …“ ab. Und wenn es so wäre, dass Zahlung an die Kanzlei ohne den Nachweis, dass der Mandant bereits selbst gezahlt hat, verlangt wird, hätte der Versicherer recht. In der Situation wendet der BGH das Werkstattrisiko nicht an (exemplarisch BGH, Urteil vom 16.01.2024, Az. VI ZR 38/22, Leitsatz a, Abruf-Nr. 239196).

Sprich: Es muss auch vorgerichtlich die Zahlung an den jeweiligen Rechnungssteller verlangt werden, Zug um Zug gegen die Vorteilsausgleichsabtretung.

Die häufige Zahlung in zwei Etappen: Wie vorgehen?

Ein weiter Stolperstein kann sich auftun, wenn zunächst zur Sicherstellung schneller Liquidität die erste Zahlung auf Gutachtenbasis an die Kanzlei verlangt wurde, bevor eine Rechnung der Werkstatt vorliegt. Am Tag der Rechnungstellung wird das Geld an die Werkstatt überwiesen und der Versicherer Zug um Zug gegen die Vorteilsausgleichsabtretung zur Zahlung des Rests an die Werkstatt aufgefordert.

Letzteres allein genügt aber nicht. Der Hintergrund der Anforderung des BGH, dass Zahlung an die Werkstatt verlangt werden muss, ist:

BGH-Logik

Behielte der Geschädigte die Schadenersatzleistung, würde er sie also treuwidrig nicht an die Werkstatt, den Gutachter, den Abschleppunternehmer etc. weiterleiten, ginge der an den Versicherer abgetretene Rückforderungsanspruch ins Leere. Denn das ist ja der ursprüngliche Rückforderungsanspruch des Geschädigten gegen den Rechnungsteller. Geld, was der Geschädigte aber nicht dorthin gezahlt hat, kann er eben nicht zurückfordern. Der Versicherer als Zessionar kann das dann auch nicht. Hat der Versicherer jedoch selbst an den Zahlungsempfänger überweisen, kann er sicher sein, dass das Geld dort ist und er es auf der Grundlage der Abtretung zurückfordern kann.

Wenn der Versicherer also in der ersten Runde den Vorschuss an die Kanzlei gezahlt hat, muss gleichzeitig mit der Nachforderung des Rests zur Zahlung an den Rechnungsempfänger auch der Nachweis geführt werden, dass die erste Zahlung von der Kanzlei an den Rechnungsempfänger weitergeleitet wurde. Und es muss die Vorteilsausgleichsabtretung angeboten werden. Denn ohne den Nachweis, dass der erste Teil des Geldes an den Rechnungsempfänger weitergeleitet wurde, könnte der im Rahmen des Vorteilsausgleichs abgetretene Rückforderungsanspruch ebenfalls wertlos sein.

Die Versicherer differenzieren häufig nicht

Soweit UE das beurteilen kann, wird das oben zitierte Schreiben des Versicherers jedoch undifferenziert auch dann versendet, wenn alle hier beschriebenen Voraussetzungen für die Anwendung des subjektbezogenen Schadenbegriffs vorliegen. Ob man sich dann

  • die Mühe macht, den Versicherer darauf hinzuweisen, oder
  • sofort Klage erhebt,

muss jede Kanzlei für sich entscheiden.

AUSGABE: UE 1/2025, S. 7 · ID: 50263588

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